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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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lichen Skandinavisten in Schweden. Diese hat ihren Mittelpunkt im nor¬
dischen Nationalverein, welcher -- und das bezeichnet besser als etwas den
Grad von Reife, welchen der nordische Einheitsgedanke in diesem wichtigsten,
ja allein entscheidenden Lande bisher gewonnen hat -- seit Jahr und Tag
nichts Anderes treibt als die Gründung von Bauerhochschulen nach dänischen
Muster. Von dem politischen Nutzen dieser echt modernen, Patriotismus
und öffentlichen Geist in dem ausschlaggebenden Stande erweckenden Bildungs¬
anstalten läßt sich nicht leicht hoch genug denken. Auch ist man damit sehr
rüstig am Werke; im Januar 1868 hielt der Redacteur von Aftonbladet,
Mag. Sohlman, in Stockholm den ersten dazu anregenden Vortrag, und im
Herbst wurden -schon drei schwedische Bauerhochschulen eröffnet. Der Anstoß
ist selbst nach Norwegen und nach Finnland hinübergedrungen. Aber für
den Zweck des Nordischen Nationalvereins, die staatliche Vereinigung der
drei (oder vier) nordischen Länder ist dies doch ein sehr entferntes Mittel.
Es heißt nur erst das Erz schärfen, aus welchem später Waffen geschmiedet
werden sollen. Mit der ungeduldigen Kriegssehnsucht des Grafen Henning
Hamilton hat diese Propaganda jedenfalls nichts gemein. Das ist aber noch
nicht einmal der "schwedische Materialismus", über welchen in Kopenhagen
und unter den Dänen Nordschleswigs so mancher Stoßseufzer gen Himmel
steigt -- jener von den Eisenbahnlinien aus verbreitete, durch die Locomotive
rings im Lande verstreute Trieb, die Hülfsquellen Schwedens reicher fließen
zu machen und jede Art von Capital anzuhäufen. Diese in allen Ständen
herrschende Stimmung, welcher der Ehrgeiz der Politiker, selbst der des gekrön¬
ten Hauptes derselben wohl oder übel Rechnung tragen muß, gibt der anti¬
deutschen Leidenschaft von 1864 Zeit, sich abzukühlen, und läßt die Möglich¬
keit offen, daß eine geschickte, wohl vertretene deutsche Ostseepolitik die Er¬
innerung an den großen Gustav Adolf praktisch wiederbelebe.




Polnischer Monatsbericht.

X

So lange Deutschland im Rath der europäischen Großmächte nicht an¬
zahlte und von Franzosen, Russen und Engländern nur in Rechnung ge¬
zogen wurde, wenn es ausgebeutet werden sollte, hatten wir ein Recht, über
unseren inneren Angelegenheiten, kleinen und großen, den politischen Makrokos¬
mos zu vergessen. Der April 1869 wäre uns damals nur der Monat gewesen,


lichen Skandinavisten in Schweden. Diese hat ihren Mittelpunkt im nor¬
dischen Nationalverein, welcher — und das bezeichnet besser als etwas den
Grad von Reife, welchen der nordische Einheitsgedanke in diesem wichtigsten,
ja allein entscheidenden Lande bisher gewonnen hat — seit Jahr und Tag
nichts Anderes treibt als die Gründung von Bauerhochschulen nach dänischen
Muster. Von dem politischen Nutzen dieser echt modernen, Patriotismus
und öffentlichen Geist in dem ausschlaggebenden Stande erweckenden Bildungs¬
anstalten läßt sich nicht leicht hoch genug denken. Auch ist man damit sehr
rüstig am Werke; im Januar 1868 hielt der Redacteur von Aftonbladet,
Mag. Sohlman, in Stockholm den ersten dazu anregenden Vortrag, und im
Herbst wurden -schon drei schwedische Bauerhochschulen eröffnet. Der Anstoß
ist selbst nach Norwegen und nach Finnland hinübergedrungen. Aber für
den Zweck des Nordischen Nationalvereins, die staatliche Vereinigung der
drei (oder vier) nordischen Länder ist dies doch ein sehr entferntes Mittel.
Es heißt nur erst das Erz schärfen, aus welchem später Waffen geschmiedet
werden sollen. Mit der ungeduldigen Kriegssehnsucht des Grafen Henning
Hamilton hat diese Propaganda jedenfalls nichts gemein. Das ist aber noch
nicht einmal der „schwedische Materialismus", über welchen in Kopenhagen
und unter den Dänen Nordschleswigs so mancher Stoßseufzer gen Himmel
steigt — jener von den Eisenbahnlinien aus verbreitete, durch die Locomotive
rings im Lande verstreute Trieb, die Hülfsquellen Schwedens reicher fließen
zu machen und jede Art von Capital anzuhäufen. Diese in allen Ständen
herrschende Stimmung, welcher der Ehrgeiz der Politiker, selbst der des gekrön¬
ten Hauptes derselben wohl oder übel Rechnung tragen muß, gibt der anti¬
deutschen Leidenschaft von 1864 Zeit, sich abzukühlen, und läßt die Möglich¬
keit offen, daß eine geschickte, wohl vertretene deutsche Ostseepolitik die Er¬
innerung an den großen Gustav Adolf praktisch wiederbelebe.




Polnischer Monatsbericht.

X

So lange Deutschland im Rath der europäischen Großmächte nicht an¬
zahlte und von Franzosen, Russen und Engländern nur in Rechnung ge¬
zogen wurde, wenn es ausgebeutet werden sollte, hatten wir ein Recht, über
unseren inneren Angelegenheiten, kleinen und großen, den politischen Makrokos¬
mos zu vergessen. Der April 1869 wäre uns damals nur der Monat gewesen,


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[0191] lichen Skandinavisten in Schweden. Diese hat ihren Mittelpunkt im nor¬ dischen Nationalverein, welcher — und das bezeichnet besser als etwas den Grad von Reife, welchen der nordische Einheitsgedanke in diesem wichtigsten, ja allein entscheidenden Lande bisher gewonnen hat — seit Jahr und Tag nichts Anderes treibt als die Gründung von Bauerhochschulen nach dänischen Muster. Von dem politischen Nutzen dieser echt modernen, Patriotismus und öffentlichen Geist in dem ausschlaggebenden Stande erweckenden Bildungs¬ anstalten läßt sich nicht leicht hoch genug denken. Auch ist man damit sehr rüstig am Werke; im Januar 1868 hielt der Redacteur von Aftonbladet, Mag. Sohlman, in Stockholm den ersten dazu anregenden Vortrag, und im Herbst wurden -schon drei schwedische Bauerhochschulen eröffnet. Der Anstoß ist selbst nach Norwegen und nach Finnland hinübergedrungen. Aber für den Zweck des Nordischen Nationalvereins, die staatliche Vereinigung der drei (oder vier) nordischen Länder ist dies doch ein sehr entferntes Mittel. Es heißt nur erst das Erz schärfen, aus welchem später Waffen geschmiedet werden sollen. Mit der ungeduldigen Kriegssehnsucht des Grafen Henning Hamilton hat diese Propaganda jedenfalls nichts gemein. Das ist aber noch nicht einmal der „schwedische Materialismus", über welchen in Kopenhagen und unter den Dänen Nordschleswigs so mancher Stoßseufzer gen Himmel steigt — jener von den Eisenbahnlinien aus verbreitete, durch die Locomotive rings im Lande verstreute Trieb, die Hülfsquellen Schwedens reicher fließen zu machen und jede Art von Capital anzuhäufen. Diese in allen Ständen herrschende Stimmung, welcher der Ehrgeiz der Politiker, selbst der des gekrön¬ ten Hauptes derselben wohl oder übel Rechnung tragen muß, gibt der anti¬ deutschen Leidenschaft von 1864 Zeit, sich abzukühlen, und läßt die Möglich¬ keit offen, daß eine geschickte, wohl vertretene deutsche Ostseepolitik die Er¬ innerung an den großen Gustav Adolf praktisch wiederbelebe. Polnischer Monatsbericht. X So lange Deutschland im Rath der europäischen Großmächte nicht an¬ zahlte und von Franzosen, Russen und Engländern nur in Rechnung ge¬ zogen wurde, wenn es ausgebeutet werden sollte, hatten wir ein Recht, über unseren inneren Angelegenheiten, kleinen und großen, den politischen Makrokos¬ mos zu vergessen. Der April 1869 wäre uns damals nur der Monat gewesen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/191>, abgerufen am 04.07.2024.