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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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zwischen den Parteien stets beobachtete Urbanität, hat durch das Vorherrschen
dieser Elemente einen schweren Stoß erlitten; doch steht, wie wir glauben zu
hoffen, daß durch ein längeres Zusammensein der neuen Bestandtheile mit den
älteren, dieser Nachtheil wieder seine Ausgleichung finden wird, zumal die
Führer der Ultramontanen Weis, Ruland, Jörg in dieser Beziehung kein
Tadel trifft. -- Auf der linken Seite des Hauses hat nur die Fortschrittspartei
neue Kräfte an sich gezogen, unter denen besonders die beiden als Verthei¬
diger renommirten Advocaten v. Schauß und Frankenburger Aufsehen erreg¬
ten. Die Mittelpartei, früher das Gros der Kammer bildend, sieht sich auf
8--9 Köpfe reducirt, und vermochte nicht einmal ihre sämmtlichen Führer
durchzusetzen. Unter den Fehlenden wird am meisten der kenntnißreiche frühere
Kammerpräsident Pözl vermißt.

In der Debatte selbst machte sich der Unterschied zwischen den beiden libe¬
ralen Fractionen nirgend geltend; die Fortschrittspartei hat mit Recht unter den
obwaltenden Umständen darauf verzichtet, ihr Programm in Bezug auf die
deutsche Frage zu discutiren und sich auf Vertheidigung des gegenwärtigen
Ministers beschränkt. Bezüglich der inneren Fragen bestand ohnedies keine
durchgreifende Meinungsverschiedenheit, so daß diesmal, die ganze liberale
Partei geschlossen auftreten konnte.

Was den eigentlichen Inhalt der Debatten anlangt, so ist es bezeich¬
nend, daß die patriotische Partei, thatsächlich auch das geringste Opfer für
eine engere Verbindung der deutschen Staaten zurückweisend, theoretisch stets
den nationalen Gedanken auf die freigebigste Weise anerkannte. Kein Redner
derselben hat es gewagt, seine Verdammung der Hohenlohe'schen Geschäfts¬
führung auszusprechen, ohne sich im Eingang mit einigen deutsch-patriotischen
Redensarten zu salviren. Warum die patriotische Partei diesen für sie ebenso
beschwerlichen als unnöthigen Weg einschlug, ist nicht recht abzusehen.
Warum sagt sie nicht ganz offen: "Wir sind Bayern und wollen nichts An¬
deres sein. Wir brauchen kein Preußen und kein Deutschland. Wir können so
gut und noch besser selbständig sein, als die Schweiz, als Belgien und Holland.
Der Neid der drei uns umgebenden Großmächte bietet unserer Existenz ge¬
nügende Bürgschaft. "Damit wäre wenigstens der Wahrheit gedient gewesen
und zwar einer Wahrheit, die sich vor den altbayrischen ländlichen Wählern
der Ultramontanen keinerlei Rücksichten aufzulegen braucht. Der Versuch, die
starrste bayrische Selbstgenügsamkeit mit einer deutsch-nationalen Gesinnung zu
einem nur einigermaßen genießbaren Gebräu zu vereinigen, in ußt e mißlingen
und führte zu einer Menge von Inconsequenzen, zuweilen zu Albernheiten.
Wenn ein durchaus verständiger Mann wie Dr. Huttler, dessen Tact und
Versöhnlichkeit von allen Seiten anerkannt wird, seine Zustimmung zur
Vereinigung mit dem Norden z. B. von der Verlegung der Hauptstadt nach


zwischen den Parteien stets beobachtete Urbanität, hat durch das Vorherrschen
dieser Elemente einen schweren Stoß erlitten; doch steht, wie wir glauben zu
hoffen, daß durch ein längeres Zusammensein der neuen Bestandtheile mit den
älteren, dieser Nachtheil wieder seine Ausgleichung finden wird, zumal die
Führer der Ultramontanen Weis, Ruland, Jörg in dieser Beziehung kein
Tadel trifft. — Auf der linken Seite des Hauses hat nur die Fortschrittspartei
neue Kräfte an sich gezogen, unter denen besonders die beiden als Verthei¬
diger renommirten Advocaten v. Schauß und Frankenburger Aufsehen erreg¬
ten. Die Mittelpartei, früher das Gros der Kammer bildend, sieht sich auf
8—9 Köpfe reducirt, und vermochte nicht einmal ihre sämmtlichen Führer
durchzusetzen. Unter den Fehlenden wird am meisten der kenntnißreiche frühere
Kammerpräsident Pözl vermißt.

In der Debatte selbst machte sich der Unterschied zwischen den beiden libe¬
ralen Fractionen nirgend geltend; die Fortschrittspartei hat mit Recht unter den
obwaltenden Umständen darauf verzichtet, ihr Programm in Bezug auf die
deutsche Frage zu discutiren und sich auf Vertheidigung des gegenwärtigen
Ministers beschränkt. Bezüglich der inneren Fragen bestand ohnedies keine
durchgreifende Meinungsverschiedenheit, so daß diesmal, die ganze liberale
Partei geschlossen auftreten konnte.

Was den eigentlichen Inhalt der Debatten anlangt, so ist es bezeich¬
nend, daß die patriotische Partei, thatsächlich auch das geringste Opfer für
eine engere Verbindung der deutschen Staaten zurückweisend, theoretisch stets
den nationalen Gedanken auf die freigebigste Weise anerkannte. Kein Redner
derselben hat es gewagt, seine Verdammung der Hohenlohe'schen Geschäfts¬
führung auszusprechen, ohne sich im Eingang mit einigen deutsch-patriotischen
Redensarten zu salviren. Warum die patriotische Partei diesen für sie ebenso
beschwerlichen als unnöthigen Weg einschlug, ist nicht recht abzusehen.
Warum sagt sie nicht ganz offen: „Wir sind Bayern und wollen nichts An¬
deres sein. Wir brauchen kein Preußen und kein Deutschland. Wir können so
gut und noch besser selbständig sein, als die Schweiz, als Belgien und Holland.
Der Neid der drei uns umgebenden Großmächte bietet unserer Existenz ge¬
nügende Bürgschaft. „Damit wäre wenigstens der Wahrheit gedient gewesen
und zwar einer Wahrheit, die sich vor den altbayrischen ländlichen Wählern
der Ultramontanen keinerlei Rücksichten aufzulegen braucht. Der Versuch, die
starrste bayrische Selbstgenügsamkeit mit einer deutsch-nationalen Gesinnung zu
einem nur einigermaßen genießbaren Gebräu zu vereinigen, in ußt e mißlingen
und führte zu einer Menge von Inconsequenzen, zuweilen zu Albernheiten.
Wenn ein durchaus verständiger Mann wie Dr. Huttler, dessen Tact und
Versöhnlichkeit von allen Seiten anerkannt wird, seine Zustimmung zur
Vereinigung mit dem Norden z. B. von der Verlegung der Hauptstadt nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/354>, abgerufen am 28.09.2024.