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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Bas englische Ministerium und Irland.

Die Eröffnung des Parlaments steht vor der Thür, die Minister kehren
von ihrem langen Landaufenthalte zurück, in dessen Ruhe sie sich vorbereiteten
den Mühsalen der Session Widerstand zu leisten. Und diese Mühsale werden
in dem gegenwärtigen Jahre nicht gering sein. In der That ist die Situa¬
tion weit verschieden von der, als Gladstone vor 13 Monaten ins Amt trat.
Damals stand er an der Spitze einer mächtigen und einigen Partei, die sich
verpflichtet hatte, eine große Maßregel, die Abschaffung der protestantischen
Staatskirche in Irland durchzuführen. Aber diese Maßregel sollte nur der
erste Akt einer neuen Politik sein, Irland nach irländischen Ideen zu re¬
gieren, durch welche Gladstone das irische Volk zu überzeugen hoffte, daß
von nun ab England Gerechtigkeit gegen das Schwesterland üben wolle.
Dann sollte im nächsten Jahre die Landfrage in Angriff genommen werden.
Daß diese Berechnung täuschend war zeigt der gegenwärtige Zustand klar.
"Die Preisgebung der protestantischen Kirche", schreibt kürzlich ein englischer
Freund, "hat nicht mehr Wirkung gehabt als ob man einen Granitblock aus
dem Boden losbricht und in den Ocean würfe, -- ungeheurer Aufwand von
Kraft, das Wasser spritzt hoch auf, der Stein verschwindet Und die Wellen
schlagen mit unverminderter Wuth gegen das Ufer." Obwohl die Ernte
günstig war und nirgends Noth herrscht, zeigt sich die Unzufriedenheit der
Bevölkerung drohender als je; agrarische Morde, Gewaltthaten gegen un¬
schuldige Personen sind an der Tagesordnung, und ihre Urheber bleiben
unentdeckt, unbestraft; geheime Comite's verbieten die Zahlung der Pachter,
Waffenläden werden am hellen Tage in den Städten' von vermummten Ge¬
sellen geplündert, die Sprache der Presse wie der Meetings geht auf offene
Rebellion. Selbst Behörden des Selfgovernment fordern die Repeal, die legis¬
lative Trennung Irlands von Großbritannien, wie O'Connell es that. Der
wirkliche Zustand ist allerdings wohl nicht der allgemeiner Feindseligkeit,
aber jedenfalls ist diese feindlich gesinnte Minorität stark genug um die Ma¬
jorität erfolgreich zu tyrannisiren, so daß z. B. bei der Wahl in Tipperary
nur 2200 Wähler von 8000 den Muth hatten zu erscheinen und demzufolge
O'Dononan Rosse, ein fenischer Sträfling, gewählt ward. Die Stimme der
6000 nicht gekommenen Wähler ist ungehört geblieben; sie hätten jedenfalls
Schutz gegen die fenischen Genossen gebraucht und wagten doch nicht ihn zu
verlangen.

Dem gegenüber hat die Regierung äußerste Schwäche und Unentschlossen-
heit gezeigt und erst auf die dringendsten Mahnungen des Obercomman-


Bas englische Ministerium und Irland.

Die Eröffnung des Parlaments steht vor der Thür, die Minister kehren
von ihrem langen Landaufenthalte zurück, in dessen Ruhe sie sich vorbereiteten
den Mühsalen der Session Widerstand zu leisten. Und diese Mühsale werden
in dem gegenwärtigen Jahre nicht gering sein. In der That ist die Situa¬
tion weit verschieden von der, als Gladstone vor 13 Monaten ins Amt trat.
Damals stand er an der Spitze einer mächtigen und einigen Partei, die sich
verpflichtet hatte, eine große Maßregel, die Abschaffung der protestantischen
Staatskirche in Irland durchzuführen. Aber diese Maßregel sollte nur der
erste Akt einer neuen Politik sein, Irland nach irländischen Ideen zu re¬
gieren, durch welche Gladstone das irische Volk zu überzeugen hoffte, daß
von nun ab England Gerechtigkeit gegen das Schwesterland üben wolle.
Dann sollte im nächsten Jahre die Landfrage in Angriff genommen werden.
Daß diese Berechnung täuschend war zeigt der gegenwärtige Zustand klar.
„Die Preisgebung der protestantischen Kirche", schreibt kürzlich ein englischer
Freund, „hat nicht mehr Wirkung gehabt als ob man einen Granitblock aus
dem Boden losbricht und in den Ocean würfe, — ungeheurer Aufwand von
Kraft, das Wasser spritzt hoch auf, der Stein verschwindet Und die Wellen
schlagen mit unverminderter Wuth gegen das Ufer." Obwohl die Ernte
günstig war und nirgends Noth herrscht, zeigt sich die Unzufriedenheit der
Bevölkerung drohender als je; agrarische Morde, Gewaltthaten gegen un¬
schuldige Personen sind an der Tagesordnung, und ihre Urheber bleiben
unentdeckt, unbestraft; geheime Comite's verbieten die Zahlung der Pachter,
Waffenläden werden am hellen Tage in den Städten' von vermummten Ge¬
sellen geplündert, die Sprache der Presse wie der Meetings geht auf offene
Rebellion. Selbst Behörden des Selfgovernment fordern die Repeal, die legis¬
lative Trennung Irlands von Großbritannien, wie O'Connell es that. Der
wirkliche Zustand ist allerdings wohl nicht der allgemeiner Feindseligkeit,
aber jedenfalls ist diese feindlich gesinnte Minorität stark genug um die Ma¬
jorität erfolgreich zu tyrannisiren, so daß z. B. bei der Wahl in Tipperary
nur 2200 Wähler von 8000 den Muth hatten zu erscheinen und demzufolge
O'Dononan Rosse, ein fenischer Sträfling, gewählt ward. Die Stimme der
6000 nicht gekommenen Wähler ist ungehört geblieben; sie hätten jedenfalls
Schutz gegen die fenischen Genossen gebraucht und wagten doch nicht ihn zu
verlangen.

Dem gegenüber hat die Regierung äußerste Schwäche und Unentschlossen-
heit gezeigt und erst auf die dringendsten Mahnungen des Obercomman-


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[0216] Bas englische Ministerium und Irland. Die Eröffnung des Parlaments steht vor der Thür, die Minister kehren von ihrem langen Landaufenthalte zurück, in dessen Ruhe sie sich vorbereiteten den Mühsalen der Session Widerstand zu leisten. Und diese Mühsale werden in dem gegenwärtigen Jahre nicht gering sein. In der That ist die Situa¬ tion weit verschieden von der, als Gladstone vor 13 Monaten ins Amt trat. Damals stand er an der Spitze einer mächtigen und einigen Partei, die sich verpflichtet hatte, eine große Maßregel, die Abschaffung der protestantischen Staatskirche in Irland durchzuführen. Aber diese Maßregel sollte nur der erste Akt einer neuen Politik sein, Irland nach irländischen Ideen zu re¬ gieren, durch welche Gladstone das irische Volk zu überzeugen hoffte, daß von nun ab England Gerechtigkeit gegen das Schwesterland üben wolle. Dann sollte im nächsten Jahre die Landfrage in Angriff genommen werden. Daß diese Berechnung täuschend war zeigt der gegenwärtige Zustand klar. „Die Preisgebung der protestantischen Kirche", schreibt kürzlich ein englischer Freund, „hat nicht mehr Wirkung gehabt als ob man einen Granitblock aus dem Boden losbricht und in den Ocean würfe, — ungeheurer Aufwand von Kraft, das Wasser spritzt hoch auf, der Stein verschwindet Und die Wellen schlagen mit unverminderter Wuth gegen das Ufer." Obwohl die Ernte günstig war und nirgends Noth herrscht, zeigt sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung drohender als je; agrarische Morde, Gewaltthaten gegen un¬ schuldige Personen sind an der Tagesordnung, und ihre Urheber bleiben unentdeckt, unbestraft; geheime Comite's verbieten die Zahlung der Pachter, Waffenläden werden am hellen Tage in den Städten' von vermummten Ge¬ sellen geplündert, die Sprache der Presse wie der Meetings geht auf offene Rebellion. Selbst Behörden des Selfgovernment fordern die Repeal, die legis¬ lative Trennung Irlands von Großbritannien, wie O'Connell es that. Der wirkliche Zustand ist allerdings wohl nicht der allgemeiner Feindseligkeit, aber jedenfalls ist diese feindlich gesinnte Minorität stark genug um die Ma¬ jorität erfolgreich zu tyrannisiren, so daß z. B. bei der Wahl in Tipperary nur 2200 Wähler von 8000 den Muth hatten zu erscheinen und demzufolge O'Dononan Rosse, ein fenischer Sträfling, gewählt ward. Die Stimme der 6000 nicht gekommenen Wähler ist ungehört geblieben; sie hätten jedenfalls Schutz gegen die fenischen Genossen gebraucht und wagten doch nicht ihn zu verlangen. Dem gegenüber hat die Regierung äußerste Schwäche und Unentschlossen- heit gezeigt und erst auf die dringendsten Mahnungen des Obercomman-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/216>, abgerufen am 26.06.2024.