Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Legitimitätsprincip. Eine staatsrechtliche Abhandlung von Dr. Friedrich
Brock Haus (Leipzig 1868, 330 S. in 8°).

Seit Talleyrand, der Diplomat der Revolution und des ersten Kaiserreichs, in den
Tagen des Wiener Congresses den Versuch machte, sich durch die feierliche Proclamation
des Legitimitätsprincips von den Sünden seiner wechselvollen Vergangenheit rein zu
waschen, ist dieses angebliche "Princip" das goldene Kalb der s. g. conservativen Partei
geblieben, bis ihm die übereifriger unter seinen Anhängern durch ein Bündniß mit
der radicalen Demokratie praktisch den Todesstoß gaben, den es von der Theorie schon
beträchtlich früher erhalten hatte. Der Verf. der vorliegenden Schrift hat sich die
Aufgabe gestellt, den einzelnen Phasen nachzugehen, welche die Lehre von der Unver¬
äußerlichkeit der Legitimität von 1815 bis heute durchgemacht hat, um die UnHaltbar¬
keit des theoretischen Gebäudes nachzuweisen, an dessen Ausbau Bonald, de Maistre,
Haller, Friedrich Julius Stahl u. A. in. ihre besten Kräfte gesetzt hatten. Dieser Nach,
weis ist dem Verf. ebenso gelungen, wie der von der Wandelbarkeit und Unsicherheit
der Theorien, mit denen die "conservativen" Staatrechtslehrer das Impromptu des
einzig auf seine augenblicklichen praktischen Zwecke gerichteten faunischem alten Bischofs
von Autun zu begründen und zu stützen suchten. Besonders gründlich geht der Verf.
auf Stahls Theorie ein, der zwei besondere Abschnitte gewidmet sind. In dem vor¬
hergehenden Capitel war mit vieler Schärfe nachgewiesen worden, wie das Legitimitäts¬
princip unter den Händen seiner ersten Gläubigen zum Princip des monarchischen Absolutis¬
mus und mit diesem identisch geworden war. Stahl machte den Versuch, dem Legiti-
mitätsprincip innerhalb des konstitutionellen Staats eine Stätte zu bereiten, freilich
des constitutionellen Staats, den er eigens zu diesem Zwecke construirte und gemäß
den Forderungen des Legitimitätsprincips appretirte, d. h. seiner wesentlichsten Eigen¬
schaften entkleidete. Nach einer eingehenden Widerlegung der Stahl'schen Schul¬
sätze faßt der Verfasser in dem Schlußartikel "die Legitimität und der Besitz der
Staatsgewalt" die Resultate seiner Forschung in nachstehende Sätze zusammen:
In rechtlicher Beziehung schadet die Illegitimität dem Inhaber der Staatsge¬
walt ebenso wenig, als die Legitimität dem machtlos gewordenen Prätendenten nützt.
Die Legitimität ist ein staatsrechtlich irrelevanter Begriff. "Sie tritt ganz aus dem
Juristischen heraus und stellt sich als ein Begriff dar, dem alle seine Verfechter keine
juridische Brauchbarkeit verleihen konnten, nämlich als das sittlich und politisch werth¬
volle, staatsrechtlich aber vollständig werthlose Merkmal des Ursprungs eines
Monarchen oder einer Dynastie .... Die Legitimität ist kein Rechtstitel, auf welchem
hin ein depossedirter Fürst seinen Thron wiedergewinnen kann, es giebt kein Forum,
vor welchem, kein Rechtsmittel, durch welches er seinen Anspruch geltend machen, kein
Rechtsverhältniß zum Volk, auf welches er sich stützen kann." Ein sittliches, kein
staatsrechtliches Verhältniß -- damit ist in der That das Wesen der Sache getroffen,
und wir können dem Verfasser nur vollständig beipflichten, wenn er zum Schluß seiner


Das Legitimitätsprincip. Eine staatsrechtliche Abhandlung von Dr. Friedrich
Brock Haus (Leipzig 1868, 330 S. in 8°).

Seit Talleyrand, der Diplomat der Revolution und des ersten Kaiserreichs, in den
Tagen des Wiener Congresses den Versuch machte, sich durch die feierliche Proclamation
des Legitimitätsprincips von den Sünden seiner wechselvollen Vergangenheit rein zu
waschen, ist dieses angebliche „Princip" das goldene Kalb der s. g. conservativen Partei
geblieben, bis ihm die übereifriger unter seinen Anhängern durch ein Bündniß mit
der radicalen Demokratie praktisch den Todesstoß gaben, den es von der Theorie schon
beträchtlich früher erhalten hatte. Der Verf. der vorliegenden Schrift hat sich die
Aufgabe gestellt, den einzelnen Phasen nachzugehen, welche die Lehre von der Unver¬
äußerlichkeit der Legitimität von 1815 bis heute durchgemacht hat, um die UnHaltbar¬
keit des theoretischen Gebäudes nachzuweisen, an dessen Ausbau Bonald, de Maistre,
Haller, Friedrich Julius Stahl u. A. in. ihre besten Kräfte gesetzt hatten. Dieser Nach,
weis ist dem Verf. ebenso gelungen, wie der von der Wandelbarkeit und Unsicherheit
der Theorien, mit denen die „conservativen" Staatrechtslehrer das Impromptu des
einzig auf seine augenblicklichen praktischen Zwecke gerichteten faunischem alten Bischofs
von Autun zu begründen und zu stützen suchten. Besonders gründlich geht der Verf.
auf Stahls Theorie ein, der zwei besondere Abschnitte gewidmet sind. In dem vor¬
hergehenden Capitel war mit vieler Schärfe nachgewiesen worden, wie das Legitimitäts¬
princip unter den Händen seiner ersten Gläubigen zum Princip des monarchischen Absolutis¬
mus und mit diesem identisch geworden war. Stahl machte den Versuch, dem Legiti-
mitätsprincip innerhalb des konstitutionellen Staats eine Stätte zu bereiten, freilich
des constitutionellen Staats, den er eigens zu diesem Zwecke construirte und gemäß
den Forderungen des Legitimitätsprincips appretirte, d. h. seiner wesentlichsten Eigen¬
schaften entkleidete. Nach einer eingehenden Widerlegung der Stahl'schen Schul¬
sätze faßt der Verfasser in dem Schlußartikel „die Legitimität und der Besitz der
Staatsgewalt" die Resultate seiner Forschung in nachstehende Sätze zusammen:
In rechtlicher Beziehung schadet die Illegitimität dem Inhaber der Staatsge¬
walt ebenso wenig, als die Legitimität dem machtlos gewordenen Prätendenten nützt.
Die Legitimität ist ein staatsrechtlich irrelevanter Begriff. „Sie tritt ganz aus dem
Juristischen heraus und stellt sich als ein Begriff dar, dem alle seine Verfechter keine
juridische Brauchbarkeit verleihen konnten, nämlich als das sittlich und politisch werth¬
volle, staatsrechtlich aber vollständig werthlose Merkmal des Ursprungs eines
Monarchen oder einer Dynastie .... Die Legitimität ist kein Rechtstitel, auf welchem
hin ein depossedirter Fürst seinen Thron wiedergewinnen kann, es giebt kein Forum,
vor welchem, kein Rechtsmittel, durch welches er seinen Anspruch geltend machen, kein
Rechtsverhältniß zum Volk, auf welches er sich stützen kann." Ein sittliches, kein
staatsrechtliches Verhältniß — damit ist in der That das Wesen der Sache getroffen,
und wir können dem Verfasser nur vollständig beipflichten, wenn er zum Schluß seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120440"/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Das Legitimitätsprincip. Eine staatsrechtliche Abhandlung von Dr. Friedrich<lb/>
Brock Haus (Leipzig 1868, 330 S. in 8°).</head><lb/>
            <p xml:id="ID_728" next="#ID_729"> Seit Talleyrand, der Diplomat der Revolution und des ersten Kaiserreichs, in den<lb/>
Tagen des Wiener Congresses den Versuch machte, sich durch die feierliche Proclamation<lb/>
des Legitimitätsprincips von den Sünden seiner wechselvollen Vergangenheit rein zu<lb/>
waschen, ist dieses angebliche &#x201E;Princip" das goldene Kalb der s. g. conservativen Partei<lb/>
geblieben, bis ihm die übereifriger unter seinen Anhängern durch ein Bündniß mit<lb/>
der radicalen Demokratie praktisch den Todesstoß gaben, den es von der Theorie schon<lb/>
beträchtlich früher erhalten hatte. Der Verf. der vorliegenden Schrift hat sich die<lb/>
Aufgabe gestellt, den einzelnen Phasen nachzugehen, welche die Lehre von der Unver¬<lb/>
äußerlichkeit der Legitimität von 1815 bis heute durchgemacht hat, um die UnHaltbar¬<lb/>
keit des theoretischen Gebäudes nachzuweisen, an dessen Ausbau Bonald, de Maistre,<lb/>
Haller, Friedrich Julius Stahl u. A. in. ihre besten Kräfte gesetzt hatten. Dieser Nach,<lb/>
weis ist dem Verf. ebenso gelungen, wie der von der Wandelbarkeit und Unsicherheit<lb/>
der Theorien, mit denen die &#x201E;conservativen" Staatrechtslehrer das Impromptu des<lb/>
einzig auf seine augenblicklichen praktischen Zwecke gerichteten faunischem alten Bischofs<lb/>
von Autun zu begründen und zu stützen suchten. Besonders gründlich geht der Verf.<lb/>
auf Stahls Theorie ein, der zwei besondere Abschnitte gewidmet sind. In dem vor¬<lb/>
hergehenden Capitel war mit vieler Schärfe nachgewiesen worden, wie das Legitimitäts¬<lb/>
princip unter den Händen seiner ersten Gläubigen zum Princip des monarchischen Absolutis¬<lb/>
mus und mit diesem identisch geworden war. Stahl machte den Versuch, dem Legiti-<lb/>
mitätsprincip innerhalb des konstitutionellen Staats eine Stätte zu bereiten, freilich<lb/>
des constitutionellen Staats, den er eigens zu diesem Zwecke construirte und gemäß<lb/>
den Forderungen des Legitimitätsprincips appretirte, d. h. seiner wesentlichsten Eigen¬<lb/>
schaften entkleidete. Nach einer eingehenden Widerlegung der Stahl'schen Schul¬<lb/>
sätze faßt der Verfasser in dem Schlußartikel &#x201E;die Legitimität und der Besitz der<lb/>
Staatsgewalt" die Resultate seiner Forschung in nachstehende Sätze zusammen:<lb/>
In rechtlicher Beziehung schadet die Illegitimität dem Inhaber der Staatsge¬<lb/>
walt ebenso wenig, als die Legitimität dem machtlos gewordenen Prätendenten nützt.<lb/>
Die Legitimität ist ein staatsrechtlich irrelevanter Begriff. &#x201E;Sie tritt ganz aus dem<lb/>
Juristischen heraus und stellt sich als ein Begriff dar, dem alle seine Verfechter keine<lb/>
juridische Brauchbarkeit verleihen konnten, nämlich als das sittlich und politisch werth¬<lb/>
volle, staatsrechtlich aber vollständig werthlose Merkmal des Ursprungs eines<lb/>
Monarchen oder einer Dynastie .... Die Legitimität ist kein Rechtstitel, auf welchem<lb/>
hin ein depossedirter Fürst seinen Thron wiedergewinnen kann, es giebt kein Forum,<lb/>
vor welchem, kein Rechtsmittel, durch welches er seinen Anspruch geltend machen, kein<lb/>
Rechtsverhältniß zum Volk, auf welches er sich stützen kann." Ein sittliches, kein<lb/>
staatsrechtliches Verhältniß &#x2014; damit ist in der That das Wesen der Sache getroffen,<lb/>
und wir können dem Verfasser nur vollständig beipflichten, wenn er zum Schluß seiner</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0251] Das Legitimitätsprincip. Eine staatsrechtliche Abhandlung von Dr. Friedrich Brock Haus (Leipzig 1868, 330 S. in 8°). Seit Talleyrand, der Diplomat der Revolution und des ersten Kaiserreichs, in den Tagen des Wiener Congresses den Versuch machte, sich durch die feierliche Proclamation des Legitimitätsprincips von den Sünden seiner wechselvollen Vergangenheit rein zu waschen, ist dieses angebliche „Princip" das goldene Kalb der s. g. conservativen Partei geblieben, bis ihm die übereifriger unter seinen Anhängern durch ein Bündniß mit der radicalen Demokratie praktisch den Todesstoß gaben, den es von der Theorie schon beträchtlich früher erhalten hatte. Der Verf. der vorliegenden Schrift hat sich die Aufgabe gestellt, den einzelnen Phasen nachzugehen, welche die Lehre von der Unver¬ äußerlichkeit der Legitimität von 1815 bis heute durchgemacht hat, um die UnHaltbar¬ keit des theoretischen Gebäudes nachzuweisen, an dessen Ausbau Bonald, de Maistre, Haller, Friedrich Julius Stahl u. A. in. ihre besten Kräfte gesetzt hatten. Dieser Nach, weis ist dem Verf. ebenso gelungen, wie der von der Wandelbarkeit und Unsicherheit der Theorien, mit denen die „conservativen" Staatrechtslehrer das Impromptu des einzig auf seine augenblicklichen praktischen Zwecke gerichteten faunischem alten Bischofs von Autun zu begründen und zu stützen suchten. Besonders gründlich geht der Verf. auf Stahls Theorie ein, der zwei besondere Abschnitte gewidmet sind. In dem vor¬ hergehenden Capitel war mit vieler Schärfe nachgewiesen worden, wie das Legitimitäts¬ princip unter den Händen seiner ersten Gläubigen zum Princip des monarchischen Absolutis¬ mus und mit diesem identisch geworden war. Stahl machte den Versuch, dem Legiti- mitätsprincip innerhalb des konstitutionellen Staats eine Stätte zu bereiten, freilich des constitutionellen Staats, den er eigens zu diesem Zwecke construirte und gemäß den Forderungen des Legitimitätsprincips appretirte, d. h. seiner wesentlichsten Eigen¬ schaften entkleidete. Nach einer eingehenden Widerlegung der Stahl'schen Schul¬ sätze faßt der Verfasser in dem Schlußartikel „die Legitimität und der Besitz der Staatsgewalt" die Resultate seiner Forschung in nachstehende Sätze zusammen: In rechtlicher Beziehung schadet die Illegitimität dem Inhaber der Staatsge¬ walt ebenso wenig, als die Legitimität dem machtlos gewordenen Prätendenten nützt. Die Legitimität ist ein staatsrechtlich irrelevanter Begriff. „Sie tritt ganz aus dem Juristischen heraus und stellt sich als ein Begriff dar, dem alle seine Verfechter keine juridische Brauchbarkeit verleihen konnten, nämlich als das sittlich und politisch werth¬ volle, staatsrechtlich aber vollständig werthlose Merkmal des Ursprungs eines Monarchen oder einer Dynastie .... Die Legitimität ist kein Rechtstitel, auf welchem hin ein depossedirter Fürst seinen Thron wiedergewinnen kann, es giebt kein Forum, vor welchem, kein Rechtsmittel, durch welches er seinen Anspruch geltend machen, kein Rechtsverhältniß zum Volk, auf welches er sich stützen kann." Ein sittliches, kein staatsrechtliches Verhältniß — damit ist in der That das Wesen der Sache getroffen, und wir können dem Verfasser nur vollständig beipflichten, wenn er zum Schluß seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/251
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/251>, abgerufen am 28.09.2024.