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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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hätte dämpfen sollen. Der König war später liebenswürdig genug, das
natürlich zu finden. Aber da war der Eindruck doch schon vollkommen über¬
wunden. Für Jedermann ging er unter in der freudigen Stimmung, welche
der Besuch an sich, des Königs ebenso würdevolle wie zwanglose Huld, das
Interesse an seinen berühmten Begleitern Bismarck, Moltke und Roon. die
Allgemeinheit der Theilnahme und des Jubels erweckten.

Einen höheren, schöneren Festtag, als den 15. Juni 1869 hat Bremen
nie gefeiert. Die Erinnerungen an den gewaltigen Umschwung in der Ge¬
schichte des Vaterlandes, welchem das Fest ja eigentlich galt, waren noch
frisch genug, um ohne Mühe und angestrengte Reflexion in den Herzen wieder
aufzuleben. Sie reichten auch tief genug in die Massen hinab, so daß im
Straßengedränge keine irgend erhebliche Zahl Solcher übrigblieb, die gar-
nichts bei der Sacke gedacht und empfunden hätten. Daher der allen Be¬
obachtern ausgefallene gemeinsame Zug ernster Freudigkeit, der durch die
dichten Reihen ging. Meinungsverschiedenheiten über die nationale Haupt¬
frage gibt es in Bremen nicht. Trotz einer preußischen Stadt hat es sich
und dem Vaterlande zu den böhmischen Siegen Glück gewünscht, wie der un¬
willkürliche Ausbruch von Begeisterung bekundet, welchem die sonst so nüch-
terne Börse sich überließ, als im Juli 1866 die große Nachricht von König-
grätz eintraf.

Die Stärke und Allgemeinheit der Zurufe, die augenscheinliche Sym¬
pathie der Bevölkerung sind dem Könige wohlthuend aufgefallen. Er hat
gefunden: das sei ja wie bei ihm zu Hause. Ein Herr aus seiner Umgebung,
der seit zwanzig Jahren und mehr die Könige von Preußen auf Reisen zu
begleiten pflegt, wollte sich eines ähnlichen Empfangs, was das Entgegen-
kommen des Volks betrifft, überhaupt nicht entsinnen. Und soviel ist aller¬
dings sicher: in einer Stadt von Bremens Größe, unter einem Stamm von
dem Temperament des niedersächsisch-friesischen wäre mehr in dieser Be¬
ziehung kaum denkbar. Die Worte, mit denen der Senat den Dank des
Königs verkündigt hat, lassen bei ihm auf ein ähnliches Urtheil schließen.

Nächst dem König war selbstverständlich Graf Bismarck Gegenstand
der unermüdlichsten öffentlichen Aufmerksamkeit. Der Bundeskanzler empfing
sein volles Maß von spontanen Ovationen. Man ließ ihn nicht einmal
entgelten, daß er, wie die jüngste indiscrete Wiener Enthüllung verrieth,
in Nikolsburg 1866 für den norddeutschen Bund eifriger gewirkt hat als
für die Annexion Hannovers u. f. f. Und daß Hannover aus der Reihe
der selbständigen Staaten verschwunden ist, ist in den Augen der Bremer
ein Hauptverdienst des Jahres 1866. Sie wissen wohl warum!

Nächst der erfreulichen Aufnahme scheint die angenehme Behaglichkeit
der Existenz in Bremen die hohen Gäste am meisten getroffen zu haben.


hätte dämpfen sollen. Der König war später liebenswürdig genug, das
natürlich zu finden. Aber da war der Eindruck doch schon vollkommen über¬
wunden. Für Jedermann ging er unter in der freudigen Stimmung, welche
der Besuch an sich, des Königs ebenso würdevolle wie zwanglose Huld, das
Interesse an seinen berühmten Begleitern Bismarck, Moltke und Roon. die
Allgemeinheit der Theilnahme und des Jubels erweckten.

Einen höheren, schöneren Festtag, als den 15. Juni 1869 hat Bremen
nie gefeiert. Die Erinnerungen an den gewaltigen Umschwung in der Ge¬
schichte des Vaterlandes, welchem das Fest ja eigentlich galt, waren noch
frisch genug, um ohne Mühe und angestrengte Reflexion in den Herzen wieder
aufzuleben. Sie reichten auch tief genug in die Massen hinab, so daß im
Straßengedränge keine irgend erhebliche Zahl Solcher übrigblieb, die gar-
nichts bei der Sacke gedacht und empfunden hätten. Daher der allen Be¬
obachtern ausgefallene gemeinsame Zug ernster Freudigkeit, der durch die
dichten Reihen ging. Meinungsverschiedenheiten über die nationale Haupt¬
frage gibt es in Bremen nicht. Trotz einer preußischen Stadt hat es sich
und dem Vaterlande zu den böhmischen Siegen Glück gewünscht, wie der un¬
willkürliche Ausbruch von Begeisterung bekundet, welchem die sonst so nüch-
terne Börse sich überließ, als im Juli 1866 die große Nachricht von König-
grätz eintraf.

Die Stärke und Allgemeinheit der Zurufe, die augenscheinliche Sym¬
pathie der Bevölkerung sind dem Könige wohlthuend aufgefallen. Er hat
gefunden: das sei ja wie bei ihm zu Hause. Ein Herr aus seiner Umgebung,
der seit zwanzig Jahren und mehr die Könige von Preußen auf Reisen zu
begleiten pflegt, wollte sich eines ähnlichen Empfangs, was das Entgegen-
kommen des Volks betrifft, überhaupt nicht entsinnen. Und soviel ist aller¬
dings sicher: in einer Stadt von Bremens Größe, unter einem Stamm von
dem Temperament des niedersächsisch-friesischen wäre mehr in dieser Be¬
ziehung kaum denkbar. Die Worte, mit denen der Senat den Dank des
Königs verkündigt hat, lassen bei ihm auf ein ähnliches Urtheil schließen.

Nächst dem König war selbstverständlich Graf Bismarck Gegenstand
der unermüdlichsten öffentlichen Aufmerksamkeit. Der Bundeskanzler empfing
sein volles Maß von spontanen Ovationen. Man ließ ihn nicht einmal
entgelten, daß er, wie die jüngste indiscrete Wiener Enthüllung verrieth,
in Nikolsburg 1866 für den norddeutschen Bund eifriger gewirkt hat als
für die Annexion Hannovers u. f. f. Und daß Hannover aus der Reihe
der selbständigen Staaten verschwunden ist, ist in den Augen der Bremer
ein Hauptverdienst des Jahres 1866. Sie wissen wohl warum!

Nächst der erfreulichen Aufnahme scheint die angenehme Behaglichkeit
der Existenz in Bremen die hohen Gäste am meisten getroffen zu haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/18>, abgerufen am 02.10.2024.