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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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nister der letzten Jahrzehnte für Männer? Ganz unbedeutende, charakterlose
Größen, die nur darnach trachteten, sich auf ihrem Posten zu behaupten, und
nur von ihm wichen, wenn Seine königliche Hoheit sie in allzu nahe Be¬
rührung mit seinem Tintenfasse gebracht, oder mit einem handgreiflichem
Instrument auf eine Repositurleiter hinauf getrieben hatte. Politisch und
kirchlich gehörten sie fast sämmtlich der reactionairen Partei an, ohne irgend
welches achtungswerthes Talent zu besitzen. Männer von ausgeprägter Persön¬
lichkeit und starkem Willen, wie Hassenpflug und Vilmar, konnte unser
Autokrat auf die Dauer nicht ertragen, selbst nachdem dieselben ihm Alles, bis
auf gewisse persönliche Ueberzeugungen, geopfert hatten. Die neue preußische
Verwaltung mußte daher alle diese früheren Staatsräthe u. s. w. beseitigen und
aus Kurhessen wurde niemand in das Ministerium nach Berlin gezogen,
wie z, B. aus Hannover geschah. Aber selbst die vortragenden Räthe in
den einzelnen Ministerien, die Herr von Möller ursprünglich auch sämmtlich
durch andere Beamte hatte ersetzen wollen, waren kaum geeignet, für die
Ueberleitung der alten Verwaltung in die neue dem Lande Dienste zu leisten.
Hatten sie früher ihre Stellungen nur dadurch erlangen und behaupten können,
daß sie sich dem herrschenden Willen anbequemten und demselben als mehr
oder weniger geschickte Werkzeuge dienten, so glaubten sie jetzt auch nur zu
allen Wünschen und allen Forderungen des Ministeriums Ja und Amen
sagen zu müssen. Jeder Widerspruch schien ihre persönliche Stellung zu ge¬
fährden, und statt die Regierung auf dieses oder jenes aufmerksam zu machen,
das mit ihren Plänen nicht in Uebereinstimmung zu bringen sei. arbeiteten
sie in der ihnen einmal gegebenen Direktion weiter, um das Ende ganz un¬
bekümmert. Namentlich hat der frühere Referent im Justizministerium, ein
Herr Etienne, sich in dieser Beziehung der schwersten Sünden gegen das
Land schuldig gemacht, bis dieses gefügige Werkzeug des Grafen Lippe von
dessen Nachfolger aus seiner Stellung entfernt und zum Vizepräsidenten eines
hannöverschen Obergerichtes ernannt wurde.

Und noch weiter die büreaukratische Rangordnung hinab hatte man
früher alle nur einigermaßen wichtigen Stellen mit politischen und kirchlichen
Anhängern des Systems besetzt. Ein großer Theil der höheren Verwaltungs¬
beamten, die Landräthe u. s. w., hatten früher der juristischen Branche ange¬
hört. Gänzlicher Mangel an Einsicht in die Grundsätze und Fortschritte der
modernen Volkswirthschaftslehre und nur Ueberfluß an Gesinnungstüchtigkeit
hatte sie zu den wichtigsten Stellen empfohlen. Ebenso gehörten sast alle
höheren Schulbeamten dieser Richtung an. Wie sollten diese Herren dazu
kommen, die Interessen des Landes zu wahren? Die gesinnungstüchtigeren
und ehrenwertheren von ihnen wandten sich der neuen Regierung nicht
sofort zu, die große Majorität ging so rasch als möglich ins preußische


nister der letzten Jahrzehnte für Männer? Ganz unbedeutende, charakterlose
Größen, die nur darnach trachteten, sich auf ihrem Posten zu behaupten, und
nur von ihm wichen, wenn Seine königliche Hoheit sie in allzu nahe Be¬
rührung mit seinem Tintenfasse gebracht, oder mit einem handgreiflichem
Instrument auf eine Repositurleiter hinauf getrieben hatte. Politisch und
kirchlich gehörten sie fast sämmtlich der reactionairen Partei an, ohne irgend
welches achtungswerthes Talent zu besitzen. Männer von ausgeprägter Persön¬
lichkeit und starkem Willen, wie Hassenpflug und Vilmar, konnte unser
Autokrat auf die Dauer nicht ertragen, selbst nachdem dieselben ihm Alles, bis
auf gewisse persönliche Ueberzeugungen, geopfert hatten. Die neue preußische
Verwaltung mußte daher alle diese früheren Staatsräthe u. s. w. beseitigen und
aus Kurhessen wurde niemand in das Ministerium nach Berlin gezogen,
wie z, B. aus Hannover geschah. Aber selbst die vortragenden Räthe in
den einzelnen Ministerien, die Herr von Möller ursprünglich auch sämmtlich
durch andere Beamte hatte ersetzen wollen, waren kaum geeignet, für die
Ueberleitung der alten Verwaltung in die neue dem Lande Dienste zu leisten.
Hatten sie früher ihre Stellungen nur dadurch erlangen und behaupten können,
daß sie sich dem herrschenden Willen anbequemten und demselben als mehr
oder weniger geschickte Werkzeuge dienten, so glaubten sie jetzt auch nur zu
allen Wünschen und allen Forderungen des Ministeriums Ja und Amen
sagen zu müssen. Jeder Widerspruch schien ihre persönliche Stellung zu ge¬
fährden, und statt die Regierung auf dieses oder jenes aufmerksam zu machen,
das mit ihren Plänen nicht in Uebereinstimmung zu bringen sei. arbeiteten
sie in der ihnen einmal gegebenen Direktion weiter, um das Ende ganz un¬
bekümmert. Namentlich hat der frühere Referent im Justizministerium, ein
Herr Etienne, sich in dieser Beziehung der schwersten Sünden gegen das
Land schuldig gemacht, bis dieses gefügige Werkzeug des Grafen Lippe von
dessen Nachfolger aus seiner Stellung entfernt und zum Vizepräsidenten eines
hannöverschen Obergerichtes ernannt wurde.

Und noch weiter die büreaukratische Rangordnung hinab hatte man
früher alle nur einigermaßen wichtigen Stellen mit politischen und kirchlichen
Anhängern des Systems besetzt. Ein großer Theil der höheren Verwaltungs¬
beamten, die Landräthe u. s. w., hatten früher der juristischen Branche ange¬
hört. Gänzlicher Mangel an Einsicht in die Grundsätze und Fortschritte der
modernen Volkswirthschaftslehre und nur Ueberfluß an Gesinnungstüchtigkeit
hatte sie zu den wichtigsten Stellen empfohlen. Ebenso gehörten sast alle
höheren Schulbeamten dieser Richtung an. Wie sollten diese Herren dazu
kommen, die Interessen des Landes zu wahren? Die gesinnungstüchtigeren
und ehrenwertheren von ihnen wandten sich der neuen Regierung nicht
sofort zu, die große Majorität ging so rasch als möglich ins preußische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/320>, abgerufen am 04.07.2024.