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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Ueber die römischen Ackerbrüder.

Gar wenig kennen wir von der ältesten römischen Welt, die länger, als
man es sich vorzustellen pflegt, in der altheimischen Abgeschlossenheit verharrt
hat, unberührt von dem fremden Kriegsmann wie von dem fremden Kaufmann.
Bis nach Sicilien hin erstreckten sich die Kreise, die "der gewaltige Zusam¬
menstoß des Ostens und des Westens bei Marathon und Salamis rings
umher zog; bis an die südfranzösische Küste und die Meerenge von Gibral¬
tar siedelten die Kaufleute aus dem Osten sich an, Hellenen und Phönikier
um die Wette; über die Alpen hinüber, hinein in die reiche Ebene der Lom¬
bardei und in das schöne Hügelland Toscana's strömten die Vorfahren der
heutigen Gäcker und Iren. Aber das westliche Mittelitalien, die latinische
Landschaft, obwohl in die Mitte dieses Völkergewoges gestellt und zu Wasser
wie zu Lande den gleichen Stürmen preisgegeben, blieb im wesentlichen den
Latinern eigen. Es war wohl nicht zunächst die größere Kraft dieses Stammes,
die ihn vor der Ueberfluthung geschützt hat; auch nicht zunächst der Umstand,
wie schwer er auch ins Gewicht fällt, daß die kaufmännische Eroberung durch-
aus den Inseln den Vorzug gibt vor dem Festland. Hauptsächlich hat wohl
mitgewirkt, daß Latium dem begehrlichen Fremden keine besonderen Vortheile
darbot. Hier gab es keine Ackerfluren, wie die um Mailand und Neapel,
keine Silbergruben, wie die von Cartagena; hier mangelte es an Häfen, und
keine großen Karawanenstraßen liefen hier ans Meer, wie bei Marseille die
Zinnstraße von Britannien her, wie bei Trieft und Venedig die Bernstein¬
straße von der Ostsee. Harte Arbeit fanden die Fremden überall, hier aber
fanden sie auch nur mäßigen Lohn. So sind sie ferngeblieben und kein
Strahl einer vorgeschrittenen Cultur fällt in das Morgengrauen der ladini¬
schen Geschichte.

Auch der Menschengeist selbst hat in dieser Landschaft sich erst spät zu
regen begonnen. Man darf wohl zweifeln, ob wirklich in Latium energisch
die göttliche Morgendämmerung gewaltet hat, in welcher reicher angelegte
Nationen jenen geheimnißvollen Grundstamm erzeugten, den wir Sage zu


Grenzboten I. 1L70. 21
Ueber die römischen Ackerbrüder.

Gar wenig kennen wir von der ältesten römischen Welt, die länger, als
man es sich vorzustellen pflegt, in der altheimischen Abgeschlossenheit verharrt
hat, unberührt von dem fremden Kriegsmann wie von dem fremden Kaufmann.
Bis nach Sicilien hin erstreckten sich die Kreise, die »der gewaltige Zusam¬
menstoß des Ostens und des Westens bei Marathon und Salamis rings
umher zog; bis an die südfranzösische Küste und die Meerenge von Gibral¬
tar siedelten die Kaufleute aus dem Osten sich an, Hellenen und Phönikier
um die Wette; über die Alpen hinüber, hinein in die reiche Ebene der Lom¬
bardei und in das schöne Hügelland Toscana's strömten die Vorfahren der
heutigen Gäcker und Iren. Aber das westliche Mittelitalien, die latinische
Landschaft, obwohl in die Mitte dieses Völkergewoges gestellt und zu Wasser
wie zu Lande den gleichen Stürmen preisgegeben, blieb im wesentlichen den
Latinern eigen. Es war wohl nicht zunächst die größere Kraft dieses Stammes,
die ihn vor der Ueberfluthung geschützt hat; auch nicht zunächst der Umstand,
wie schwer er auch ins Gewicht fällt, daß die kaufmännische Eroberung durch-
aus den Inseln den Vorzug gibt vor dem Festland. Hauptsächlich hat wohl
mitgewirkt, daß Latium dem begehrlichen Fremden keine besonderen Vortheile
darbot. Hier gab es keine Ackerfluren, wie die um Mailand und Neapel,
keine Silbergruben, wie die von Cartagena; hier mangelte es an Häfen, und
keine großen Karawanenstraßen liefen hier ans Meer, wie bei Marseille die
Zinnstraße von Britannien her, wie bei Trieft und Venedig die Bernstein¬
straße von der Ostsee. Harte Arbeit fanden die Fremden überall, hier aber
fanden sie auch nur mäßigen Lohn. So sind sie ferngeblieben und kein
Strahl einer vorgeschrittenen Cultur fällt in das Morgengrauen der ladini¬
schen Geschichte.

Auch der Menschengeist selbst hat in dieser Landschaft sich erst spät zu
regen begonnen. Man darf wohl zweifeln, ob wirklich in Latium energisch
die göttliche Morgendämmerung gewaltet hat, in welcher reicher angelegte
Nationen jenen geheimnißvollen Grundstamm erzeugten, den wir Sage zu


Grenzboten I. 1L70. 21
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[0167] Ueber die römischen Ackerbrüder. Gar wenig kennen wir von der ältesten römischen Welt, die länger, als man es sich vorzustellen pflegt, in der altheimischen Abgeschlossenheit verharrt hat, unberührt von dem fremden Kriegsmann wie von dem fremden Kaufmann. Bis nach Sicilien hin erstreckten sich die Kreise, die »der gewaltige Zusam¬ menstoß des Ostens und des Westens bei Marathon und Salamis rings umher zog; bis an die südfranzösische Küste und die Meerenge von Gibral¬ tar siedelten die Kaufleute aus dem Osten sich an, Hellenen und Phönikier um die Wette; über die Alpen hinüber, hinein in die reiche Ebene der Lom¬ bardei und in das schöne Hügelland Toscana's strömten die Vorfahren der heutigen Gäcker und Iren. Aber das westliche Mittelitalien, die latinische Landschaft, obwohl in die Mitte dieses Völkergewoges gestellt und zu Wasser wie zu Lande den gleichen Stürmen preisgegeben, blieb im wesentlichen den Latinern eigen. Es war wohl nicht zunächst die größere Kraft dieses Stammes, die ihn vor der Ueberfluthung geschützt hat; auch nicht zunächst der Umstand, wie schwer er auch ins Gewicht fällt, daß die kaufmännische Eroberung durch- aus den Inseln den Vorzug gibt vor dem Festland. Hauptsächlich hat wohl mitgewirkt, daß Latium dem begehrlichen Fremden keine besonderen Vortheile darbot. Hier gab es keine Ackerfluren, wie die um Mailand und Neapel, keine Silbergruben, wie die von Cartagena; hier mangelte es an Häfen, und keine großen Karawanenstraßen liefen hier ans Meer, wie bei Marseille die Zinnstraße von Britannien her, wie bei Trieft und Venedig die Bernstein¬ straße von der Ostsee. Harte Arbeit fanden die Fremden überall, hier aber fanden sie auch nur mäßigen Lohn. So sind sie ferngeblieben und kein Strahl einer vorgeschrittenen Cultur fällt in das Morgengrauen der ladini¬ schen Geschichte. Auch der Menschengeist selbst hat in dieser Landschaft sich erst spät zu regen begonnen. Man darf wohl zweifeln, ob wirklich in Latium energisch die göttliche Morgendämmerung gewaltet hat, in welcher reicher angelegte Nationen jenen geheimnißvollen Grundstamm erzeugten, den wir Sage zu Grenzboten I. 1L70. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/167>, abgerufen am 26.06.2024.