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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Wie piemontesische Politik in den Jahren 1847--185V.
I.

Die beiden neuesten Bände von Nicomede Bianchi's diplomatischer Ge¬
schichte Italiens*), der 5, und 6,, behandeln den Zeitraum von 1847--1850.
Es ist die Geschichte der Bewegung, deren drei rasch und logisch auf ein¬
ander folgende Phasen an der Hand eines reichen Actenmaterials sich vor uns
entrollen: erst die reformistische, dann die constitutionelle, endlich die revo¬
lutionäre, -- wie nach den Gesetzen des Falls immer die folgende kürzer und
jäher dem Abgrund der Reaction wieder zutreibend, der in kurzer Zeit die
Erlebnisse von drei stürmischen Jahren in seinem Schooße begräbt und nichts
übrig läßt, als die Erinnerung an großes Wollen und kleine Thaten, die
Kerker und Exile, und die Lehren für die Zukunft. Ein einziger Staat
hält sich in diesem furchtbaren Zusammenbruch einer enthusiastisch begonnenen
Bewegung aufrecht, derselbe, der in diesen Jahren mehr gethan und mehr
geopfert hatte als alle, und nun erst im Unglück bewährt, in seinen Zielen
unerschüttert der feste Mittelpunkt für die Hoffnungen Italiens wurde. Was
man in unsern Tagen so oft von Oestreich wiederholt, daß es aus seinen
Niederlagen die Kraft seiner Verjüngung geschöpft habe, hat man zuerst, und
mit mehr Recht, von Piemont und seiner Niederlage bei Novara gesagt.
Bicmchi schließt den 6. 'Band nicht, ohne nach Erzählung der einförmigen
Reaction, die sonst auf allen Punkten der Halbinsel das Geschehene wie nicht
geschehen auslöschte, noch zu schildern, wie Piemont nach jener unglücklichen
Schlacht sich wieder ausrichtete, das constitutionelle Regiment sich Dank dem
König und seinem Minister Mcissiamo d'Azeglio befestigte, in der Handels¬
politik zuerst wieder der Gegensatz zu Oestreich sich schärfte, gleichzeitig die
Siccardischen Gesetze den Kampf gegen die Kurie eröffneten, und die natio¬
nale Treue seiner Regierung diesem Staat in kurzer Zeit eine ganz andere
Stellung verschaffte, als er vor Novara inne hatte. Dies war die Erbschaft,
welche aus Azeglios Händen Cavour empfing, und der nächste Band wird



') Vgl. Grenzboten 186!). II. S. 219.
GttNjdvieu III. 18ö9.36
Wie piemontesische Politik in den Jahren 1847—185V.
I.

Die beiden neuesten Bände von Nicomede Bianchi's diplomatischer Ge¬
schichte Italiens*), der 5, und 6,, behandeln den Zeitraum von 1847—1850.
Es ist die Geschichte der Bewegung, deren drei rasch und logisch auf ein¬
ander folgende Phasen an der Hand eines reichen Actenmaterials sich vor uns
entrollen: erst die reformistische, dann die constitutionelle, endlich die revo¬
lutionäre, — wie nach den Gesetzen des Falls immer die folgende kürzer und
jäher dem Abgrund der Reaction wieder zutreibend, der in kurzer Zeit die
Erlebnisse von drei stürmischen Jahren in seinem Schooße begräbt und nichts
übrig läßt, als die Erinnerung an großes Wollen und kleine Thaten, die
Kerker und Exile, und die Lehren für die Zukunft. Ein einziger Staat
hält sich in diesem furchtbaren Zusammenbruch einer enthusiastisch begonnenen
Bewegung aufrecht, derselbe, der in diesen Jahren mehr gethan und mehr
geopfert hatte als alle, und nun erst im Unglück bewährt, in seinen Zielen
unerschüttert der feste Mittelpunkt für die Hoffnungen Italiens wurde. Was
man in unsern Tagen so oft von Oestreich wiederholt, daß es aus seinen
Niederlagen die Kraft seiner Verjüngung geschöpft habe, hat man zuerst, und
mit mehr Recht, von Piemont und seiner Niederlage bei Novara gesagt.
Bicmchi schließt den 6. 'Band nicht, ohne nach Erzählung der einförmigen
Reaction, die sonst auf allen Punkten der Halbinsel das Geschehene wie nicht
geschehen auslöschte, noch zu schildern, wie Piemont nach jener unglücklichen
Schlacht sich wieder ausrichtete, das constitutionelle Regiment sich Dank dem
König und seinem Minister Mcissiamo d'Azeglio befestigte, in der Handels¬
politik zuerst wieder der Gegensatz zu Oestreich sich schärfte, gleichzeitig die
Siccardischen Gesetze den Kampf gegen die Kurie eröffneten, und die natio¬
nale Treue seiner Regierung diesem Staat in kurzer Zeit eine ganz andere
Stellung verschaffte, als er vor Novara inne hatte. Dies war die Erbschaft,
welche aus Azeglios Händen Cavour empfing, und der nächste Band wird



') Vgl. Grenzboten 186!). II. S. 219.
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[0289] Wie piemontesische Politik in den Jahren 1847—185V. I. Die beiden neuesten Bände von Nicomede Bianchi's diplomatischer Ge¬ schichte Italiens*), der 5, und 6,, behandeln den Zeitraum von 1847—1850. Es ist die Geschichte der Bewegung, deren drei rasch und logisch auf ein¬ ander folgende Phasen an der Hand eines reichen Actenmaterials sich vor uns entrollen: erst die reformistische, dann die constitutionelle, endlich die revo¬ lutionäre, — wie nach den Gesetzen des Falls immer die folgende kürzer und jäher dem Abgrund der Reaction wieder zutreibend, der in kurzer Zeit die Erlebnisse von drei stürmischen Jahren in seinem Schooße begräbt und nichts übrig läßt, als die Erinnerung an großes Wollen und kleine Thaten, die Kerker und Exile, und die Lehren für die Zukunft. Ein einziger Staat hält sich in diesem furchtbaren Zusammenbruch einer enthusiastisch begonnenen Bewegung aufrecht, derselbe, der in diesen Jahren mehr gethan und mehr geopfert hatte als alle, und nun erst im Unglück bewährt, in seinen Zielen unerschüttert der feste Mittelpunkt für die Hoffnungen Italiens wurde. Was man in unsern Tagen so oft von Oestreich wiederholt, daß es aus seinen Niederlagen die Kraft seiner Verjüngung geschöpft habe, hat man zuerst, und mit mehr Recht, von Piemont und seiner Niederlage bei Novara gesagt. Bicmchi schließt den 6. 'Band nicht, ohne nach Erzählung der einförmigen Reaction, die sonst auf allen Punkten der Halbinsel das Geschehene wie nicht geschehen auslöschte, noch zu schildern, wie Piemont nach jener unglücklichen Schlacht sich wieder ausrichtete, das constitutionelle Regiment sich Dank dem König und seinem Minister Mcissiamo d'Azeglio befestigte, in der Handels¬ politik zuerst wieder der Gegensatz zu Oestreich sich schärfte, gleichzeitig die Siccardischen Gesetze den Kampf gegen die Kurie eröffneten, und die natio¬ nale Treue seiner Regierung diesem Staat in kurzer Zeit eine ganz andere Stellung verschaffte, als er vor Novara inne hatte. Dies war die Erbschaft, welche aus Azeglios Händen Cavour empfing, und der nächste Band wird ') Vgl. Grenzboten 186!). II. S. 219. GttNjdvieu III. 18ö9.36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/289>, abgerufen am 03.07.2024.