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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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König Wilhelm in Bremen und Hannover..

Als König Wilhelm im vorigen Herbst Hamburg und Lübeck besuchte,
ließ man in Bremen die Köpfe ein wenig hängen. Man glaubte sich im
Jahre 1866 einen ebenso guten Anspruch auf diese Ehre erworben zu haben;
man war sich bewußt, dem Gründer und Schirmherrn des norddeutschen
Bundes, wenn er käme, keine geringeren Sympathien entgegenzutragen. Dazu
kam, daß die territorialen Veränderungen von 1866 für Bremen, das bisher
von Hannover vollständig enclavirt gewesen war, eine besonders große Rolle
gespielt und diese Hansestadt plötzlich zur nahen Nachbarin Preußens gemacht
hatten. So war der Wunsch nach persönlicher Bekanntschaft mit dem Ober-
haupr der Nation noch verstärkt durch das Verlangen, den mächtigen Nachbar,
der plötzlich von der Elbe an die Weser gerückt war, als Gastfreund in den
eigenen Mauern zu sehen. Da Bremen jedoch einmal (schon weil es noch
immer keine grade und kurze Eisenbahnverbindung von der Elbe zur Weser gibt)
in den vorjährigen Reiseplan nicht hineinpaßte, so rechnete man desto sicherer
auf dieses Jahr; und schon beim Beginn des Sommers sollte diese Hoffnung in
Erfüllung gehen. Sobald die Absicht des Königs feststand, fingen die Köpfe an,
sich mit den nöthigen Vorbereitungen zu beschäftigen. Bremen ist mehr eine
hübsche und behagliche, als eine interessante Stadt; für verwöhnte Fremde hat
es wenig Sehenswerthes. So glaubte der Senat denn im voraus von zu hohen
Erwartungen abrathen zu müssen, aber einen guten, herzlichen Empfang stellte
er allerdings in Aussicht, und diesen äußerlich in die Augen fallen zu lassen
beeiferten sich frühzeitig Alle, die etwas dazu thun konnten. In der histori¬
schen Abtheilung des Künstlervereins, wo Senator Smidt aus Anlaß des
gehofften königlichen Besuchs eine ältere, freundnachbarliche Beziehung zwischen
Preußen und Bremen ans Licht zog, erinnerte man sich, daß seit Kaiser
Heinrich dem Dritten, also seit mehr als acht Jahrhunderten kein Oberhaupt
der Deutschen an der unteren Weser erschienen sei, und steigerte so in sich
und Anderen das Gefühl von der Denkwürdigkeit des bevorstehenden
Augenblicks.

Dieser Augenblick trat gegen Willen und Absicht aller Betheiligten be¬
trächtlich später ein. als man gehofft und gewünscht hatte. Unwohlsein
nöthigte den König bekanntlich zweimal, die Reise hinauszuschieben, so
daß sie zuletzt um vierzehn Tage später stattfand, als es ursprünglich be¬
stimmt war. Die getroffenen Empfangsanstalten waren zu umfassend, die
Spannung zu lebhaft und zu allgemein, als daß der Aufschub nicht sangui¬
nische Gemüther hätte verstimmen, den Aufschwung der Volksseele ein wenig


Grenzboten III, 1869. 2
König Wilhelm in Bremen und Hannover..

Als König Wilhelm im vorigen Herbst Hamburg und Lübeck besuchte,
ließ man in Bremen die Köpfe ein wenig hängen. Man glaubte sich im
Jahre 1866 einen ebenso guten Anspruch auf diese Ehre erworben zu haben;
man war sich bewußt, dem Gründer und Schirmherrn des norddeutschen
Bundes, wenn er käme, keine geringeren Sympathien entgegenzutragen. Dazu
kam, daß die territorialen Veränderungen von 1866 für Bremen, das bisher
von Hannover vollständig enclavirt gewesen war, eine besonders große Rolle
gespielt und diese Hansestadt plötzlich zur nahen Nachbarin Preußens gemacht
hatten. So war der Wunsch nach persönlicher Bekanntschaft mit dem Ober-
haupr der Nation noch verstärkt durch das Verlangen, den mächtigen Nachbar,
der plötzlich von der Elbe an die Weser gerückt war, als Gastfreund in den
eigenen Mauern zu sehen. Da Bremen jedoch einmal (schon weil es noch
immer keine grade und kurze Eisenbahnverbindung von der Elbe zur Weser gibt)
in den vorjährigen Reiseplan nicht hineinpaßte, so rechnete man desto sicherer
auf dieses Jahr; und schon beim Beginn des Sommers sollte diese Hoffnung in
Erfüllung gehen. Sobald die Absicht des Königs feststand, fingen die Köpfe an,
sich mit den nöthigen Vorbereitungen zu beschäftigen. Bremen ist mehr eine
hübsche und behagliche, als eine interessante Stadt; für verwöhnte Fremde hat
es wenig Sehenswerthes. So glaubte der Senat denn im voraus von zu hohen
Erwartungen abrathen zu müssen, aber einen guten, herzlichen Empfang stellte
er allerdings in Aussicht, und diesen äußerlich in die Augen fallen zu lassen
beeiferten sich frühzeitig Alle, die etwas dazu thun konnten. In der histori¬
schen Abtheilung des Künstlervereins, wo Senator Smidt aus Anlaß des
gehofften königlichen Besuchs eine ältere, freundnachbarliche Beziehung zwischen
Preußen und Bremen ans Licht zog, erinnerte man sich, daß seit Kaiser
Heinrich dem Dritten, also seit mehr als acht Jahrhunderten kein Oberhaupt
der Deutschen an der unteren Weser erschienen sei, und steigerte so in sich
und Anderen das Gefühl von der Denkwürdigkeit des bevorstehenden
Augenblicks.

Dieser Augenblick trat gegen Willen und Absicht aller Betheiligten be¬
trächtlich später ein. als man gehofft und gewünscht hatte. Unwohlsein
nöthigte den König bekanntlich zweimal, die Reise hinauszuschieben, so
daß sie zuletzt um vierzehn Tage später stattfand, als es ursprünglich be¬
stimmt war. Die getroffenen Empfangsanstalten waren zu umfassend, die
Spannung zu lebhaft und zu allgemein, als daß der Aufschub nicht sangui¬
nische Gemüther hätte verstimmen, den Aufschwung der Volksseele ein wenig


Grenzboten III, 1869. 2
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[0017] König Wilhelm in Bremen und Hannover.. Als König Wilhelm im vorigen Herbst Hamburg und Lübeck besuchte, ließ man in Bremen die Köpfe ein wenig hängen. Man glaubte sich im Jahre 1866 einen ebenso guten Anspruch auf diese Ehre erworben zu haben; man war sich bewußt, dem Gründer und Schirmherrn des norddeutschen Bundes, wenn er käme, keine geringeren Sympathien entgegenzutragen. Dazu kam, daß die territorialen Veränderungen von 1866 für Bremen, das bisher von Hannover vollständig enclavirt gewesen war, eine besonders große Rolle gespielt und diese Hansestadt plötzlich zur nahen Nachbarin Preußens gemacht hatten. So war der Wunsch nach persönlicher Bekanntschaft mit dem Ober- haupr der Nation noch verstärkt durch das Verlangen, den mächtigen Nachbar, der plötzlich von der Elbe an die Weser gerückt war, als Gastfreund in den eigenen Mauern zu sehen. Da Bremen jedoch einmal (schon weil es noch immer keine grade und kurze Eisenbahnverbindung von der Elbe zur Weser gibt) in den vorjährigen Reiseplan nicht hineinpaßte, so rechnete man desto sicherer auf dieses Jahr; und schon beim Beginn des Sommers sollte diese Hoffnung in Erfüllung gehen. Sobald die Absicht des Königs feststand, fingen die Köpfe an, sich mit den nöthigen Vorbereitungen zu beschäftigen. Bremen ist mehr eine hübsche und behagliche, als eine interessante Stadt; für verwöhnte Fremde hat es wenig Sehenswerthes. So glaubte der Senat denn im voraus von zu hohen Erwartungen abrathen zu müssen, aber einen guten, herzlichen Empfang stellte er allerdings in Aussicht, und diesen äußerlich in die Augen fallen zu lassen beeiferten sich frühzeitig Alle, die etwas dazu thun konnten. In der histori¬ schen Abtheilung des Künstlervereins, wo Senator Smidt aus Anlaß des gehofften königlichen Besuchs eine ältere, freundnachbarliche Beziehung zwischen Preußen und Bremen ans Licht zog, erinnerte man sich, daß seit Kaiser Heinrich dem Dritten, also seit mehr als acht Jahrhunderten kein Oberhaupt der Deutschen an der unteren Weser erschienen sei, und steigerte so in sich und Anderen das Gefühl von der Denkwürdigkeit des bevorstehenden Augenblicks. Dieser Augenblick trat gegen Willen und Absicht aller Betheiligten be¬ trächtlich später ein. als man gehofft und gewünscht hatte. Unwohlsein nöthigte den König bekanntlich zweimal, die Reise hinauszuschieben, so daß sie zuletzt um vierzehn Tage später stattfand, als es ursprünglich be¬ stimmt war. Die getroffenen Empfangsanstalten waren zu umfassend, die Spannung zu lebhaft und zu allgemein, als daß der Aufschub nicht sangui¬ nische Gemüther hätte verstimmen, den Aufschwung der Volksseele ein wenig Grenzboten III, 1869. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/17>, abgerufen am 22.07.2024.