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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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an, das mit der zweiten Lesung angenommen wurde? Der schwächste Punct der
Gladstoneschen Bill ist unserer Ansicht nach, daß sie nicht -- wie Pitt und Grey
beabsichtigten -- irgend welche Ausstattung der katholischen Kirche Irlands in
Aussicht nimmt, sondern das Vermögen der Staatskirche nach Aussterben
der jetzigen Interessenten allein an Spitäler und Irrenhäuser geben will.
Zwar eine Bezahlung der Priester durch den Staat ist nicht wohl möglich,
weil dieselben hartnäckig weigern, eine solche anzunehmen, aber man könnte
den Erlös aus der Säkularisation der bischöflichen Kirche für die Errichtung
passender Wohnungen der Geistlichen aller drei Confessionen anwenden, Die
bischöfliche Geistlichkeit würde ihre gegenwärtigen Kirchen und Wohnungen
behalten, die katholischen Priester und presbyterianischer Geistlichen würden
allmälig die disponibel werden Summen für gleiche Zwecke erhalten. Der
Herzog von Devonshire hat dies System schon freiwillig aus seiner Tasche
auf seinen großen Besitzungen in Irland ausgeführt, das Volk ist dort zu¬
frieden, die Pachter werden pünktlich bezahlt und die Priester sind wohl¬
gesinnt, sie werden durch solche Amtswohnungen an das Kirchspiel und die
Obrigkeit gefesselt. Die bisher angekündigten Amendements der Lords Grey
und Russell würden einer solchen Lösung den Weg bahnen, und es ist wahr¬
scheinlich, daß, nachdem einmal das Princip entschieden, auch die Konserva¬
tivsten wenigstens so viel als möglich zu retten suchen werden. Eine andere
Frage ist es freilich, wie Gladstone diesen Versuch, sein Werk zu verbessern,
aufnehmen wird. Lord Derby nannte ihn in der Debatte den herrschsüchtig¬
sten, befchlerischsten und zugleich unbeugsamsten Minister (tuo most impkrious,
absolute anÄ s,1 tbs fünf eins most erratie ministör), der je Englands
Geschicke gelenkt, und unleugbar ist er heftig, hartnäckig und eigensinnig. Aber
wir hoffen, daß er sich der besseren Einsicht seiner vorurtheilsfreien Freunde
fügen wird, denn Lord Russell selbst befürwortet diese Lösung. Kommt sie
zu Stande, so ist es das Verdienst des Oberhauses.




Wie Beurlaubung des Grafen Sismarck.

Daß Graf Bismarck Urlaub auf eine Reihe von Monaten genommen
mit gänzlicher Ablösung von den Geschäften, und daß er die Stellung eines
preußischen Ministerpräsidenten aufgegeben, das war das wichtigste Ereigniß
der vergangenen Woche, von dem wir wahrscheinlich einen neuen Abschnitt


an, das mit der zweiten Lesung angenommen wurde? Der schwächste Punct der
Gladstoneschen Bill ist unserer Ansicht nach, daß sie nicht — wie Pitt und Grey
beabsichtigten — irgend welche Ausstattung der katholischen Kirche Irlands in
Aussicht nimmt, sondern das Vermögen der Staatskirche nach Aussterben
der jetzigen Interessenten allein an Spitäler und Irrenhäuser geben will.
Zwar eine Bezahlung der Priester durch den Staat ist nicht wohl möglich,
weil dieselben hartnäckig weigern, eine solche anzunehmen, aber man könnte
den Erlös aus der Säkularisation der bischöflichen Kirche für die Errichtung
passender Wohnungen der Geistlichen aller drei Confessionen anwenden, Die
bischöfliche Geistlichkeit würde ihre gegenwärtigen Kirchen und Wohnungen
behalten, die katholischen Priester und presbyterianischer Geistlichen würden
allmälig die disponibel werden Summen für gleiche Zwecke erhalten. Der
Herzog von Devonshire hat dies System schon freiwillig aus seiner Tasche
auf seinen großen Besitzungen in Irland ausgeführt, das Volk ist dort zu¬
frieden, die Pachter werden pünktlich bezahlt und die Priester sind wohl¬
gesinnt, sie werden durch solche Amtswohnungen an das Kirchspiel und die
Obrigkeit gefesselt. Die bisher angekündigten Amendements der Lords Grey
und Russell würden einer solchen Lösung den Weg bahnen, und es ist wahr¬
scheinlich, daß, nachdem einmal das Princip entschieden, auch die Konserva¬
tivsten wenigstens so viel als möglich zu retten suchen werden. Eine andere
Frage ist es freilich, wie Gladstone diesen Versuch, sein Werk zu verbessern,
aufnehmen wird. Lord Derby nannte ihn in der Debatte den herrschsüchtig¬
sten, befchlerischsten und zugleich unbeugsamsten Minister (tuo most impkrious,
absolute anÄ s,1 tbs fünf eins most erratie ministör), der je Englands
Geschicke gelenkt, und unleugbar ist er heftig, hartnäckig und eigensinnig. Aber
wir hoffen, daß er sich der besseren Einsicht seiner vorurtheilsfreien Freunde
fügen wird, denn Lord Russell selbst befürwortet diese Lösung. Kommt sie
zu Stande, so ist es das Verdienst des Oberhauses.




Wie Beurlaubung des Grafen Sismarck.

Daß Graf Bismarck Urlaub auf eine Reihe von Monaten genommen
mit gänzlicher Ablösung von den Geschäften, und daß er die Stellung eines
preußischen Ministerpräsidenten aufgegeben, das war das wichtigste Ereigniß
der vergangenen Woche, von dem wir wahrscheinlich einen neuen Abschnitt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/80>, abgerufen am 28.06.2024.