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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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unmittelbar in die Stciatsleitung des Mannes einführen, der nach dem Ver¬
lauf eines Jahrzehnts Novara rächen sollte.

Der Werth dieses in hohem Grad interessanten Werks, auf das wir
wiederholt die Leser der grünen Blätter hingewiesen haben, besteht in der
Sammlung von erstmals veröffentlichten diplomatischen Ackerstücken, die durch
eine ziemlich lose Geschichtserzählung mit einander verknüpft sind. Nun sind
gerade die Revolutionsjahre, auch was die diplomatische Geschichte betrifft,
schon bisher genauer aufgehellt als die frühere Periode. Das von Reuchlin
ausgiebig benutzte englische Blaubuch hat die Verhandlungen vom Sommer
1848 wegen der Lombardei ans Licht gezogen, Bastide hat die Politik der
französischen Republik erschlossen, die Verhandlungen wegen Siciliens sind
durch Lafarina's Geschichte der sicilischen Revolution bekannt, Venedigs Dip¬
lomatie ist großentheils durch die Lebensbeschreibung Pasini's von R. Bonghi
blosgelegt, und auch sonst ist, wie bei dem Charakter der damaligen Re¬
gierungen erklärlich, eine Menge amtlichen Materials längst der Oeffenrlich-
keit übergeben. Es war also mehr eine Nachlese, die Bianchi aus den neu
eröffneten Staatsarchiven für diese Periode zu geben hatte. Aber auch diese
Nachlese ist reich genug ausgefallen, im Ganzen steigt der Werth seiner Ver¬
öffentlichung mit jedem Bande. Insbesondere was die Politik der italieni¬
schen Staaten unter einander betrifft, die Bündnißversuche und wieder die
natürlichen Antagonismen und Eifersüchteleien, die so großen Einfluß aus
den Gang des Kriegs und das Schlußergebniß der Revolution gehabt haben,
findet sich bei Bianchi viel Neues, das einem künftigen Geschichtschreiber
dieser Periode zu gut kommen wird. Im Nachstehenden versuchen wir, wie
in unsern früheren Mittheilungen, hervorzuheben was zur Charakteristik der
piemontesischen Staatskunst in dieser Zeit dient.

So lange Solaro della Margherita am Ruder war, suchte er den König
Karl Albert streng auf dem Weg der Legitimität und der östreichischen Freund¬
schaft zu halten. Im August 1846, als in Rom der Jubel über die Amnestie
des neugewählten Papstes auf seinem Höhepunkt stand, begab sich der Minister
selbst nach der ewigen Stadt und schilderte von hier aus dem König die
Zustände des römischen Staats in den schwärzesten Farben, Mit Entsetzen
sah er eine zügellose Revolution Heraufziehen, die mit allgemeinem Verderben
endigen werde, wenn nicht Frankreichs und Oestreichs gemeinsame bewaffnete
Einmischung ihr einen Damm entgegensetzten. In gleichem Sinne bearbeiteten
die Jesuiten den König, den ohnedies seine körperlichen Zustände nach jedem
versuchten Aufschwung wieder in die tiefste Depression zurückwarfen. Aber
auch an Gegenwirkungen fehlte es nicht, die auf den schlummernden Ehrgeiz
des Königs berechnet waren, und welchen die wachsende Gährung der Geister
immer kräftigere Argumente lieferte. Während er noch den Sonderbunds-


unmittelbar in die Stciatsleitung des Mannes einführen, der nach dem Ver¬
lauf eines Jahrzehnts Novara rächen sollte.

Der Werth dieses in hohem Grad interessanten Werks, auf das wir
wiederholt die Leser der grünen Blätter hingewiesen haben, besteht in der
Sammlung von erstmals veröffentlichten diplomatischen Ackerstücken, die durch
eine ziemlich lose Geschichtserzählung mit einander verknüpft sind. Nun sind
gerade die Revolutionsjahre, auch was die diplomatische Geschichte betrifft,
schon bisher genauer aufgehellt als die frühere Periode. Das von Reuchlin
ausgiebig benutzte englische Blaubuch hat die Verhandlungen vom Sommer
1848 wegen der Lombardei ans Licht gezogen, Bastide hat die Politik der
französischen Republik erschlossen, die Verhandlungen wegen Siciliens sind
durch Lafarina's Geschichte der sicilischen Revolution bekannt, Venedigs Dip¬
lomatie ist großentheils durch die Lebensbeschreibung Pasini's von R. Bonghi
blosgelegt, und auch sonst ist, wie bei dem Charakter der damaligen Re¬
gierungen erklärlich, eine Menge amtlichen Materials längst der Oeffenrlich-
keit übergeben. Es war also mehr eine Nachlese, die Bianchi aus den neu
eröffneten Staatsarchiven für diese Periode zu geben hatte. Aber auch diese
Nachlese ist reich genug ausgefallen, im Ganzen steigt der Werth seiner Ver¬
öffentlichung mit jedem Bande. Insbesondere was die Politik der italieni¬
schen Staaten unter einander betrifft, die Bündnißversuche und wieder die
natürlichen Antagonismen und Eifersüchteleien, die so großen Einfluß aus
den Gang des Kriegs und das Schlußergebniß der Revolution gehabt haben,
findet sich bei Bianchi viel Neues, das einem künftigen Geschichtschreiber
dieser Periode zu gut kommen wird. Im Nachstehenden versuchen wir, wie
in unsern früheren Mittheilungen, hervorzuheben was zur Charakteristik der
piemontesischen Staatskunst in dieser Zeit dient.

So lange Solaro della Margherita am Ruder war, suchte er den König
Karl Albert streng auf dem Weg der Legitimität und der östreichischen Freund¬
schaft zu halten. Im August 1846, als in Rom der Jubel über die Amnestie
des neugewählten Papstes auf seinem Höhepunkt stand, begab sich der Minister
selbst nach der ewigen Stadt und schilderte von hier aus dem König die
Zustände des römischen Staats in den schwärzesten Farben, Mit Entsetzen
sah er eine zügellose Revolution Heraufziehen, die mit allgemeinem Verderben
endigen werde, wenn nicht Frankreichs und Oestreichs gemeinsame bewaffnete
Einmischung ihr einen Damm entgegensetzten. In gleichem Sinne bearbeiteten
die Jesuiten den König, den ohnedies seine körperlichen Zustände nach jedem
versuchten Aufschwung wieder in die tiefste Depression zurückwarfen. Aber
auch an Gegenwirkungen fehlte es nicht, die auf den schlummernden Ehrgeiz
des Königs berechnet waren, und welchen die wachsende Gährung der Geister
immer kräftigere Argumente lieferte. Während er noch den Sonderbunds-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/290>, abgerufen am 03.07.2024.