Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Polnischer Monatsbericht. x Die politische Stimmung der letzten vier Wochen ist der Hauptsache nach Von den Ereignissen des letzten Monats sind am'folgereichsten die Vor¬ Grenzboten II. 18K8. 82
Polnischer Monatsbericht. x Die politische Stimmung der letzten vier Wochen ist der Hauptsache nach Von den Ereignissen des letzten Monats sind am'folgereichsten die Vor¬ Grenzboten II. 18K8. 82
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Polnischer Monatsbericht.
x
Die politische Stimmung der letzten vier Wochen ist der Hauptsache nach
von der vorhergegangener Monate wenig verschieden gewesen. Man lebte von
der Hand in den Mund, heute von plötzlich aufgetauchten Hoffnungen empor¬
gehoben, morgen von gleich vaguen Befürchtungen zu Boden gedrückt.
„Immerwährendes Stimmen und nun beginnt das Concert"! könnte es
heißen, wenn nicht gerade in den letzten Tagen die Versammlung zusammen¬
getreten wäre/welche das entscheidende Wort für die Gestaltung der nächsten
Zukunft Deutschlands sprechen soll. Ob und wie dasselbe lauten wird, wissen
die berufenen Sprecher freilich am wenigsten. Seit den Ereignissen von
1866 haben die Deutschen sich davon entwöhnt, Conjecturalpolitik in früherer
Manier zu treiben und die Zukunft nach bestimmten logischen Formeln und
Schlußfolgerungen berechnen zu wollen. Von den Ereignissen überrascht zu
werden, ist uns förmlich zur Gewohnheit geworden, der- gewöhnliche Zusam¬
menhang von Ursachen und Wirkungen hat die Präsumtion gegen sich und
wir glauben längst nicht mehr an die Giltigkeit von Fingerzeigen und
Symptomen, die uns vor noch wenigen Jahren für unfehlbare Anhalts¬
punkte der Caleulation gegolten hätten.
Von den Ereignissen des letzten Monats sind am'folgereichsten die Vor¬
gänge gewesen, welche, an und für sich wesenlos aus trügerischen Schatten
künftiger oder doch erwarteter Ereignisse, als Gerüchte ihr Wesen trieben.
Tagelang schwebten die europäischen Börsen zufolge der widerspruchsvollen
Pariser Sensationsnachrichten und officiösen Artikel über die Nordschleswig-
sehe Frage in einer Verlegenheit, die außer Verhältniß stand zu dem Werth
des Objects, um welches es sich im schlimmsten Fall hätte handeln können.
Wiederum zeigte sich, daß die Gespanntheit der Situation die Reizbarkeit des
Capitals und das Mißtrauen der Geschäftswelt zu einer so krankhaften Höhe
gesteigert hatte, daß das Fallen einer Stecknadel dazu hinreichte. Schwankungen
von weitgreifendster Bedeutung herbeizuführen. Das schlimmste an der Sache
ist. daß dieses Spiel jeden Augenblick neu begonnen werden kann, ohne daß
ein Kraut gegen dasselbe gewachsen wäre. Wüßten wir nicht, daß die fran¬
zösischen Börsen von demselben mindestens ebenso schwer betroffen werden,
wie diejenigen des übrigen Europa, wir könnten glauben, es sei auf eine
absichtliche Ermüdung und Ueberreizung derer abgesehn, die unter allen Um¬
ständen die ersten sind, welche die Zeche eines europäischen Krieges zu be¬
zahlen hätten. Daß alle Nachrichten darin übereinstimmen, die nordschles-
wigsche Frage sei von den Cabinetten von Wien und Paris zu den Akten
Grenzboten II. 18K8. 82
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