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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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zu verderben! Nur zu bald würde dem Volke eingeredet und von ihm ge¬
glaubt werden, nunmehr sei der Höhepunkt volksthümlicher Gerichtsverfassung
erreicht, sei die Blüthezeit der Geschwornengerichte gekommen und was sonst
etwa noch fehle an wünschenswerthen Reformen, werde uns jetzt von selbst
in den Mund fliegen. Wer dabei allein und in letzter Instanz seine Rech¬
nung finden würde, wäre wahrlich nicht die Freiheit und nickt das Recht,
sondern der Cäsarismus und eine macchiavellistische Staatskunst. Deshalb
ist es besser, unsere Schwurgerichte bleiben in ihrem bescheidenen Wirkungs¬
kreise von heute, so lange wir ihnen nickt die kräftigen Grundlagen commu-
nalen Selfgovernments geben können. Müssen wir mit unserem Verwaltungs¬
recht warten, bis dieser ersehnte Zeitpunkt da ist, so können und müssen wir
es mit unserer Gerichtsverfassung auch.




Wie Kirchlichen Zustände der Provinz Hannover.
Correspondenz aus Ostfriesland.

Als im Jahre 1862 die Einführung des neuen Katechismus einen all¬
gemeinen Sturm des Unwillens im ganzen Lande hervorrief, der schließlich
den Sturz des Ministers Borries und die Zurücknahme der unseligen Katechis¬
musverordnung herbeiführte, versprach man sich im liberalen Lager große
Dinge von der jäh erweckten, aber nachhaltig andauernden Erkenntniß des
Volks. Nicht in den Städten allein, sondern auch auf dem flachen Lande
herrschte eine gewaltige Erregung, und allgemein war die Ueberzeugung, daß
es nöthig sei, gegen Wiederkehr solcher Ereignisse gesetzlichen Schutz zu er¬
langen und eine freiere Bewegung in das kirchliche Leben einzuführen, vor
Allem den Gemeinden die ihnen gebührende Mitwirkung in kirchlichen Dingen
zu sichern. Schon im folgenden Jahre mußte die Negierung dem ungestümen
Drängen nachgeben und den Erlaß einer Kirchen - Vorstands- und Synodal¬
ordnung zusagen und zur Berathung darüber eine sogenannte Vorsynode
zusammenberufen.

Kaum hatten je politische Wahlen so das allgemeinste Interesse in Anspruch
genommen, wie die Wahlen zu dieser Vorsynode es thaten, und wohl selten
ist eine constituirende Versammlung mit so freudigen Hoffnungen begrüßt
worden, wie diese Vorsynode. War es doch gelungen, sämmtliche bewährte
Vorkämpfer der liberalen Partei, die Bennigsen, Miquel, Wissen u. s. w. in


zu verderben! Nur zu bald würde dem Volke eingeredet und von ihm ge¬
glaubt werden, nunmehr sei der Höhepunkt volksthümlicher Gerichtsverfassung
erreicht, sei die Blüthezeit der Geschwornengerichte gekommen und was sonst
etwa noch fehle an wünschenswerthen Reformen, werde uns jetzt von selbst
in den Mund fliegen. Wer dabei allein und in letzter Instanz seine Rech¬
nung finden würde, wäre wahrlich nicht die Freiheit und nickt das Recht,
sondern der Cäsarismus und eine macchiavellistische Staatskunst. Deshalb
ist es besser, unsere Schwurgerichte bleiben in ihrem bescheidenen Wirkungs¬
kreise von heute, so lange wir ihnen nickt die kräftigen Grundlagen commu-
nalen Selfgovernments geben können. Müssen wir mit unserem Verwaltungs¬
recht warten, bis dieser ersehnte Zeitpunkt da ist, so können und müssen wir
es mit unserer Gerichtsverfassung auch.




Wie Kirchlichen Zustände der Provinz Hannover.
Correspondenz aus Ostfriesland.

Als im Jahre 1862 die Einführung des neuen Katechismus einen all¬
gemeinen Sturm des Unwillens im ganzen Lande hervorrief, der schließlich
den Sturz des Ministers Borries und die Zurücknahme der unseligen Katechis¬
musverordnung herbeiführte, versprach man sich im liberalen Lager große
Dinge von der jäh erweckten, aber nachhaltig andauernden Erkenntniß des
Volks. Nicht in den Städten allein, sondern auch auf dem flachen Lande
herrschte eine gewaltige Erregung, und allgemein war die Ueberzeugung, daß
es nöthig sei, gegen Wiederkehr solcher Ereignisse gesetzlichen Schutz zu er¬
langen und eine freiere Bewegung in das kirchliche Leben einzuführen, vor
Allem den Gemeinden die ihnen gebührende Mitwirkung in kirchlichen Dingen
zu sichern. Schon im folgenden Jahre mußte die Negierung dem ungestümen
Drängen nachgeben und den Erlaß einer Kirchen - Vorstands- und Synodal¬
ordnung zusagen und zur Berathung darüber eine sogenannte Vorsynode
zusammenberufen.

Kaum hatten je politische Wahlen so das allgemeinste Interesse in Anspruch
genommen, wie die Wahlen zu dieser Vorsynode es thaten, und wohl selten
ist eine constituirende Versammlung mit so freudigen Hoffnungen begrüßt
worden, wie diese Vorsynode. War es doch gelungen, sämmtliche bewährte
Vorkämpfer der liberalen Partei, die Bennigsen, Miquel, Wissen u. s. w. in


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[0416] zu verderben! Nur zu bald würde dem Volke eingeredet und von ihm ge¬ glaubt werden, nunmehr sei der Höhepunkt volksthümlicher Gerichtsverfassung erreicht, sei die Blüthezeit der Geschwornengerichte gekommen und was sonst etwa noch fehle an wünschenswerthen Reformen, werde uns jetzt von selbst in den Mund fliegen. Wer dabei allein und in letzter Instanz seine Rech¬ nung finden würde, wäre wahrlich nicht die Freiheit und nickt das Recht, sondern der Cäsarismus und eine macchiavellistische Staatskunst. Deshalb ist es besser, unsere Schwurgerichte bleiben in ihrem bescheidenen Wirkungs¬ kreise von heute, so lange wir ihnen nickt die kräftigen Grundlagen commu- nalen Selfgovernments geben können. Müssen wir mit unserem Verwaltungs¬ recht warten, bis dieser ersehnte Zeitpunkt da ist, so können und müssen wir es mit unserer Gerichtsverfassung auch. Wie Kirchlichen Zustände der Provinz Hannover. Correspondenz aus Ostfriesland. Als im Jahre 1862 die Einführung des neuen Katechismus einen all¬ gemeinen Sturm des Unwillens im ganzen Lande hervorrief, der schließlich den Sturz des Ministers Borries und die Zurücknahme der unseligen Katechis¬ musverordnung herbeiführte, versprach man sich im liberalen Lager große Dinge von der jäh erweckten, aber nachhaltig andauernden Erkenntniß des Volks. Nicht in den Städten allein, sondern auch auf dem flachen Lande herrschte eine gewaltige Erregung, und allgemein war die Ueberzeugung, daß es nöthig sei, gegen Wiederkehr solcher Ereignisse gesetzlichen Schutz zu er¬ langen und eine freiere Bewegung in das kirchliche Leben einzuführen, vor Allem den Gemeinden die ihnen gebührende Mitwirkung in kirchlichen Dingen zu sichern. Schon im folgenden Jahre mußte die Negierung dem ungestümen Drängen nachgeben und den Erlaß einer Kirchen - Vorstands- und Synodal¬ ordnung zusagen und zur Berathung darüber eine sogenannte Vorsynode zusammenberufen. Kaum hatten je politische Wahlen so das allgemeinste Interesse in Anspruch genommen, wie die Wahlen zu dieser Vorsynode es thaten, und wohl selten ist eine constituirende Versammlung mit so freudigen Hoffnungen begrüßt worden, wie diese Vorsynode. War es doch gelungen, sämmtliche bewährte Vorkämpfer der liberalen Partei, die Bennigsen, Miquel, Wissen u. s. w. in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/416>, abgerufen am 04.07.2024.