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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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innert sich noch an die Rechtsparömie des siebzehnten Jahrhunderts: "OuMg
i'vgio, ejus religiö". Auf die Möglichkeit eines Krieges zwischen Frankreich
einerseits und Deutschland, d. h. Preußen , andererseits, angewandt, heißt
diese Rechtsparömie ins Deutsche übertragen so: Wer von beiden streitenden
Theilen zuerst in Stuttgart, in Ulm und in Friedrichshafen ist, dem gehört
das Land (roZio) und an den glaubt man (religiö), heiße er nun Monsieur
Chassepot oder Herr von Dreyse.

Dieser Umstand ist traurig, aber noch trauriger wäre es doch, wenn
man sich in Betreff dieses Umstandes einer neuen Täuschung hingäbe, und
in Folge dessen Begehungs- oder Unterlassungssünden vorkämen, die nicht
wieder gut zu machen sind. Namentlich darf man nicht vergessen, daß Vor¬
kommnisse, wie sie die Chronik der drei Tage in Würtemberg aufweist, und
wie sie jeder folgende Tag von neuem bringen kann, auch wenn dies
in Stuttgart gar nicht beabsichtigt sein sollte, ihren Wellenschlag in ver¬
stärktem Maße wieder zurückwälzen zu dem Orte, von wo sie ausgingen;
daß sie namentlich in Wien und Paris in gewissen Kreisen geradezu als
piovoeationes agenäum wirken. So lange über das Schicksal des deut¬
schen Süden noch nicht definitiv und unabänderlich entschieden ist, so lange
gibts keine Ruhe in der Welt; so lange wird ein solcher süddeutscher Staat
abwechselnd von Wien, von Paris und von Berlin angezogen; und das
nationale, wirthschaftliche und militärische Band, das ihn an Norddeutschland
fesselt, scheint leider noch nicht stark genug zu sein, um die Abirrungen nach
Wien und Paris zu Paralysiren. Es ist hoch Zeit, daß man den letzteren
einen Riegel vorschiebt.

Der Riegel ist da. Er heißt Baden. Warum macht man keinen Ge¬
brauch davon? Jede Minute ist kostbar.

Je schwankender man im Süden gesinnt ist, desto fester muß man im
Norden sein. Altmeister Göthe sagt am Schlüsse von Hermann und Dorothea:


"Denn der Mensch, der in schwankender Zeit auch schwankend gesinnt ist,
Der vermehret das Uebel und breitet es weiter und weiter.
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich!"

^


Der Slavencongresi und die orientalische Frage.

Während man bei Ihnen in Deutschland durch, das gesammte Jahr 1867
beinahe unausgesetzt mit der Beobachtung der Vorgänge in Frankreich beschäftigt


innert sich noch an die Rechtsparömie des siebzehnten Jahrhunderts: „OuMg
i'vgio, ejus religiö". Auf die Möglichkeit eines Krieges zwischen Frankreich
einerseits und Deutschland, d. h. Preußen , andererseits, angewandt, heißt
diese Rechtsparömie ins Deutsche übertragen so: Wer von beiden streitenden
Theilen zuerst in Stuttgart, in Ulm und in Friedrichshafen ist, dem gehört
das Land (roZio) und an den glaubt man (religiö), heiße er nun Monsieur
Chassepot oder Herr von Dreyse.

Dieser Umstand ist traurig, aber noch trauriger wäre es doch, wenn
man sich in Betreff dieses Umstandes einer neuen Täuschung hingäbe, und
in Folge dessen Begehungs- oder Unterlassungssünden vorkämen, die nicht
wieder gut zu machen sind. Namentlich darf man nicht vergessen, daß Vor¬
kommnisse, wie sie die Chronik der drei Tage in Würtemberg aufweist, und
wie sie jeder folgende Tag von neuem bringen kann, auch wenn dies
in Stuttgart gar nicht beabsichtigt sein sollte, ihren Wellenschlag in ver¬
stärktem Maße wieder zurückwälzen zu dem Orte, von wo sie ausgingen;
daß sie namentlich in Wien und Paris in gewissen Kreisen geradezu als
piovoeationes agenäum wirken. So lange über das Schicksal des deut¬
schen Süden noch nicht definitiv und unabänderlich entschieden ist, so lange
gibts keine Ruhe in der Welt; so lange wird ein solcher süddeutscher Staat
abwechselnd von Wien, von Paris und von Berlin angezogen; und das
nationale, wirthschaftliche und militärische Band, das ihn an Norddeutschland
fesselt, scheint leider noch nicht stark genug zu sein, um die Abirrungen nach
Wien und Paris zu Paralysiren. Es ist hoch Zeit, daß man den letzteren
einen Riegel vorschiebt.

Der Riegel ist da. Er heißt Baden. Warum macht man keinen Ge¬
brauch davon? Jede Minute ist kostbar.

Je schwankender man im Süden gesinnt ist, desto fester muß man im
Norden sein. Altmeister Göthe sagt am Schlüsse von Hermann und Dorothea:


„Denn der Mensch, der in schwankender Zeit auch schwankend gesinnt ist,
Der vermehret das Uebel und breitet es weiter und weiter.
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich!"

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Der Slavencongresi und die orientalische Frage.

Während man bei Ihnen in Deutschland durch, das gesammte Jahr 1867
beinahe unausgesetzt mit der Beobachtung der Vorgänge in Frankreich beschäftigt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/74>, abgerufen am 24.08.2024.