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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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hielt. Was Bunsen wohl zu der jetzigen Wendung Gladstones gesagt haben
würde, der einst die engste Verbindung von Staat und Kirche befürwortete,
da die letztere das göttliche Gewissen des ersteren sei, während er jetzt auf die
absolute Trennung beider hinarbeitet,, um der hochkirchlichen Richtung volle
Freiheit zu geben? -- Eilf Monate hatte Bunsen in England verbracht,
als er seine Ernennung zum Gesandten in der Schweiz erhielt. Die preu¬
ßische Regierung mochte sich doch ihres Benehmens gegen ihn etwas geschämt
haben, und so gelang es den Bemühungen des Kronprinzen, ihm Bern als
Warteposten zu verschaffen, wohin er sich im Herbst 1839 begab, mit der
Instruktion nichts zu thun. Er sollte nicht lange warten, in Jahresfrist starb
Friedrich Wilhelm III. und mit seinem Sohne bestieg der Mann den Thron,
von dem Bunsen die Verwirklichung seiner Ideale erhoffte.




Die pariser Budgetdebatten.

X

Seit da" was von französischer Volksvertretung unter dem zweiten Kaiser¬
reich übrig geblieben, aus dem Zustande absoluter Nichtigkeit zu relativer
Bedeutung zurückgekehrt ist, verfolgen die europäischen Politiker die Ver¬
handlungen des (^or^s lögislatik (der Senat kommt auch gegenwärtig nicht
in Betracht) mit jährlich zunehmender Aufmerksamkeit. Der Hauptgrund
derselben ist ohne Zweifel der Glaube an die mögliche Wiederkehr jener
.großen" Zeiten des französischen Parlamentarismus, in denen das Schicksal
deS Staats, häufig auch die Ruhe Europas davon abhängig war, ob die
Minister, ob die Männer der Opposition das letzte Wort behielten.

Dem französischen Parlamentarismus geht es wie dem herabgekommenen
Enkel eines großen Hauses. Ein Name, der Jahre lang von Ruhm und
Ansetzn umgeben war. verliert seinen Klang nicht so schnell und bleibt, auch
wenn die realen Grundlagen seiner Bedeutung zu Grunde gegangen, eine
Zeit lang von großen Ansprüchen und relativer Anerkennung derselben un¬
trennbar -- der Träger desselben entwöhnt sich nur allmälig an seine ver¬
änderte Loge und den andern Leuten geht es ungefähr ebenso. Obgleich alle
Welt weiß, daß die Beschlüsse des Pariser gesetzgebenden Körpers auf die
Entschließungen der kaiserlichen Negierung keinen direkten Einfluß üben, diese
Regierung weitaus in den meisten Fällen über eine ergebene Majorität zu
gebieten hat, das Heer und die bäuerliche Bevölkerung Frankreichs von dem
Wechsel parlamentarischer Ebbe und Fluth völlig unberührt bleiben, horcht
das gebildete Europa aufmerksam zu, wenn die Thiers, Favre und Ollivier


hielt. Was Bunsen wohl zu der jetzigen Wendung Gladstones gesagt haben
würde, der einst die engste Verbindung von Staat und Kirche befürwortete,
da die letztere das göttliche Gewissen des ersteren sei, während er jetzt auf die
absolute Trennung beider hinarbeitet,, um der hochkirchlichen Richtung volle
Freiheit zu geben? — Eilf Monate hatte Bunsen in England verbracht,
als er seine Ernennung zum Gesandten in der Schweiz erhielt. Die preu¬
ßische Regierung mochte sich doch ihres Benehmens gegen ihn etwas geschämt
haben, und so gelang es den Bemühungen des Kronprinzen, ihm Bern als
Warteposten zu verschaffen, wohin er sich im Herbst 1839 begab, mit der
Instruktion nichts zu thun. Er sollte nicht lange warten, in Jahresfrist starb
Friedrich Wilhelm III. und mit seinem Sohne bestieg der Mann den Thron,
von dem Bunsen die Verwirklichung seiner Ideale erhoffte.




Die pariser Budgetdebatten.

X

Seit da« was von französischer Volksvertretung unter dem zweiten Kaiser¬
reich übrig geblieben, aus dem Zustande absoluter Nichtigkeit zu relativer
Bedeutung zurückgekehrt ist, verfolgen die europäischen Politiker die Ver¬
handlungen des (^or^s lögislatik (der Senat kommt auch gegenwärtig nicht
in Betracht) mit jährlich zunehmender Aufmerksamkeit. Der Hauptgrund
derselben ist ohne Zweifel der Glaube an die mögliche Wiederkehr jener
.großen" Zeiten des französischen Parlamentarismus, in denen das Schicksal
deS Staats, häufig auch die Ruhe Europas davon abhängig war, ob die
Minister, ob die Männer der Opposition das letzte Wort behielten.

Dem französischen Parlamentarismus geht es wie dem herabgekommenen
Enkel eines großen Hauses. Ein Name, der Jahre lang von Ruhm und
Ansetzn umgeben war. verliert seinen Klang nicht so schnell und bleibt, auch
wenn die realen Grundlagen seiner Bedeutung zu Grunde gegangen, eine
Zeit lang von großen Ansprüchen und relativer Anerkennung derselben un¬
trennbar — der Träger desselben entwöhnt sich nur allmälig an seine ver¬
änderte Loge und den andern Leuten geht es ungefähr ebenso. Obgleich alle
Welt weiß, daß die Beschlüsse des Pariser gesetzgebenden Körpers auf die
Entschließungen der kaiserlichen Negierung keinen direkten Einfluß üben, diese
Regierung weitaus in den meisten Fällen über eine ergebene Majorität zu
gebieten hat, das Heer und die bäuerliche Bevölkerung Frankreichs von dem
Wechsel parlamentarischer Ebbe und Fluth völlig unberührt bleiben, horcht
das gebildete Europa aufmerksam zu, wenn die Thiers, Favre und Ollivier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/128>, abgerufen am 28.06.2024.