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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Graf Beust hatte in Sachsen eine zu gute politische Schule durchgemacht
und in den siebenzehn Jahren 1849--1866 von dem Talente, sich in alle
Lagen zu schicken und immer auf die Füße zu fallen, zu vielfache Proben ge¬
geben, um sich durch seine Erfahrungen als östreichischer Reichskanzler aus
dem Gleichgewicht bringen zu lassen; aber angehende Staatsmänner mögen
das neueste Capitel der Geschichte dieses vielbewegten Lebens aufmerksam
studiren, es kann ihnen nur von Nutzen sein. Der damalige Freiherr von
Beust trat bekanntlich in das Cabinet Belcredi als Minister des Auswärti-
gen, doch wußte man allgemein, daß das Programm, auf Grund dessen seine
Berufung erfolgt war, sich wenigstens eben so viel mit den inneren Verhält¬
nissen des Reiches, mit der Verfassungsfrage beschäftigte, wie mit der Stel¬
lung, welche Oestreich fortan den Mächten und insbesondere Deutschland
gegenüber behaupten solle. Und bald genug begann auch seine offenkundige
Thätigkeit in inneren Angelegenheiten. Er studirre zunächst die ungarische
Frage, unterhandelte mit Deal und anderen Führern der Magyaren über
den Ausgleich. Darin sah Niemand etwas Ungehöriges, am allerwenigsten
die deutschen Liberalen, welche durch Beust von Belcredi befreit zu werden
hofften. Der Einwand, daß ja auch Beust die Verantwortlichkeit für die
Einberufung eines außerhalb der Verfassung stehenden, ja eingestandenermaßen
zur Beseitigung der Verfassung bestimmten außerordentlichen Reichsraths
mitübernommen habe, wurde von Eingeweihten durch die Enthüllung ent¬
kräftet, es handle sich eben darum, den Grafen Belcredi und sein System
s.ä adsuräuin zu führen; und für die weitere Frage, welche Bürgschaften der
Staatsmann leiste, welcher 1850 keinen Anstand genommen hatte, die zwei
Jahre früher abgeschaffte Ständeversammlung im Wege der Ordonnanz
wiederherzustellen und durch diese Versammlung alle liberalen Gesetze und
Einrichtungen wieder aufheben zu lassen: auch für diese Frage halten die¬
selben Vertrauenspersonen eine befriedigende Antwort bereit. Damals war
die Reaction an der Zeit gewesen; als aber die Zeit der Reformen anbrach,
hatte Herr v. Beust sich solchen nicht entgegengestemmt, sie vielmehr weise zu
lenken gesucht, in der deutschen und der Schleswig-holsteinschen Frage den
Fortschritt vertreten, den Forderungen nach größerer bürgerlicher Freiheit,
wenn auch bedächtig, nachgegeben und durch sein Erscheinen auf dem Leip¬
ziger Turnfeste genugsam bewiesen, daß er die Berührung mit der Demo¬
kratie keineswegs scheue. Ein Mann, welcher so sehr eine jede Zeit zu be¬
greifen fähig ist, kann in Oestreich unter den obwaltenden Verhältnissen gar


Grenzboten I. 1870. 34

Graf Beust hatte in Sachsen eine zu gute politische Schule durchgemacht
und in den siebenzehn Jahren 1849—1866 von dem Talente, sich in alle
Lagen zu schicken und immer auf die Füße zu fallen, zu vielfache Proben ge¬
geben, um sich durch seine Erfahrungen als östreichischer Reichskanzler aus
dem Gleichgewicht bringen zu lassen; aber angehende Staatsmänner mögen
das neueste Capitel der Geschichte dieses vielbewegten Lebens aufmerksam
studiren, es kann ihnen nur von Nutzen sein. Der damalige Freiherr von
Beust trat bekanntlich in das Cabinet Belcredi als Minister des Auswärti-
gen, doch wußte man allgemein, daß das Programm, auf Grund dessen seine
Berufung erfolgt war, sich wenigstens eben so viel mit den inneren Verhält¬
nissen des Reiches, mit der Verfassungsfrage beschäftigte, wie mit der Stel¬
lung, welche Oestreich fortan den Mächten und insbesondere Deutschland
gegenüber behaupten solle. Und bald genug begann auch seine offenkundige
Thätigkeit in inneren Angelegenheiten. Er studirre zunächst die ungarische
Frage, unterhandelte mit Deal und anderen Führern der Magyaren über
den Ausgleich. Darin sah Niemand etwas Ungehöriges, am allerwenigsten
die deutschen Liberalen, welche durch Beust von Belcredi befreit zu werden
hofften. Der Einwand, daß ja auch Beust die Verantwortlichkeit für die
Einberufung eines außerhalb der Verfassung stehenden, ja eingestandenermaßen
zur Beseitigung der Verfassung bestimmten außerordentlichen Reichsraths
mitübernommen habe, wurde von Eingeweihten durch die Enthüllung ent¬
kräftet, es handle sich eben darum, den Grafen Belcredi und sein System
s.ä adsuräuin zu führen; und für die weitere Frage, welche Bürgschaften der
Staatsmann leiste, welcher 1850 keinen Anstand genommen hatte, die zwei
Jahre früher abgeschaffte Ständeversammlung im Wege der Ordonnanz
wiederherzustellen und durch diese Versammlung alle liberalen Gesetze und
Einrichtungen wieder aufheben zu lassen: auch für diese Frage halten die¬
selben Vertrauenspersonen eine befriedigende Antwort bereit. Damals war
die Reaction an der Zeit gewesen; als aber die Zeit der Reformen anbrach,
hatte Herr v. Beust sich solchen nicht entgegengestemmt, sie vielmehr weise zu
lenken gesucht, in der deutschen und der Schleswig-holsteinschen Frage den
Fortschritt vertreten, den Forderungen nach größerer bürgerlicher Freiheit,
wenn auch bedächtig, nachgegeben und durch sein Erscheinen auf dem Leip¬
ziger Turnfeste genugsam bewiesen, daß er die Berührung mit der Demo¬
kratie keineswegs scheue. Ein Mann, welcher so sehr eine jede Zeit zu be¬
greifen fähig ist, kann in Oestreich unter den obwaltenden Verhältnissen gar


Grenzboten I. 1870. 34
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[0271] Graf Beust hatte in Sachsen eine zu gute politische Schule durchgemacht und in den siebenzehn Jahren 1849—1866 von dem Talente, sich in alle Lagen zu schicken und immer auf die Füße zu fallen, zu vielfache Proben ge¬ geben, um sich durch seine Erfahrungen als östreichischer Reichskanzler aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen; aber angehende Staatsmänner mögen das neueste Capitel der Geschichte dieses vielbewegten Lebens aufmerksam studiren, es kann ihnen nur von Nutzen sein. Der damalige Freiherr von Beust trat bekanntlich in das Cabinet Belcredi als Minister des Auswärti- gen, doch wußte man allgemein, daß das Programm, auf Grund dessen seine Berufung erfolgt war, sich wenigstens eben so viel mit den inneren Verhält¬ nissen des Reiches, mit der Verfassungsfrage beschäftigte, wie mit der Stel¬ lung, welche Oestreich fortan den Mächten und insbesondere Deutschland gegenüber behaupten solle. Und bald genug begann auch seine offenkundige Thätigkeit in inneren Angelegenheiten. Er studirre zunächst die ungarische Frage, unterhandelte mit Deal und anderen Führern der Magyaren über den Ausgleich. Darin sah Niemand etwas Ungehöriges, am allerwenigsten die deutschen Liberalen, welche durch Beust von Belcredi befreit zu werden hofften. Der Einwand, daß ja auch Beust die Verantwortlichkeit für die Einberufung eines außerhalb der Verfassung stehenden, ja eingestandenermaßen zur Beseitigung der Verfassung bestimmten außerordentlichen Reichsraths mitübernommen habe, wurde von Eingeweihten durch die Enthüllung ent¬ kräftet, es handle sich eben darum, den Grafen Belcredi und sein System s.ä adsuräuin zu führen; und für die weitere Frage, welche Bürgschaften der Staatsmann leiste, welcher 1850 keinen Anstand genommen hatte, die zwei Jahre früher abgeschaffte Ständeversammlung im Wege der Ordonnanz wiederherzustellen und durch diese Versammlung alle liberalen Gesetze und Einrichtungen wieder aufheben zu lassen: auch für diese Frage halten die¬ selben Vertrauenspersonen eine befriedigende Antwort bereit. Damals war die Reaction an der Zeit gewesen; als aber die Zeit der Reformen anbrach, hatte Herr v. Beust sich solchen nicht entgegengestemmt, sie vielmehr weise zu lenken gesucht, in der deutschen und der Schleswig-holsteinschen Frage den Fortschritt vertreten, den Forderungen nach größerer bürgerlicher Freiheit, wenn auch bedächtig, nachgegeben und durch sein Erscheinen auf dem Leip¬ ziger Turnfeste genugsam bewiesen, daß er die Berührung mit der Demo¬ kratie keineswegs scheue. Ein Mann, welcher so sehr eine jede Zeit zu be¬ greifen fähig ist, kann in Oestreich unter den obwaltenden Verhältnissen gar Grenzboten I. 1870. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/271>, abgerufen am 27.09.2024.