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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Dienst auf jener Station abzulösen und durch neue zu ersetzen, so daß ein¬
schließlich der Hin- und Rückreise die Dienstzeit der eingezogenen Mann¬
schaften doch nur 2 Jahre beträgt. Diese Regelung des Dienstes ist viel¬
leicht für den ersten Blick etwas kostspieliger als das jetzige Verfahren; in
Wirklichkeit ist sie viel vortheilhafter. weil die Handelsmarine, die ja stets
Basis der Kriegsmarine ist, weniger beeinträchtigt wird, weil den Desertio¬
nen, wie sie in allen Flotten vorkommen, durch kurzen Dienst viel wirksamer
vorgebeugt wird als bisher, und weil der Marinedienst überhaupt viel be¬
liebter werden kann, wenn den Seeleuten eine gesetzlich fixirte Sicherheit ge¬
geben wird, daß sie nie länger als zwei Jahre im Dienst bleiben, abgesehen
von hindernd eingreifenden Naturereignissen.




Der Fortschritt in Oestreich.

Dr. Adolph Schmidt sagt in seinen "zeitgenössischen Geschichten" bei
der Behandlung der Reformanläufe Oestreichs (S. 691), ein Mitglied der
kaiserlichen Familie habe zur Beschwichtigung der Bewegung in den März¬
tagen des Jahres 1848 "die Octroyirung einer Gesammtstaatsverfassung ge¬
fordert, die man ja wohl, wenn Sturm und Rausch vorüber, wieder abzu¬
thun im Stande wäre". Die Geschichte der fünfziger Jahre hat wenigstens
bewiesen, daß die Verfassung in kurzem unerträglich erschien. An ihre Stelle
trat 18S6 das Concordat, der Episkopat sollte mit Hülse von Gesetzen
aus dem Mittelalter die alten Schäden der modernen Gesellschaft heilen, auch
die neue Organisirung des Heeres war hauptsächlich dazu bestimmt, eine
zweite Revolution unmöglich zu machen. Aber die mit ungeheuren Kosten
aufgestellte Heeresmacht war im Jahre 1859 nicht einmal im Stande, die
kleine Provinz Mailand zu schützen, die nachher geführten Cnminalunter-
suchungen zogen den Schleier von Zuständen, die sich nur durch den von
oben begünstigten Jesuitismus ausbilden konnten, und die Folge des über¬
mäßigen und schlecht angebrachten Aufwandes war eine tiefe Verschuldung;
man stand am Rande eines Staatsbankerottes Um diesen zu verhindern,
wurden anfangs Notable in den Rath der Krone berufen, und als diese sich
unkräftig erwiesen, erschienen im October 1860 die dehnbaren Grundzüge des
Goluchowsky'schen Patentes, dem die wunderlichen Statute von vier Kron¬
ländern als Empfehlungsbriefe bei der Bevölkerung folgten; es war im
Grunde nur eine neue Auflage des alten Feudalstaates. Die Entrüstung


Dienst auf jener Station abzulösen und durch neue zu ersetzen, so daß ein¬
schließlich der Hin- und Rückreise die Dienstzeit der eingezogenen Mann¬
schaften doch nur 2 Jahre beträgt. Diese Regelung des Dienstes ist viel¬
leicht für den ersten Blick etwas kostspieliger als das jetzige Verfahren; in
Wirklichkeit ist sie viel vortheilhafter. weil die Handelsmarine, die ja stets
Basis der Kriegsmarine ist, weniger beeinträchtigt wird, weil den Desertio¬
nen, wie sie in allen Flotten vorkommen, durch kurzen Dienst viel wirksamer
vorgebeugt wird als bisher, und weil der Marinedienst überhaupt viel be¬
liebter werden kann, wenn den Seeleuten eine gesetzlich fixirte Sicherheit ge¬
geben wird, daß sie nie länger als zwei Jahre im Dienst bleiben, abgesehen
von hindernd eingreifenden Naturereignissen.




Der Fortschritt in Oestreich.

Dr. Adolph Schmidt sagt in seinen „zeitgenössischen Geschichten" bei
der Behandlung der Reformanläufe Oestreichs (S. 691), ein Mitglied der
kaiserlichen Familie habe zur Beschwichtigung der Bewegung in den März¬
tagen des Jahres 1848 „die Octroyirung einer Gesammtstaatsverfassung ge¬
fordert, die man ja wohl, wenn Sturm und Rausch vorüber, wieder abzu¬
thun im Stande wäre". Die Geschichte der fünfziger Jahre hat wenigstens
bewiesen, daß die Verfassung in kurzem unerträglich erschien. An ihre Stelle
trat 18S6 das Concordat, der Episkopat sollte mit Hülse von Gesetzen
aus dem Mittelalter die alten Schäden der modernen Gesellschaft heilen, auch
die neue Organisirung des Heeres war hauptsächlich dazu bestimmt, eine
zweite Revolution unmöglich zu machen. Aber die mit ungeheuren Kosten
aufgestellte Heeresmacht war im Jahre 1859 nicht einmal im Stande, die
kleine Provinz Mailand zu schützen, die nachher geführten Cnminalunter-
suchungen zogen den Schleier von Zuständen, die sich nur durch den von
oben begünstigten Jesuitismus ausbilden konnten, und die Folge des über¬
mäßigen und schlecht angebrachten Aufwandes war eine tiefe Verschuldung;
man stand am Rande eines Staatsbankerottes Um diesen zu verhindern,
wurden anfangs Notable in den Rath der Krone berufen, und als diese sich
unkräftig erwiesen, erschienen im October 1860 die dehnbaren Grundzüge des
Goluchowsky'schen Patentes, dem die wunderlichen Statute von vier Kron¬
ländern als Empfehlungsbriefe bei der Bevölkerung folgten; es war im
Grunde nur eine neue Auflage des alten Feudalstaates. Die Entrüstung


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[0354] Dienst auf jener Station abzulösen und durch neue zu ersetzen, so daß ein¬ schließlich der Hin- und Rückreise die Dienstzeit der eingezogenen Mann¬ schaften doch nur 2 Jahre beträgt. Diese Regelung des Dienstes ist viel¬ leicht für den ersten Blick etwas kostspieliger als das jetzige Verfahren; in Wirklichkeit ist sie viel vortheilhafter. weil die Handelsmarine, die ja stets Basis der Kriegsmarine ist, weniger beeinträchtigt wird, weil den Desertio¬ nen, wie sie in allen Flotten vorkommen, durch kurzen Dienst viel wirksamer vorgebeugt wird als bisher, und weil der Marinedienst überhaupt viel be¬ liebter werden kann, wenn den Seeleuten eine gesetzlich fixirte Sicherheit ge¬ geben wird, daß sie nie länger als zwei Jahre im Dienst bleiben, abgesehen von hindernd eingreifenden Naturereignissen. Der Fortschritt in Oestreich. Dr. Adolph Schmidt sagt in seinen „zeitgenössischen Geschichten" bei der Behandlung der Reformanläufe Oestreichs (S. 691), ein Mitglied der kaiserlichen Familie habe zur Beschwichtigung der Bewegung in den März¬ tagen des Jahres 1848 „die Octroyirung einer Gesammtstaatsverfassung ge¬ fordert, die man ja wohl, wenn Sturm und Rausch vorüber, wieder abzu¬ thun im Stande wäre". Die Geschichte der fünfziger Jahre hat wenigstens bewiesen, daß die Verfassung in kurzem unerträglich erschien. An ihre Stelle trat 18S6 das Concordat, der Episkopat sollte mit Hülse von Gesetzen aus dem Mittelalter die alten Schäden der modernen Gesellschaft heilen, auch die neue Organisirung des Heeres war hauptsächlich dazu bestimmt, eine zweite Revolution unmöglich zu machen. Aber die mit ungeheuren Kosten aufgestellte Heeresmacht war im Jahre 1859 nicht einmal im Stande, die kleine Provinz Mailand zu schützen, die nachher geführten Cnminalunter- suchungen zogen den Schleier von Zuständen, die sich nur durch den von oben begünstigten Jesuitismus ausbilden konnten, und die Folge des über¬ mäßigen und schlecht angebrachten Aufwandes war eine tiefe Verschuldung; man stand am Rande eines Staatsbankerottes Um diesen zu verhindern, wurden anfangs Notable in den Rath der Krone berufen, und als diese sich unkräftig erwiesen, erschienen im October 1860 die dehnbaren Grundzüge des Goluchowsky'schen Patentes, dem die wunderlichen Statute von vier Kron¬ ländern als Empfehlungsbriefe bei der Bevölkerung folgten; es war im Grunde nur eine neue Auflage des alten Feudalstaates. Die Entrüstung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/354>, abgerufen am 04.07.2024.