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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Lager über, d. h. sie überbot sich in Unterwürfigkeit gegen das neue Regime,
fand alle seine Maßregeln vortrefflich und sah es als höchst bedauernswerth
an. daß wir nicht schon längst preußisch geworden seien, während sie noch
wenige Monate vorher gegen die "Räuber" und die deutschen Piemontesen
geeifert hatte. Alle persönliche Würde war bei diesen Leuten abhanden ge¬
kommen, die sich stets nur den "Rücken decken" wollten und sich und ihre
Untergebenen zu Gehorsamsbezeugungen und willfähriger Ausführung aller
ihnen angesonnenen Neuerungen anzufeuern nicht müde wurden. Noch vor
Kurzem kam es vor, daß einer der kläglichsten dieser Herren, auf einen bloßen
Witz in einer Zeitung hin, sich und seine Untergebenen durch eine officielle
Erklärung von dem Verdachte reinigen zu müssen glaubte, daß Jemand von
ihnen an dem Witz betheiligt und mit seinen neuen Vorgesetzten nicht ganz
vollkommen zufrieden sei. Der Mann hatte offenbar nicht bedacht, daß es ganz
unschicklich sei. wenn untergeordnete Beamte über ihren Chef in Zeitungen
sich irgend ein Urtheil erlauben.

Wenn daher in Hessen jetzt vielfach darüber Klage geführt wird, daß
die Hannoveraner, welche sich durch ihre antipreußische Gesinnung vor den
Hessen hervorgethan hatten, im Ganzen doch viel besser behandelt worden
seien als ihr Land, so ist. wenn wir auch zugeben wollten, daß diese Klage
begründet ist, der Grund derselben viel mehr in den hessischen Verhältnissen
selbst zu suchen als in dem Willen der neuen Regierung. Nach dem Ver¬
schwinden der alten Regierung hat sie die Erbschaft derselben antreten müssen,
ohne von der Rechtswohlthat des Inventars Gebrauch machen zu können
und zu wollen.




Die Niederlande und Preußen.

Auswärtige Zeitungen brachten vor einigen Wochen das Gerücht, die
niederländische Regierung habe in der französisch-belgischen Eisenbahnfrage
Partei genommen. Obschon eine solche Nachricht geeignet war ein fried¬
liches Volk zu beunruhigen, so nahm man sie bei uns doch sehr ruhig auf,
da man die Unwahrscheinlichkeit derselben sogleich einsah. Der ganze Be¬
richt hat wohl seine Entstehung einer mangelhaften Kenntniß unserer Ver¬
hältnisse zu danken. Die folgende Darstellung mag beweisen, wie leicht¬
sinnig man zuweilen Neuigkeiten fabricirt.

Nachdem unter dem Ministerium van Hall der Bau eines Eisenbahnnetzes
über das ganze Land auf Staatskosten beschlossen war, wurde der Betrieb
derselben einer Actikngesellschast unter dem Namen: "UaatseKkp^ we exploi-
tatis <Zer Le^tsspoorveMn" (Gesellschaft für den Betrieb der Staatseisen-


Grenzvotcn II. 1869. 40

Lager über, d. h. sie überbot sich in Unterwürfigkeit gegen das neue Regime,
fand alle seine Maßregeln vortrefflich und sah es als höchst bedauernswerth
an. daß wir nicht schon längst preußisch geworden seien, während sie noch
wenige Monate vorher gegen die „Räuber" und die deutschen Piemontesen
geeifert hatte. Alle persönliche Würde war bei diesen Leuten abhanden ge¬
kommen, die sich stets nur den „Rücken decken" wollten und sich und ihre
Untergebenen zu Gehorsamsbezeugungen und willfähriger Ausführung aller
ihnen angesonnenen Neuerungen anzufeuern nicht müde wurden. Noch vor
Kurzem kam es vor, daß einer der kläglichsten dieser Herren, auf einen bloßen
Witz in einer Zeitung hin, sich und seine Untergebenen durch eine officielle
Erklärung von dem Verdachte reinigen zu müssen glaubte, daß Jemand von
ihnen an dem Witz betheiligt und mit seinen neuen Vorgesetzten nicht ganz
vollkommen zufrieden sei. Der Mann hatte offenbar nicht bedacht, daß es ganz
unschicklich sei. wenn untergeordnete Beamte über ihren Chef in Zeitungen
sich irgend ein Urtheil erlauben.

Wenn daher in Hessen jetzt vielfach darüber Klage geführt wird, daß
die Hannoveraner, welche sich durch ihre antipreußische Gesinnung vor den
Hessen hervorgethan hatten, im Ganzen doch viel besser behandelt worden
seien als ihr Land, so ist. wenn wir auch zugeben wollten, daß diese Klage
begründet ist, der Grund derselben viel mehr in den hessischen Verhältnissen
selbst zu suchen als in dem Willen der neuen Regierung. Nach dem Ver¬
schwinden der alten Regierung hat sie die Erbschaft derselben antreten müssen,
ohne von der Rechtswohlthat des Inventars Gebrauch machen zu können
und zu wollen.




Die Niederlande und Preußen.

Auswärtige Zeitungen brachten vor einigen Wochen das Gerücht, die
niederländische Regierung habe in der französisch-belgischen Eisenbahnfrage
Partei genommen. Obschon eine solche Nachricht geeignet war ein fried¬
liches Volk zu beunruhigen, so nahm man sie bei uns doch sehr ruhig auf,
da man die Unwahrscheinlichkeit derselben sogleich einsah. Der ganze Be¬
richt hat wohl seine Entstehung einer mangelhaften Kenntniß unserer Ver¬
hältnisse zu danken. Die folgende Darstellung mag beweisen, wie leicht¬
sinnig man zuweilen Neuigkeiten fabricirt.

Nachdem unter dem Ministerium van Hall der Bau eines Eisenbahnnetzes
über das ganze Land auf Staatskosten beschlossen war, wurde der Betrieb
derselben einer Actikngesellschast unter dem Namen: „UaatseKkp^ we exploi-
tatis <Zer Le^tsspoorveMn" (Gesellschaft für den Betrieb der Staatseisen-


Grenzvotcn II. 1869. 40
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[0321] Lager über, d. h. sie überbot sich in Unterwürfigkeit gegen das neue Regime, fand alle seine Maßregeln vortrefflich und sah es als höchst bedauernswerth an. daß wir nicht schon längst preußisch geworden seien, während sie noch wenige Monate vorher gegen die „Räuber" und die deutschen Piemontesen geeifert hatte. Alle persönliche Würde war bei diesen Leuten abhanden ge¬ kommen, die sich stets nur den „Rücken decken" wollten und sich und ihre Untergebenen zu Gehorsamsbezeugungen und willfähriger Ausführung aller ihnen angesonnenen Neuerungen anzufeuern nicht müde wurden. Noch vor Kurzem kam es vor, daß einer der kläglichsten dieser Herren, auf einen bloßen Witz in einer Zeitung hin, sich und seine Untergebenen durch eine officielle Erklärung von dem Verdachte reinigen zu müssen glaubte, daß Jemand von ihnen an dem Witz betheiligt und mit seinen neuen Vorgesetzten nicht ganz vollkommen zufrieden sei. Der Mann hatte offenbar nicht bedacht, daß es ganz unschicklich sei. wenn untergeordnete Beamte über ihren Chef in Zeitungen sich irgend ein Urtheil erlauben. Wenn daher in Hessen jetzt vielfach darüber Klage geführt wird, daß die Hannoveraner, welche sich durch ihre antipreußische Gesinnung vor den Hessen hervorgethan hatten, im Ganzen doch viel besser behandelt worden seien als ihr Land, so ist. wenn wir auch zugeben wollten, daß diese Klage begründet ist, der Grund derselben viel mehr in den hessischen Verhältnissen selbst zu suchen als in dem Willen der neuen Regierung. Nach dem Ver¬ schwinden der alten Regierung hat sie die Erbschaft derselben antreten müssen, ohne von der Rechtswohlthat des Inventars Gebrauch machen zu können und zu wollen. Die Niederlande und Preußen. Auswärtige Zeitungen brachten vor einigen Wochen das Gerücht, die niederländische Regierung habe in der französisch-belgischen Eisenbahnfrage Partei genommen. Obschon eine solche Nachricht geeignet war ein fried¬ liches Volk zu beunruhigen, so nahm man sie bei uns doch sehr ruhig auf, da man die Unwahrscheinlichkeit derselben sogleich einsah. Der ganze Be¬ richt hat wohl seine Entstehung einer mangelhaften Kenntniß unserer Ver¬ hältnisse zu danken. Die folgende Darstellung mag beweisen, wie leicht¬ sinnig man zuweilen Neuigkeiten fabricirt. Nachdem unter dem Ministerium van Hall der Bau eines Eisenbahnnetzes über das ganze Land auf Staatskosten beschlossen war, wurde der Betrieb derselben einer Actikngesellschast unter dem Namen: „UaatseKkp^ we exploi- tatis <Zer Le^tsspoorveMn" (Gesellschaft für den Betrieb der Staatseisen- Grenzvotcn II. 1869. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/321>, abgerufen am 04.07.2024.