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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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das in der Schweiz so beliebte Princip des Mehrheitsdespotimus geltend ge¬
macht und ist damit eine Verlängerung der leidenschaftlichen Kampfbereit¬
schaft der beiden Parteien in Aussicht gestellt. Es ist dies umsomehr zu be¬
klagen, als die neuen höchsten Behörden zur Durchführung der Verfassung
eine Menge von Gesetzen neu zu schaffen haben, welche nur durch ein harmo¬
nisches Zusammenwirken der Parteien erzielt werden können. --




Aus Mecklmlmrg^Schwerin.

Seit dem 1. Juli besitzen wir in der Person des Grafen v. Bassewitz,
des bekannten Reichstagsabgeordneten, einen neuen Ministerpräsidenten und
Minister des Auswärtigen; sein Vorgänger, v. Oertzen, hat sich in das
Privatleben zurückgezogen. Auch in denjenigen Kreisen, welche sich sonst für
berufen halten, bei solchen Veranlassungen, die Abgehenden wie die Kom¬
menden mit den Klängen der Posaune zu feiern, vollzog sich dieser Personen¬
wechsel in größter Stille. Man las eines Tages, unter anderen Bekannt¬
machungen versteckt, die Anzeige von der erfolgten Veränderung in dem
höchsten Verwaltungsamt, und das ministerielle Blatt hatte kein Wort der
Anerkennung für den zurückgetretenen Minister, welcher in aller Stille die
Residenz verließ, und kein Wort der hoffenden und preisender Erwartung für
den Nachfolger. Es begnügte sich mit der trockenen Andeutung, die für einen
Kenner der Personen und Verhältnisse nichts Neues enthielt, daß der Per¬
sonenwechsel nicht als Systemwechsel aufgefaßt werden dürfe, weil in Mecklen¬
burg der Großherzog ein persönliches Regiment führe.

Es mag auch wohl ganz vorsichtig gehandelt sein, wenn die herrschende
Partei sich nicht zu fest an die Person des Ministerpräsidenten hängt, da
über diesem Amt in unserem Lande seit zwanzig Jahren ein besonderer Unstern
waltet. Der Ministerpräsident v. Lützow, welchem beschieden gewesen war,
in vollem Einverständnisse mit dem Großherzog dessen öffentlich erklärten
Willen, daß Mecklenburg unverzüglich in die Reihe der constitutionellen Staa¬
ten trete, zur Ausführung zu bringen und in friedlichem und gesetzlichem
Wege dem Lande die Segnungen konstitutioneller Einrichtungen zu schaffen,
sah sich genöthigt, sein Amt niederzulegen, weil er als Mann von Wort
und Ehre nicht die Hand dazu bieten mochte, das von ihm beschworene, in
anerkannter Wirksamkeit bestehende Staatsgrundgesetz wieder umzustoßen.
Sein Nachfolger, Gras v. Bülow, ein preußischer Diplomat, übernahm


Grenzboten III. 1869. 33

das in der Schweiz so beliebte Princip des Mehrheitsdespotimus geltend ge¬
macht und ist damit eine Verlängerung der leidenschaftlichen Kampfbereit¬
schaft der beiden Parteien in Aussicht gestellt. Es ist dies umsomehr zu be¬
klagen, als die neuen höchsten Behörden zur Durchführung der Verfassung
eine Menge von Gesetzen neu zu schaffen haben, welche nur durch ein harmo¬
nisches Zusammenwirken der Parteien erzielt werden können. —




Aus Mecklmlmrg^Schwerin.

Seit dem 1. Juli besitzen wir in der Person des Grafen v. Bassewitz,
des bekannten Reichstagsabgeordneten, einen neuen Ministerpräsidenten und
Minister des Auswärtigen; sein Vorgänger, v. Oertzen, hat sich in das
Privatleben zurückgezogen. Auch in denjenigen Kreisen, welche sich sonst für
berufen halten, bei solchen Veranlassungen, die Abgehenden wie die Kom¬
menden mit den Klängen der Posaune zu feiern, vollzog sich dieser Personen¬
wechsel in größter Stille. Man las eines Tages, unter anderen Bekannt¬
machungen versteckt, die Anzeige von der erfolgten Veränderung in dem
höchsten Verwaltungsamt, und das ministerielle Blatt hatte kein Wort der
Anerkennung für den zurückgetretenen Minister, welcher in aller Stille die
Residenz verließ, und kein Wort der hoffenden und preisender Erwartung für
den Nachfolger. Es begnügte sich mit der trockenen Andeutung, die für einen
Kenner der Personen und Verhältnisse nichts Neues enthielt, daß der Per¬
sonenwechsel nicht als Systemwechsel aufgefaßt werden dürfe, weil in Mecklen¬
burg der Großherzog ein persönliches Regiment führe.

Es mag auch wohl ganz vorsichtig gehandelt sein, wenn die herrschende
Partei sich nicht zu fest an die Person des Ministerpräsidenten hängt, da
über diesem Amt in unserem Lande seit zwanzig Jahren ein besonderer Unstern
waltet. Der Ministerpräsident v. Lützow, welchem beschieden gewesen war,
in vollem Einverständnisse mit dem Großherzog dessen öffentlich erklärten
Willen, daß Mecklenburg unverzüglich in die Reihe der constitutionellen Staa¬
ten trete, zur Ausführung zu bringen und in friedlichem und gesetzlichem
Wege dem Lande die Segnungen konstitutioneller Einrichtungen zu schaffen,
sah sich genöthigt, sein Amt niederzulegen, weil er als Mann von Wort
und Ehre nicht die Hand dazu bieten mochte, das von ihm beschworene, in
anerkannter Wirksamkeit bestehende Staatsgrundgesetz wieder umzustoßen.
Sein Nachfolger, Gras v. Bülow, ein preußischer Diplomat, übernahm


Grenzboten III. 1869. 33
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[0265] das in der Schweiz so beliebte Princip des Mehrheitsdespotimus geltend ge¬ macht und ist damit eine Verlängerung der leidenschaftlichen Kampfbereit¬ schaft der beiden Parteien in Aussicht gestellt. Es ist dies umsomehr zu be¬ klagen, als die neuen höchsten Behörden zur Durchführung der Verfassung eine Menge von Gesetzen neu zu schaffen haben, welche nur durch ein harmo¬ nisches Zusammenwirken der Parteien erzielt werden können. — Aus Mecklmlmrg^Schwerin. Seit dem 1. Juli besitzen wir in der Person des Grafen v. Bassewitz, des bekannten Reichstagsabgeordneten, einen neuen Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen; sein Vorgänger, v. Oertzen, hat sich in das Privatleben zurückgezogen. Auch in denjenigen Kreisen, welche sich sonst für berufen halten, bei solchen Veranlassungen, die Abgehenden wie die Kom¬ menden mit den Klängen der Posaune zu feiern, vollzog sich dieser Personen¬ wechsel in größter Stille. Man las eines Tages, unter anderen Bekannt¬ machungen versteckt, die Anzeige von der erfolgten Veränderung in dem höchsten Verwaltungsamt, und das ministerielle Blatt hatte kein Wort der Anerkennung für den zurückgetretenen Minister, welcher in aller Stille die Residenz verließ, und kein Wort der hoffenden und preisender Erwartung für den Nachfolger. Es begnügte sich mit der trockenen Andeutung, die für einen Kenner der Personen und Verhältnisse nichts Neues enthielt, daß der Per¬ sonenwechsel nicht als Systemwechsel aufgefaßt werden dürfe, weil in Mecklen¬ burg der Großherzog ein persönliches Regiment führe. Es mag auch wohl ganz vorsichtig gehandelt sein, wenn die herrschende Partei sich nicht zu fest an die Person des Ministerpräsidenten hängt, da über diesem Amt in unserem Lande seit zwanzig Jahren ein besonderer Unstern waltet. Der Ministerpräsident v. Lützow, welchem beschieden gewesen war, in vollem Einverständnisse mit dem Großherzog dessen öffentlich erklärten Willen, daß Mecklenburg unverzüglich in die Reihe der constitutionellen Staa¬ ten trete, zur Ausführung zu bringen und in friedlichem und gesetzlichem Wege dem Lande die Segnungen konstitutioneller Einrichtungen zu schaffen, sah sich genöthigt, sein Amt niederzulegen, weil er als Mann von Wort und Ehre nicht die Hand dazu bieten mochte, das von ihm beschworene, in anerkannter Wirksamkeit bestehende Staatsgrundgesetz wieder umzustoßen. Sein Nachfolger, Gras v. Bülow, ein preußischer Diplomat, übernahm Grenzboten III. 1869. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/265>, abgerufen am 03.07.2024.