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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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in der Entwickelung unseres Staates zu datiren haben. Wenn Gegner des
Grafen in diesem Schritt nickt viel mehr als einen Act des Trotzes sehen,
oder gar eine Demonstration, welche seine Unentbehrlichkeit erweisen soll,
so thun sie ihm zuverlässig Unrecht. Es ist zweifellos, daß eine große Geist
und Leib beherrschende Abspannung und Ermüdung ihn gezwungen hat. Er
ist nicht mehr in den Jahren erobernder Jugend, er hat seine geschäftliche
Laufbahn nicht in der regelmäßigen Arbeit des Actentisches, sondern zum
großen Theil in der Fremde in der bequemeren Thätigkeit eines Diplomaten
begonnen, er hat viele Energie seiner Natur im Kampf gegen die preußische
Volksvertretung verbraucht, hat in den kinischen Monaten des Jahres
1866 Stimmungen und Kämpfe durchgemacht, welche wohl kein Sterblicher
ohne Einbuße seiner Kräjte ertragen kann, und er hat darauf in der Er"
Hebung des Sieges das gewaltige Werk auf sich genommen, aus dem Chaos
ein neues Staatsleben zu schaffen, Ist es zu verwundern, daß ihm die
Kraft versagt, die er im vorigen Jahr nur unvollständig wiedergewonnen?
Wir betrachten mit menschlichem Antheil die Erkrankung, und der Dank,
welchen ihm die Nation schuldet, möge, so wünschen wir. ein Helles Licht
auf die Tage seiner Zurückgezogenheit weifen. Aber es ist auch unmöglich,
die Ansicht fern zu halten, daß seine gemüthliche N-ete>ges.blagenheit durch
eine peinliche immer schwerer lastende Empfindung vergiößert worden ist,
durch die Empfindung, daß für seine Natur in der Lage, die er sich selbst
geschaffen, nicht weiter zu kommen ist. Seine ganze Leitung der Geschäfte
war das Antreiben einer sehr künstlichen Maschine, nur er verstand Stift
und Schraube in Arbeit zu erhalten, wenn ihm einmal ein Theil versagte
oder wider seinen Willen rotirte, dann mußte der ganze Mechanismus ins
Stocken kommen. Schon im Jahr 1867 wurde das deutlich, aber gern beruhigte
sich der Deutsche durch die Hoffnung, die neue Verfassung des Bundes sei
nur der Anfang für eine consequentere und einfachere Organisation, Grund¬
lage zu energischem Ausbau. Unterdeß sind die Reibungen stärker geworden
als der Meister.

Eine amerikanische Zeitung hat vor Kurzem ein Gespräch des Grafen
Bismarck mitgetheilt, in welchem derselbe der Majontcit des Reichstages
die Schuld an dem Mißlingen seiner beabsichtigten Finanzoperationen zu¬
geschrieben haben soll. Dieser Bericht ist ein mißlungener Versuch, die That¬
sachen für das Ausland und kommende Geschlechter zu Gunsten des Grafen
unrichtig darzustellen. Nicht der Reichstag hat den Bundeskanzler im Stich
gelassen, sondern der Bundeskanzler hat dem Reichstage mehr zugemuthet,
als die wärmsten Anhänger seiner Politik auf ihr Gewissen nehmen konnten.
Wenn die Majorität im Reichstage sich gegen jede der proponirten Steuern


Grenzboten III. 1869. 10

in der Entwickelung unseres Staates zu datiren haben. Wenn Gegner des
Grafen in diesem Schritt nickt viel mehr als einen Act des Trotzes sehen,
oder gar eine Demonstration, welche seine Unentbehrlichkeit erweisen soll,
so thun sie ihm zuverlässig Unrecht. Es ist zweifellos, daß eine große Geist
und Leib beherrschende Abspannung und Ermüdung ihn gezwungen hat. Er
ist nicht mehr in den Jahren erobernder Jugend, er hat seine geschäftliche
Laufbahn nicht in der regelmäßigen Arbeit des Actentisches, sondern zum
großen Theil in der Fremde in der bequemeren Thätigkeit eines Diplomaten
begonnen, er hat viele Energie seiner Natur im Kampf gegen die preußische
Volksvertretung verbraucht, hat in den kinischen Monaten des Jahres
1866 Stimmungen und Kämpfe durchgemacht, welche wohl kein Sterblicher
ohne Einbuße seiner Kräjte ertragen kann, und er hat darauf in der Er«
Hebung des Sieges das gewaltige Werk auf sich genommen, aus dem Chaos
ein neues Staatsleben zu schaffen, Ist es zu verwundern, daß ihm die
Kraft versagt, die er im vorigen Jahr nur unvollständig wiedergewonnen?
Wir betrachten mit menschlichem Antheil die Erkrankung, und der Dank,
welchen ihm die Nation schuldet, möge, so wünschen wir. ein Helles Licht
auf die Tage seiner Zurückgezogenheit weifen. Aber es ist auch unmöglich,
die Ansicht fern zu halten, daß seine gemüthliche N-ete>ges.blagenheit durch
eine peinliche immer schwerer lastende Empfindung vergiößert worden ist,
durch die Empfindung, daß für seine Natur in der Lage, die er sich selbst
geschaffen, nicht weiter zu kommen ist. Seine ganze Leitung der Geschäfte
war das Antreiben einer sehr künstlichen Maschine, nur er verstand Stift
und Schraube in Arbeit zu erhalten, wenn ihm einmal ein Theil versagte
oder wider seinen Willen rotirte, dann mußte der ganze Mechanismus ins
Stocken kommen. Schon im Jahr 1867 wurde das deutlich, aber gern beruhigte
sich der Deutsche durch die Hoffnung, die neue Verfassung des Bundes sei
nur der Anfang für eine consequentere und einfachere Organisation, Grund¬
lage zu energischem Ausbau. Unterdeß sind die Reibungen stärker geworden
als der Meister.

Eine amerikanische Zeitung hat vor Kurzem ein Gespräch des Grafen
Bismarck mitgetheilt, in welchem derselbe der Majontcit des Reichstages
die Schuld an dem Mißlingen seiner beabsichtigten Finanzoperationen zu¬
geschrieben haben soll. Dieser Bericht ist ein mißlungener Versuch, die That¬
sachen für das Ausland und kommende Geschlechter zu Gunsten des Grafen
unrichtig darzustellen. Nicht der Reichstag hat den Bundeskanzler im Stich
gelassen, sondern der Bundeskanzler hat dem Reichstage mehr zugemuthet,
als die wärmsten Anhänger seiner Politik auf ihr Gewissen nehmen konnten.
Wenn die Majorität im Reichstage sich gegen jede der proponirten Steuern


Grenzboten III. 1869. 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/81>, abgerufen am 01.07.2024.