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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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übrigens wieder verstummt, merkwürdigerweise ohne daß darum die orienta-
lische Frage, die Grundlage der Entente zwischen den beiden großen Militär¬
staaten des Nordostens, in den Vordergrund geschoben worden wäre.




Der vierte deutsche Handelstag.
I.

Drei Jahre waren verflossen, seit in Frankfurt a. M. der dritte
deutsche Handelstag seine großentheils im Wege des Compromisses ent-
standen?" und deshalb von vorn herein etwas farblosen Beschlüsse gefaßt
hatte. Drei ereignißvolle Jahre; im September 1865 galten in der Ver¬
sammlung, deren reelle Basis die Unbefangenen doch auch da schon aus¬
schließlich im deutschen Zollverein erblicken konnten, die Oestreicher noch als
vollberechtigte Glieder, wenn sie auch nicht so zahlreich erschienen waren, wie in
München, wohin sie die brüderliche Absicht, in die Verhandlungen über den fran¬
zösischen Handelsvertrag ein Kukuksei zu legen, in hellen Haufen getrieben
hatte. Seit dem prager Frieden waren sie thatsächlich ausgeschieden. Im
Concertsaale des Schauspielhauses zu Berlin erhob sich stolz inmitten der
Farben der Bundesglieder die schwarzweißrothe Fahne; mit einem Hoch auf
den Schirmherrn des norddeutschen Bundes und des Zollvereins, in dessen
Namen der preußische Handelsminister die Versammlung bewillkommnete,
wurden die Verhandlungen eröffnet. Und der schüchterne Versuch, den bei
der Debatte über Art. 2 des Statuts Moll-Mannheim machte, durch Ver-
wandelung der Worte "im Zollparlament vertretene Staaten" in "deutsche
Staaten" den "ideellen" Standpunkt zu wahren, war mit dem stolzen Wort
beseitigt, das Witte-Rostock ihm entgegenrief: Wir sind jetzt eine Nation
geworden!

Als nach den heißen Julitagen 1866 die Wogen der Aufregung zu ebben
begannen und der Handelsstand den Saldo der neugeschaffenen Verhältnisse
zu ziehen versuchte, da erhob sich auch die Frage nach der ferneren Berech¬
tigung eines Instituts, welches dem Verlangen nach Einigung der deutschen
Staaten auf wirthschaftlichem Gebiet seine Entstehung verdankt und in dem
Streben danach seine Aufgabe gefunden hatte. Vergleichen wir den Artikel
4 der Verfassung des Norddeutschen Bundes mit den früheren Beschlüssen des
Handelstags, so dürfen wir bekennen: ein großer Theil der letzteren, die als
fromme Wünsche sich an die dreißig und etlichen Regierungen gerichtet hatten,
ist in jenem Artikel k-rystallisirt. Manche seiner lakonischer Bestimmungen
sind seitdem zur Wahrheit geworden. In dem Vertrage vom 8. Juli 1867
hat das Band der wirtschaftlichen Interessen, welches die Mainlinie nicht


übrigens wieder verstummt, merkwürdigerweise ohne daß darum die orienta-
lische Frage, die Grundlage der Entente zwischen den beiden großen Militär¬
staaten des Nordostens, in den Vordergrund geschoben worden wäre.




Der vierte deutsche Handelstag.
I.

Drei Jahre waren verflossen, seit in Frankfurt a. M. der dritte
deutsche Handelstag seine großentheils im Wege des Compromisses ent-
standen?» und deshalb von vorn herein etwas farblosen Beschlüsse gefaßt
hatte. Drei ereignißvolle Jahre; im September 1865 galten in der Ver¬
sammlung, deren reelle Basis die Unbefangenen doch auch da schon aus¬
schließlich im deutschen Zollverein erblicken konnten, die Oestreicher noch als
vollberechtigte Glieder, wenn sie auch nicht so zahlreich erschienen waren, wie in
München, wohin sie die brüderliche Absicht, in die Verhandlungen über den fran¬
zösischen Handelsvertrag ein Kukuksei zu legen, in hellen Haufen getrieben
hatte. Seit dem prager Frieden waren sie thatsächlich ausgeschieden. Im
Concertsaale des Schauspielhauses zu Berlin erhob sich stolz inmitten der
Farben der Bundesglieder die schwarzweißrothe Fahne; mit einem Hoch auf
den Schirmherrn des norddeutschen Bundes und des Zollvereins, in dessen
Namen der preußische Handelsminister die Versammlung bewillkommnete,
wurden die Verhandlungen eröffnet. Und der schüchterne Versuch, den bei
der Debatte über Art. 2 des Statuts Moll-Mannheim machte, durch Ver-
wandelung der Worte „im Zollparlament vertretene Staaten" in „deutsche
Staaten" den „ideellen" Standpunkt zu wahren, war mit dem stolzen Wort
beseitigt, das Witte-Rostock ihm entgegenrief: Wir sind jetzt eine Nation
geworden!

Als nach den heißen Julitagen 1866 die Wogen der Aufregung zu ebben
begannen und der Handelsstand den Saldo der neugeschaffenen Verhältnisse
zu ziehen versuchte, da erhob sich auch die Frage nach der ferneren Berech¬
tigung eines Instituts, welches dem Verlangen nach Einigung der deutschen
Staaten auf wirthschaftlichem Gebiet seine Entstehung verdankt und in dem
Streben danach seine Aufgabe gefunden hatte. Vergleichen wir den Artikel
4 der Verfassung des Norddeutschen Bundes mit den früheren Beschlüssen des
Handelstags, so dürfen wir bekennen: ein großer Theil der letzteren, die als
fromme Wünsche sich an die dreißig und etlichen Regierungen gerichtet hatten,
ist in jenem Artikel k-rystallisirt. Manche seiner lakonischer Bestimmungen
sind seitdem zur Wahrheit geworden. In dem Vertrage vom 8. Juli 1867
hat das Band der wirtschaftlichen Interessen, welches die Mainlinie nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/214>, abgerufen am 05.02.2025.