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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Vor 1848 indeß gab es'freigesinnte Deutsche, die den Bibelbuchstaben¬
dienst der Engländer und Amerikaner zu den Geheimnissen der angelsäch¬
sischen Erbweisheit zu rechnen schienen. Der geiht- und talentvolle Sealsfield
unter Andern, dessen Schriften einst die Sympathie für Nordamerika mächtig
nährten, spricht mehrmals mit Achtung von der steifen Rechtgläubigkeit Neu¬
englands, und läßt durchblicken, daß er sie als die unerläßliche Bedingung --
(oder Kehrseite?) -- politischer Freiheit ansehe, -- als glaubte er, die arme
menschliche Natur sei zu schwach, um auf zwei Gebieten zugleich sich selbst zu
regieren. Nun, wenn auch die große Glocke der englischen Meinung die
Times über die Religionslosigkeit der Deutschen brummt, so fehlt es uns
doch.^veiß Gott, nicht an Stillen und Frommen im Lande. Aber Niemand
betrachtet sie als Stützen nationaler Unabhängigkeit oder als Gründer
deutscher Macht und Größe, wie einst die Puritaner die der angelsächsischen
waren. Eckig und gallig und finster wie das Wesen der ersten Puritaner
fein mochte, sie hatten wenigstens Mark in den Knochen: ihre Nachfolger in
aller Herren Ländern haben von ihnen nichts, als -- die Grazie.


Jak. Gilden.


Literatur.

Briefe von Alexander von Humboldt an Christian Carl Josias
Freiherr von Bunsen. (Leipzig bei F. A. Brockhaus.) 209 S. in 12.

Das Jahr 1769 war bekanntlich an großen und ausgezeichneten Männern
(Napoleon, Wellington, Canning, Chateaubriand, Moreau, Kleber, Mehemed Ali
u. A. in.) besonders reich. Für uns Deutsche ist es vornehmlich als Geburtsjahr
Alexander von Humboldt's von Bedeutung und die festliche Begehung des 14. Sep¬
tember, an welchem der Verfasser des Kosmos hundert Jahre alt geworden wäre,
ist eine Ehrensache gewesen, wo immer nur Deutsche leben, freilich ohne auf diese
beschränkt zu bleiben. An kleineren und größeren Festschriften, namentlich solchen,
welche darauf abzielten, die Bedeutung des großen Forschers weiteren Kreisen zu¬
gänglich zu machen, ist natürlich kein Mangel gewesen. Bon größerem Interesse
als weitaus die größte Zahl derselben ist die in diesen Tagen ausgegebene Samm¬
lung von 92 Briefen, welche Humboldt in den Jahren 1816 bis 1856 an Bunsen
gerichtet hatte und welche sich auf Gegenstände der verschiedensten Art beziehen.


Vor 1848 indeß gab es'freigesinnte Deutsche, die den Bibelbuchstaben¬
dienst der Engländer und Amerikaner zu den Geheimnissen der angelsäch¬
sischen Erbweisheit zu rechnen schienen. Der geiht- und talentvolle Sealsfield
unter Andern, dessen Schriften einst die Sympathie für Nordamerika mächtig
nährten, spricht mehrmals mit Achtung von der steifen Rechtgläubigkeit Neu¬
englands, und läßt durchblicken, daß er sie als die unerläßliche Bedingung —
(oder Kehrseite?) — politischer Freiheit ansehe, — als glaubte er, die arme
menschliche Natur sei zu schwach, um auf zwei Gebieten zugleich sich selbst zu
regieren. Nun, wenn auch die große Glocke der englischen Meinung die
Times über die Religionslosigkeit der Deutschen brummt, so fehlt es uns
doch.^veiß Gott, nicht an Stillen und Frommen im Lande. Aber Niemand
betrachtet sie als Stützen nationaler Unabhängigkeit oder als Gründer
deutscher Macht und Größe, wie einst die Puritaner die der angelsächsischen
waren. Eckig und gallig und finster wie das Wesen der ersten Puritaner
fein mochte, sie hatten wenigstens Mark in den Knochen: ihre Nachfolger in
aller Herren Ländern haben von ihnen nichts, als — die Grazie.


Jak. Gilden.


Literatur.

Briefe von Alexander von Humboldt an Christian Carl Josias
Freiherr von Bunsen. (Leipzig bei F. A. Brockhaus.) 209 S. in 12.

Das Jahr 1769 war bekanntlich an großen und ausgezeichneten Männern
(Napoleon, Wellington, Canning, Chateaubriand, Moreau, Kleber, Mehemed Ali
u. A. in.) besonders reich. Für uns Deutsche ist es vornehmlich als Geburtsjahr
Alexander von Humboldt's von Bedeutung und die festliche Begehung des 14. Sep¬
tember, an welchem der Verfasser des Kosmos hundert Jahre alt geworden wäre,
ist eine Ehrensache gewesen, wo immer nur Deutsche leben, freilich ohne auf diese
beschränkt zu bleiben. An kleineren und größeren Festschriften, namentlich solchen,
welche darauf abzielten, die Bedeutung des großen Forschers weiteren Kreisen zu¬
gänglich zu machen, ist natürlich kein Mangel gewesen. Bon größerem Interesse
als weitaus die größte Zahl derselben ist die in diesen Tagen ausgegebene Samm¬
lung von 92 Briefen, welche Humboldt in den Jahren 1816 bis 1856 an Bunsen
gerichtet hatte und welche sich auf Gegenstände der verschiedensten Art beziehen.


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[0487] Vor 1848 indeß gab es'freigesinnte Deutsche, die den Bibelbuchstaben¬ dienst der Engländer und Amerikaner zu den Geheimnissen der angelsäch¬ sischen Erbweisheit zu rechnen schienen. Der geiht- und talentvolle Sealsfield unter Andern, dessen Schriften einst die Sympathie für Nordamerika mächtig nährten, spricht mehrmals mit Achtung von der steifen Rechtgläubigkeit Neu¬ englands, und läßt durchblicken, daß er sie als die unerläßliche Bedingung — (oder Kehrseite?) — politischer Freiheit ansehe, — als glaubte er, die arme menschliche Natur sei zu schwach, um auf zwei Gebieten zugleich sich selbst zu regieren. Nun, wenn auch die große Glocke der englischen Meinung die Times über die Religionslosigkeit der Deutschen brummt, so fehlt es uns doch.^veiß Gott, nicht an Stillen und Frommen im Lande. Aber Niemand betrachtet sie als Stützen nationaler Unabhängigkeit oder als Gründer deutscher Macht und Größe, wie einst die Puritaner die der angelsächsischen waren. Eckig und gallig und finster wie das Wesen der ersten Puritaner fein mochte, sie hatten wenigstens Mark in den Knochen: ihre Nachfolger in aller Herren Ländern haben von ihnen nichts, als — die Grazie. Jak. Gilden. Literatur. Briefe von Alexander von Humboldt an Christian Carl Josias Freiherr von Bunsen. (Leipzig bei F. A. Brockhaus.) 209 S. in 12. Das Jahr 1769 war bekanntlich an großen und ausgezeichneten Männern (Napoleon, Wellington, Canning, Chateaubriand, Moreau, Kleber, Mehemed Ali u. A. in.) besonders reich. Für uns Deutsche ist es vornehmlich als Geburtsjahr Alexander von Humboldt's von Bedeutung und die festliche Begehung des 14. Sep¬ tember, an welchem der Verfasser des Kosmos hundert Jahre alt geworden wäre, ist eine Ehrensache gewesen, wo immer nur Deutsche leben, freilich ohne auf diese beschränkt zu bleiben. An kleineren und größeren Festschriften, namentlich solchen, welche darauf abzielten, die Bedeutung des großen Forschers weiteren Kreisen zu¬ gänglich zu machen, ist natürlich kein Mangel gewesen. Bon größerem Interesse als weitaus die größte Zahl derselben ist die in diesen Tagen ausgegebene Samm¬ lung von 92 Briefen, welche Humboldt in den Jahren 1816 bis 1856 an Bunsen gerichtet hatte und welche sich auf Gegenstände der verschiedensten Art beziehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/487>, abgerufen am 28.06.2024.