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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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aber zugleich den Trost, wenn die verbündeten Gegner in der Kammer den
Sieg erlangen. Denn gelassen sieht sie die Schwierigkeiten sich häufen, welche
der Leitung des Landes aus dessen unhaltbarer Jsolirung, aus den ewigen
Schwankungen in der nationalen Frage entspringen.




Pädagogisches über Musik.

Unter dieser Firma wird man die schon oft gehörten Reflexionen und
Klagen über die allzu verbreitete Ausübung des Clavierspiels erwarten, die
wohl am kürzesten und besten in dem geistreichen Wort einer berühmten
Schriftstellerin zusammengefaßt wurden: "Die Leute haben es verstanden,
ihren Müßiggang hörbar zu machen."

Nein, darüber sind wir längst resignirt: es muß im neunzehnten Jahr¬
hundert nicht nur jede junge Dame als Spieluhr zu verwenden sein, die so
und so viel Stücke auf dem Clavier abtrommeln kann, auch jeder Schüler,
der noch kaum richtig zu decimiren und zu conjugiren vermag und jedes Näther-
mädchen versuchen sich musikalisch, zur Qual der armen Nachbarn. Es gibt
nur noch tönende Häuser, und bald werden, wie in Paris, wo man zur
Empfehlung eines Quartiers liest: "?vint as Mvo leit" unsere Hausbesitzer
den Vortheil ähnlicher Sicherheitsassecuranzen verstehen lernen. Unsere päda¬
gogischen Gedanken richten sich also nicht gegen das Verhängniß des Clavier¬
spiels. Vielmehr möchten sie den möglichen Nutzen erwägen, welcher aus
dem Uebel für den Ausübenden erzielt werden kann, denn Z, "Melyulz ekoss
maldsur xeut vers bon, und was dem Nachbarn unleidlich ist, kann dem
Spieler Wohlthat werden. Die Musik ist ein Bildungsmittel, sie kann
die Seele veredeln, aber auch verbitten und verderben, je nachdem der
Autor ist, dessen Umgang wir aufsuchen. Es darf wohl auffallend er¬
scheinen, daß, während man die Lectüre der Jugend aufs Sorgfältigste über¬
wacht und sogar jetzt eine eigene, ihrem Alter angepaßte, täglich nur zu sehr
anwachsende Literatur für sie verfaßt, bei der allgemein verbreiteten Aus¬
übung der Musik, d. h. zunächst des Clavierspiels, gar keine pädagogische
Controle stattfindet.

Und doch ist die Musik für den musikalisch Empfänglichen eine Sprache
wie jede andere; und weil sie alle Empfindungen und Regungen zu schildern
vermag, die den Geist des Tondichters bewegten, so werden auch die gleichen
Empfindungen und Sensationen in dem Hörer, wieviel mehr bet dem Spieler
und Sänger einer Komposition erweckt werden. So wie ein schöner Marsch


aber zugleich den Trost, wenn die verbündeten Gegner in der Kammer den
Sieg erlangen. Denn gelassen sieht sie die Schwierigkeiten sich häufen, welche
der Leitung des Landes aus dessen unhaltbarer Jsolirung, aus den ewigen
Schwankungen in der nationalen Frage entspringen.




Pädagogisches über Musik.

Unter dieser Firma wird man die schon oft gehörten Reflexionen und
Klagen über die allzu verbreitete Ausübung des Clavierspiels erwarten, die
wohl am kürzesten und besten in dem geistreichen Wort einer berühmten
Schriftstellerin zusammengefaßt wurden: „Die Leute haben es verstanden,
ihren Müßiggang hörbar zu machen."

Nein, darüber sind wir längst resignirt: es muß im neunzehnten Jahr¬
hundert nicht nur jede junge Dame als Spieluhr zu verwenden sein, die so
und so viel Stücke auf dem Clavier abtrommeln kann, auch jeder Schüler,
der noch kaum richtig zu decimiren und zu conjugiren vermag und jedes Näther-
mädchen versuchen sich musikalisch, zur Qual der armen Nachbarn. Es gibt
nur noch tönende Häuser, und bald werden, wie in Paris, wo man zur
Empfehlung eines Quartiers liest: „?vint as Mvo leit" unsere Hausbesitzer
den Vortheil ähnlicher Sicherheitsassecuranzen verstehen lernen. Unsere päda¬
gogischen Gedanken richten sich also nicht gegen das Verhängniß des Clavier¬
spiels. Vielmehr möchten sie den möglichen Nutzen erwägen, welcher aus
dem Uebel für den Ausübenden erzielt werden kann, denn Z, «Melyulz ekoss
maldsur xeut vers bon, und was dem Nachbarn unleidlich ist, kann dem
Spieler Wohlthat werden. Die Musik ist ein Bildungsmittel, sie kann
die Seele veredeln, aber auch verbitten und verderben, je nachdem der
Autor ist, dessen Umgang wir aufsuchen. Es darf wohl auffallend er¬
scheinen, daß, während man die Lectüre der Jugend aufs Sorgfältigste über¬
wacht und sogar jetzt eine eigene, ihrem Alter angepaßte, täglich nur zu sehr
anwachsende Literatur für sie verfaßt, bei der allgemein verbreiteten Aus¬
übung der Musik, d. h. zunächst des Clavierspiels, gar keine pädagogische
Controle stattfindet.

Und doch ist die Musik für den musikalisch Empfänglichen eine Sprache
wie jede andere; und weil sie alle Empfindungen und Regungen zu schildern
vermag, die den Geist des Tondichters bewegten, so werden auch die gleichen
Empfindungen und Sensationen in dem Hörer, wieviel mehr bet dem Spieler
und Sänger einer Komposition erweckt werden. So wie ein schöner Marsch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/244>, abgerufen am 26.06.2024.