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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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zur Fortsetzung ohne große Mühe beschaffen lassen, und jeder neue Tag wird
dem Volk zurufen, daß seine czechischen Erinnerungen identisch sind mit
mannhaften Kämpfen für politische und religiöse Freiheit, während die
deutsche Herrschaft mit dem Siege pfäffischer und absolutistischer Willkühr und
Knechtschaft zusammengefallen ist. Und jedes Wort das in Prag gesprochen
wird, findet ein Echo, daß sich bis über die Karpathen hinüber nach Moskau
und Petersburg fortsetzt und mit geringen Variationen außerdem in Agram und
Neusatz wiederholt wird. Das erste innere oder äußere Ereigniß, das auf die
östreichischen Verhältnisse störend einwirkt, bringt die nächste Krisis in der
böhmischen Frage, wenn diese sich ihr Recht nicht selbständig zu schaffen
weiß. So tüchtige und wohlgeschulte Kräfte, wie die, über welche das Czechen-
thum zu verfügen hat, können nur von Gegnern niedergeworfen werden, die
ihnen an Begeisterung, Energie und politischer Erfahrung ebenbürtig sind.
Nach diesen sehen wir uns vergeblich um und die Hoffnung, daß deutsch-böh-
mischer Eifer für constitutionelle Uniformität den Sieg über den Fana¬
tismus einer ganzen Race davon tragen werde, dürfte in den eingeweih¬
ten Kreisen die wenigsten Gläubigen finden. Wenn es auch übertrieben
ist, was ein russisches Journal neulich behauptete, daß die böhmische Frage
alle Aussicht habe, eine europäische zu werden -- eine östreichische Existenz¬
frage wird sie sicher noch lange bleiben -- wenigstens noch so lange, bis die
Deutsch-Oestreicher von ihren Feinden das Geheimniß der Macht derselben
gelernt haben: Subordination unter die selbstgewählten Führer und festen,
aus einen Punkt gerichteten Sinn und Willen.




Ein Wort für den Hausfrieden in der liberalen Partei.

In dem vormals naussauischen und jetzt preußischen Rheingaukreis (Rü-
desheim) soll am 18. Juli für den Abgeordneten Wagner, welcher sein Man¬
dat niedergelegt hat, eine Neuwahl zum Abgeordnetenhause stattfinden. Es
ist dies derselbe Wahlkreis, in welchem ich in den Reichstag gewählt bin.
Aus dieser Veranlassung macht ein dortiger Stimmberechtigter in einem Ar¬
tikel "Aus dem Rheingau im Juni 1868", (Nummer 27 des in Berlin er¬
scheinenden "Volksfreundes, Wochenschrift für Stadt und Land") von seiner
Stimme Gebrauch, um die heimischen Zustände zu schildern, wie sie sich seit
der Einverleibung Naussau's gestaltet haben. Namentlich bespricht er die Be-
gehungs- und Unterlassungssünden, die dort vorgekommen sind, meiner Mei-


Grenzboten III. 1868. 7

zur Fortsetzung ohne große Mühe beschaffen lassen, und jeder neue Tag wird
dem Volk zurufen, daß seine czechischen Erinnerungen identisch sind mit
mannhaften Kämpfen für politische und religiöse Freiheit, während die
deutsche Herrschaft mit dem Siege pfäffischer und absolutistischer Willkühr und
Knechtschaft zusammengefallen ist. Und jedes Wort das in Prag gesprochen
wird, findet ein Echo, daß sich bis über die Karpathen hinüber nach Moskau
und Petersburg fortsetzt und mit geringen Variationen außerdem in Agram und
Neusatz wiederholt wird. Das erste innere oder äußere Ereigniß, das auf die
östreichischen Verhältnisse störend einwirkt, bringt die nächste Krisis in der
böhmischen Frage, wenn diese sich ihr Recht nicht selbständig zu schaffen
weiß. So tüchtige und wohlgeschulte Kräfte, wie die, über welche das Czechen-
thum zu verfügen hat, können nur von Gegnern niedergeworfen werden, die
ihnen an Begeisterung, Energie und politischer Erfahrung ebenbürtig sind.
Nach diesen sehen wir uns vergeblich um und die Hoffnung, daß deutsch-böh-
mischer Eifer für constitutionelle Uniformität den Sieg über den Fana¬
tismus einer ganzen Race davon tragen werde, dürfte in den eingeweih¬
ten Kreisen die wenigsten Gläubigen finden. Wenn es auch übertrieben
ist, was ein russisches Journal neulich behauptete, daß die böhmische Frage
alle Aussicht habe, eine europäische zu werden — eine östreichische Existenz¬
frage wird sie sicher noch lange bleiben — wenigstens noch so lange, bis die
Deutsch-Oestreicher von ihren Feinden das Geheimniß der Macht derselben
gelernt haben: Subordination unter die selbstgewählten Führer und festen,
aus einen Punkt gerichteten Sinn und Willen.




Ein Wort für den Hausfrieden in der liberalen Partei.

In dem vormals naussauischen und jetzt preußischen Rheingaukreis (Rü-
desheim) soll am 18. Juli für den Abgeordneten Wagner, welcher sein Man¬
dat niedergelegt hat, eine Neuwahl zum Abgeordnetenhause stattfinden. Es
ist dies derselbe Wahlkreis, in welchem ich in den Reichstag gewählt bin.
Aus dieser Veranlassung macht ein dortiger Stimmberechtigter in einem Ar¬
tikel „Aus dem Rheingau im Juni 1868", (Nummer 27 des in Berlin er¬
scheinenden „Volksfreundes, Wochenschrift für Stadt und Land") von seiner
Stimme Gebrauch, um die heimischen Zustände zu schildern, wie sie sich seit
der Einverleibung Naussau's gestaltet haben. Namentlich bespricht er die Be-
gehungs- und Unterlassungssünden, die dort vorgekommen sind, meiner Mei-


Grenzboten III. 1868. 7
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[0061] zur Fortsetzung ohne große Mühe beschaffen lassen, und jeder neue Tag wird dem Volk zurufen, daß seine czechischen Erinnerungen identisch sind mit mannhaften Kämpfen für politische und religiöse Freiheit, während die deutsche Herrschaft mit dem Siege pfäffischer und absolutistischer Willkühr und Knechtschaft zusammengefallen ist. Und jedes Wort das in Prag gesprochen wird, findet ein Echo, daß sich bis über die Karpathen hinüber nach Moskau und Petersburg fortsetzt und mit geringen Variationen außerdem in Agram und Neusatz wiederholt wird. Das erste innere oder äußere Ereigniß, das auf die östreichischen Verhältnisse störend einwirkt, bringt die nächste Krisis in der böhmischen Frage, wenn diese sich ihr Recht nicht selbständig zu schaffen weiß. So tüchtige und wohlgeschulte Kräfte, wie die, über welche das Czechen- thum zu verfügen hat, können nur von Gegnern niedergeworfen werden, die ihnen an Begeisterung, Energie und politischer Erfahrung ebenbürtig sind. Nach diesen sehen wir uns vergeblich um und die Hoffnung, daß deutsch-böh- mischer Eifer für constitutionelle Uniformität den Sieg über den Fana¬ tismus einer ganzen Race davon tragen werde, dürfte in den eingeweih¬ ten Kreisen die wenigsten Gläubigen finden. Wenn es auch übertrieben ist, was ein russisches Journal neulich behauptete, daß die böhmische Frage alle Aussicht habe, eine europäische zu werden — eine östreichische Existenz¬ frage wird sie sicher noch lange bleiben — wenigstens noch so lange, bis die Deutsch-Oestreicher von ihren Feinden das Geheimniß der Macht derselben gelernt haben: Subordination unter die selbstgewählten Führer und festen, aus einen Punkt gerichteten Sinn und Willen. Ein Wort für den Hausfrieden in der liberalen Partei. In dem vormals naussauischen und jetzt preußischen Rheingaukreis (Rü- desheim) soll am 18. Juli für den Abgeordneten Wagner, welcher sein Man¬ dat niedergelegt hat, eine Neuwahl zum Abgeordnetenhause stattfinden. Es ist dies derselbe Wahlkreis, in welchem ich in den Reichstag gewählt bin. Aus dieser Veranlassung macht ein dortiger Stimmberechtigter in einem Ar¬ tikel „Aus dem Rheingau im Juni 1868", (Nummer 27 des in Berlin er¬ scheinenden „Volksfreundes, Wochenschrift für Stadt und Land") von seiner Stimme Gebrauch, um die heimischen Zustände zu schildern, wie sie sich seit der Einverleibung Naussau's gestaltet haben. Namentlich bespricht er die Be- gehungs- und Unterlassungssünden, die dort vorgekommen sind, meiner Mei- Grenzboten III. 1868. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/61>, abgerufen am 28.06.2024.