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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Ab seit der Heerstraße.
2. EschWege.

Vor Jahresfrist haben diese Blätter das historische Bild einer erstarrten
Stadt -- Rotenburg an der Tauber -- geschildert, sie geben heute das Ge¬
genbild einer auch abseit der Heerstraße liegenden, aber erstarkten Stadt.

In reizender Landschaft an der Werra, umgeben von einem Gebirgs-
kranze in den mannigfachsten Formen schmückt Eschwege, prangend mit seinen
hohen Thürmen, gothischen Kirchen und stattlichen Gebäuden ein weites
fruchtbares Thal. schroff und unzugänglich erhebt sich am linken Werra-
ufer der Cyriaxberg, wohl die Wiege der Stadt, auf dessen Höhe einst
die Chriacus-Abtei und ohne Zweifel auch das kaiserliche Palatium sowie
eine Anzahl Burgsitze des Adels lagen; nach Süden dacht er sich sanft ab
und 7 Straßen und Zugänge führen hinauf. An seinem Fuße liegt die alte
Pfarrkirche zu Se. Dionys und der Markt, das Centrum des Ortes, wo 13
Straßen zusammentreffen. Die gewerblichen Pulse schlagen an der Werra:
hier ist das meiste Leben, hier blühen Handel, Schifffahrt und Gewerbe und
von hier führt die lange Hauptstraße "am Stade" mitten in das Innere der
Stadt. Am westlichen Ende auf einer Anhöhe am Ufer des Flusses steht das
fürstliche Schloß und ganz im Süden ragt über die Häuser der Neustadt
weit empor die alte Kirche zu Se. Catharinen mit ihrem neuen gothischen
Thurme. Eschweges Bewohner haben weithin den Ruf großen Gewerbfleißes;
Handel, Fabriken und Manufacturen stehen in Flor, daneben wird in der
großen Gemarkung Ackerbau getrieben und namentlich viel Tabak gezogen.
Auch die Lohgerbereien sind bedeutend. Grade vor hundert Jahren zählte
die Stadt 3813 Einwohner, seitdem hat sich die Zahl derselben fast verdop¬
pelt; schon jetzt ist das Leben in gedeihlichster Entwickelung; es wird stattlich
überHand nehmen, wenn erst Eisenbahn da ist, wozu alle Aussichten vorhan¬
den sind. --

Die ältesten Bewohner der Stadt und Gegend waren Slaven, die von
den Thüringern unterjocht wurden, und es errinnert noch vieles an jenes
Verhältniß: noch heißt ein ganzer Stadttheil "die Wendische Mark" und ein
bedeutender hessischer Geschichtsforscher vermuthet sogar, Eschwege sei die
Stadt eines alten Slavengaues gewesen. -- Nach einer Sage neueren Ur¬
sprungs ist der heilige Bonifacius, der auf dem Cyriacusberge inmitten
eines Eschenwaldes seine Klause erbaut haben soll, der Gründer; die Chrom-
sten bezeichnen als solchen Karl den Großen, der das Nonnenkloster auf dem
Cyriacusberge sowie die Stadt selbst erbaut und 812 mit einer Mauer um-


Ab seit der Heerstraße.
2. EschWege.

Vor Jahresfrist haben diese Blätter das historische Bild einer erstarrten
Stadt — Rotenburg an der Tauber — geschildert, sie geben heute das Ge¬
genbild einer auch abseit der Heerstraße liegenden, aber erstarkten Stadt.

In reizender Landschaft an der Werra, umgeben von einem Gebirgs-
kranze in den mannigfachsten Formen schmückt Eschwege, prangend mit seinen
hohen Thürmen, gothischen Kirchen und stattlichen Gebäuden ein weites
fruchtbares Thal. schroff und unzugänglich erhebt sich am linken Werra-
ufer der Cyriaxberg, wohl die Wiege der Stadt, auf dessen Höhe einst
die Chriacus-Abtei und ohne Zweifel auch das kaiserliche Palatium sowie
eine Anzahl Burgsitze des Adels lagen; nach Süden dacht er sich sanft ab
und 7 Straßen und Zugänge führen hinauf. An seinem Fuße liegt die alte
Pfarrkirche zu Se. Dionys und der Markt, das Centrum des Ortes, wo 13
Straßen zusammentreffen. Die gewerblichen Pulse schlagen an der Werra:
hier ist das meiste Leben, hier blühen Handel, Schifffahrt und Gewerbe und
von hier führt die lange Hauptstraße „am Stade" mitten in das Innere der
Stadt. Am westlichen Ende auf einer Anhöhe am Ufer des Flusses steht das
fürstliche Schloß und ganz im Süden ragt über die Häuser der Neustadt
weit empor die alte Kirche zu Se. Catharinen mit ihrem neuen gothischen
Thurme. Eschweges Bewohner haben weithin den Ruf großen Gewerbfleißes;
Handel, Fabriken und Manufacturen stehen in Flor, daneben wird in der
großen Gemarkung Ackerbau getrieben und namentlich viel Tabak gezogen.
Auch die Lohgerbereien sind bedeutend. Grade vor hundert Jahren zählte
die Stadt 3813 Einwohner, seitdem hat sich die Zahl derselben fast verdop¬
pelt; schon jetzt ist das Leben in gedeihlichster Entwickelung; es wird stattlich
überHand nehmen, wenn erst Eisenbahn da ist, wozu alle Aussichten vorhan¬
den sind. —

Die ältesten Bewohner der Stadt und Gegend waren Slaven, die von
den Thüringern unterjocht wurden, und es errinnert noch vieles an jenes
Verhältniß: noch heißt ein ganzer Stadttheil „die Wendische Mark" und ein
bedeutender hessischer Geschichtsforscher vermuthet sogar, Eschwege sei die
Stadt eines alten Slavengaues gewesen. — Nach einer Sage neueren Ur¬
sprungs ist der heilige Bonifacius, der auf dem Cyriacusberge inmitten
eines Eschenwaldes seine Klause erbaut haben soll, der Gründer; die Chrom-
sten bezeichnen als solchen Karl den Großen, der das Nonnenkloster auf dem
Cyriacusberge sowie die Stadt selbst erbaut und 812 mit einer Mauer um-


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[0324] Ab seit der Heerstraße. 2. EschWege. Vor Jahresfrist haben diese Blätter das historische Bild einer erstarrten Stadt — Rotenburg an der Tauber — geschildert, sie geben heute das Ge¬ genbild einer auch abseit der Heerstraße liegenden, aber erstarkten Stadt. In reizender Landschaft an der Werra, umgeben von einem Gebirgs- kranze in den mannigfachsten Formen schmückt Eschwege, prangend mit seinen hohen Thürmen, gothischen Kirchen und stattlichen Gebäuden ein weites fruchtbares Thal. schroff und unzugänglich erhebt sich am linken Werra- ufer der Cyriaxberg, wohl die Wiege der Stadt, auf dessen Höhe einst die Chriacus-Abtei und ohne Zweifel auch das kaiserliche Palatium sowie eine Anzahl Burgsitze des Adels lagen; nach Süden dacht er sich sanft ab und 7 Straßen und Zugänge führen hinauf. An seinem Fuße liegt die alte Pfarrkirche zu Se. Dionys und der Markt, das Centrum des Ortes, wo 13 Straßen zusammentreffen. Die gewerblichen Pulse schlagen an der Werra: hier ist das meiste Leben, hier blühen Handel, Schifffahrt und Gewerbe und von hier führt die lange Hauptstraße „am Stade" mitten in das Innere der Stadt. Am westlichen Ende auf einer Anhöhe am Ufer des Flusses steht das fürstliche Schloß und ganz im Süden ragt über die Häuser der Neustadt weit empor die alte Kirche zu Se. Catharinen mit ihrem neuen gothischen Thurme. Eschweges Bewohner haben weithin den Ruf großen Gewerbfleißes; Handel, Fabriken und Manufacturen stehen in Flor, daneben wird in der großen Gemarkung Ackerbau getrieben und namentlich viel Tabak gezogen. Auch die Lohgerbereien sind bedeutend. Grade vor hundert Jahren zählte die Stadt 3813 Einwohner, seitdem hat sich die Zahl derselben fast verdop¬ pelt; schon jetzt ist das Leben in gedeihlichster Entwickelung; es wird stattlich überHand nehmen, wenn erst Eisenbahn da ist, wozu alle Aussichten vorhan¬ den sind. — Die ältesten Bewohner der Stadt und Gegend waren Slaven, die von den Thüringern unterjocht wurden, und es errinnert noch vieles an jenes Verhältniß: noch heißt ein ganzer Stadttheil „die Wendische Mark" und ein bedeutender hessischer Geschichtsforscher vermuthet sogar, Eschwege sei die Stadt eines alten Slavengaues gewesen. — Nach einer Sage neueren Ur¬ sprungs ist der heilige Bonifacius, der auf dem Cyriacusberge inmitten eines Eschenwaldes seine Klause erbaut haben soll, der Gründer; die Chrom- sten bezeichnen als solchen Karl den Großen, der das Nonnenkloster auf dem Cyriacusberge sowie die Stadt selbst erbaut und 812 mit einer Mauer um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/324>, abgerufen am 28.06.2024.