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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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gewesen ist, haben sich bei uns im Osten Dinge vorbereitet, welche der öffent¬
lichen Theilnahme nicht minder werth sind, als die Schwankungen, in welche
die französische Politik zu Folge der zweiten römische'- Expedition gerathen
ist. Darüber, ob die orientalische Frage wirklich ihrer Lösung entgegengeht,
und ob die letzten kriegerischen Artikel des russischen Invaliden in der That
die Aufgabe haben, eine entscheidende Wendung unserer Politik vorzubereiten,
kann ich Ihnen nichts sagen. Von den desir''' .i Absichten unseres Cabi-
nets wissen die moskauer und Petersburger Journale ebensowenig, wie die
pariser Blätter von den Plänen, mit welchen Napoleon III. sich für das
nächste Frühjahr trägt. Der Publicist kann nicht mehr thun, als die Ge¬
danken und Stimmungen seiner Umgebung aufmerksam zu verfolgen und aus
den Gegenständen, welche man dieser durch die Presse nahe legt, auf die
Dinge zu schließen, welche für die Zukunft beabsichtigt werden. Die Wichtig¬
keit, welche pariser Zeitungsartikel, Brochüren und Reden sür die Zukunft
Deutschlands haben, ist im Grunde nicht viel größer, als die Bedeutung der
Symptome unseres öffentlichen Zustandes sür den Orient; was die Regie¬
rungen schließlich thun werden, wissen sie vielleicht selbst nicht, wir müssen
uns hier wie in Frankreich damit begnügen, nach den natürlichen Consequen-
zen ihrer bisherigen Handlungen und der Einflüsse zu fragen, welche auf die
Völker ausgeübt werden.

Die Beschäftigung mit den Zuständen der außerrussischen Slaven ist
in Nußland vielleicht niemals so lebhast gewesen, wie während der letzten
sechs Monate. Jede freie Stunde, welche die Presse der Betrachtung der
schwebenden Fragen innerer Politik abmüssigen konnte, war den Vorgängen
in Galizien, an der untern Donau und am Bosporus gewidmet, und die
Theilnahme des Publikums sür dieselben wurde trotz des Eifers, mit welchem
man den Verhandlungen der Tarifcommission und den neuesten Maßregeln
gegen die Ostseeprovinzen folgte, in Permanenz erhalten. Man hatte dabei
den ungeheuern Vortheil, einen Gegenstand zu behandeln, über welchen es, im
Grunde genommen, gar keine erhebliche Meinungsverschiedenheit gab und der
allen Parteien gleich willkommen war. Hatte man sich wegen der Rathsam-
keit einer Herabsetzung des Zolltarifs, oder wegen der Frage, ob es heilsam
, sei, den russischen Güterlausern in Litthauen seitens der Bodencreditgesellschast
keine größeren Vorschüsse zu Theil werden zu lassen, als andern Guts¬
besitzern, noch so feindselig gerauft, die Beschäftigung mit der orientalischen
Frage bot sofort die Möglichkeit der Verständigung und Aussöhnung. Dar¬
über, daß es Rußlands heiligste Pflicht sei, der Unzufriedenheit der türki¬
schen Slaven zu ihrem Recht zu verhelfen, immer wieder an das Un¬
genügende der den orientalischen Christen gemachten Concessionen zu er¬
innern, und die übrigen Großmächte zu einer möglichst wirksamen Jnterccssion


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gewesen ist, haben sich bei uns im Osten Dinge vorbereitet, welche der öffent¬
lichen Theilnahme nicht minder werth sind, als die Schwankungen, in welche
die französische Politik zu Folge der zweiten römische'- Expedition gerathen
ist. Darüber, ob die orientalische Frage wirklich ihrer Lösung entgegengeht,
und ob die letzten kriegerischen Artikel des russischen Invaliden in der That
die Aufgabe haben, eine entscheidende Wendung unserer Politik vorzubereiten,
kann ich Ihnen nichts sagen. Von den desir''' .i Absichten unseres Cabi-
nets wissen die moskauer und Petersburger Journale ebensowenig, wie die
pariser Blätter von den Plänen, mit welchen Napoleon III. sich für das
nächste Frühjahr trägt. Der Publicist kann nicht mehr thun, als die Ge¬
danken und Stimmungen seiner Umgebung aufmerksam zu verfolgen und aus
den Gegenständen, welche man dieser durch die Presse nahe legt, auf die
Dinge zu schließen, welche für die Zukunft beabsichtigt werden. Die Wichtig¬
keit, welche pariser Zeitungsartikel, Brochüren und Reden sür die Zukunft
Deutschlands haben, ist im Grunde nicht viel größer, als die Bedeutung der
Symptome unseres öffentlichen Zustandes sür den Orient; was die Regie¬
rungen schließlich thun werden, wissen sie vielleicht selbst nicht, wir müssen
uns hier wie in Frankreich damit begnügen, nach den natürlichen Consequen-
zen ihrer bisherigen Handlungen und der Einflüsse zu fragen, welche auf die
Völker ausgeübt werden.

Die Beschäftigung mit den Zuständen der außerrussischen Slaven ist
in Nußland vielleicht niemals so lebhast gewesen, wie während der letzten
sechs Monate. Jede freie Stunde, welche die Presse der Betrachtung der
schwebenden Fragen innerer Politik abmüssigen konnte, war den Vorgängen
in Galizien, an der untern Donau und am Bosporus gewidmet, und die
Theilnahme des Publikums sür dieselben wurde trotz des Eifers, mit welchem
man den Verhandlungen der Tarifcommission und den neuesten Maßregeln
gegen die Ostseeprovinzen folgte, in Permanenz erhalten. Man hatte dabei
den ungeheuern Vortheil, einen Gegenstand zu behandeln, über welchen es, im
Grunde genommen, gar keine erhebliche Meinungsverschiedenheit gab und der
allen Parteien gleich willkommen war. Hatte man sich wegen der Rathsam-
keit einer Herabsetzung des Zolltarifs, oder wegen der Frage, ob es heilsam
, sei, den russischen Güterlausern in Litthauen seitens der Bodencreditgesellschast
keine größeren Vorschüsse zu Theil werden zu lassen, als andern Guts¬
besitzern, noch so feindselig gerauft, die Beschäftigung mit der orientalischen
Frage bot sofort die Möglichkeit der Verständigung und Aussöhnung. Dar¬
über, daß es Rußlands heiligste Pflicht sei, der Unzufriedenheit der türki¬
schen Slaven zu ihrem Recht zu verhelfen, immer wieder an das Un¬
genügende der den orientalischen Christen gemachten Concessionen zu er¬
innern, und die übrigen Großmächte zu einer möglichst wirksamen Jnterccssion


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/75>, abgerufen am 24.08.2024.