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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Eine Aufführung der Antigone im modernen Athen.

In der Reihe der Festlichkeiten, die man zu Athen beim Empfang des
neuvermählten Königspaares veranstaltete, war die Aufführung einer neu¬
griechischen Übersetzung der Antigone von Sophokles im Theater des Hero-
des Attikus die letzte und eigenthümlichste. Erlauben Sie, daß ich Ihnen
mittheile, was ich mit den Augen des Barbaren dabei wahrgenommen habe.

Schon seit Monaten war aus der Bühne und im Zuschauerraum viel
gehämmert und gezimmert worden und die Besucher der Akropolis, an welche
das Odeion des Herodes sich anlehnt, konnten sich täglich von dem Fleiß
überzeugen, mit dem man zu Werke ging, freilich auch von dem abenteuer¬
lichen Geschmack, der sich entwickelte, und der immer toller zu werden schien,
je mehr die Vorbereitungen ihrem Ende nahten. Das Gebäude, obwohl
bedeutend kleiner als das alte Dionysostheater, welches eine geringe Strecke
weiter östlich neuerdings wieder aufgedeckt worden ist, war mit Recht für
die Bewohner des heutigen Athen zu groß befunden worden; man hatte
nur einen Theil desselben zum Gebrauche hergerichtet. Die Bühne war ver"
kleiner: worden indem man zu beiden Seiten Wände aufführte und zwischen
ihnen auf vier Säulen ein Giebeldach herstellte, das den eigentlichen Aktions¬
raum bedeckte. Die Scenenwand hatte die üblichen drei Thüren erhalten;
rechts und links aber von der mittelsten standen große von unten drehbare
Pyramiden, deren Malereien zur Veranschaulichung der Scenerie dienen
sollten; an beiden Seiten fehlten auch Coulissen nicht, und zwei Treppen
führten in die Orchestra herab. Alles von Holz und alles mit sogenannten
Farben überzogen. Im Giebelfeld-; hatte man sich sogar zu einer großen
Malerei, grau in grau, verstiegen! Apollo hatte sich bequemen müssen, auf
einer nach beiden Winkeln hin verlaufenden Ranke Platz zu nehmen, um mit
enthusiastischem Blick gen Himmel die Leier zu spielen. Als weitere Deco-
ration waren noch zwei Gipsstatuen aus dem Atelier eines neugriechischen
Phidias auf der Bühne angebracht, und damit der Vergleich mit der Antike
nicht gar zu sehr aufgedrängt werde, war die alte Plastik nur durch Sta¬
tuetten vertreten, indem man alles zur Verwendung gebracht hatte, was im


Grenzboten I. 1868. 6
Eine Aufführung der Antigone im modernen Athen.

In der Reihe der Festlichkeiten, die man zu Athen beim Empfang des
neuvermählten Königspaares veranstaltete, war die Aufführung einer neu¬
griechischen Übersetzung der Antigone von Sophokles im Theater des Hero-
des Attikus die letzte und eigenthümlichste. Erlauben Sie, daß ich Ihnen
mittheile, was ich mit den Augen des Barbaren dabei wahrgenommen habe.

Schon seit Monaten war aus der Bühne und im Zuschauerraum viel
gehämmert und gezimmert worden und die Besucher der Akropolis, an welche
das Odeion des Herodes sich anlehnt, konnten sich täglich von dem Fleiß
überzeugen, mit dem man zu Werke ging, freilich auch von dem abenteuer¬
lichen Geschmack, der sich entwickelte, und der immer toller zu werden schien,
je mehr die Vorbereitungen ihrem Ende nahten. Das Gebäude, obwohl
bedeutend kleiner als das alte Dionysostheater, welches eine geringe Strecke
weiter östlich neuerdings wieder aufgedeckt worden ist, war mit Recht für
die Bewohner des heutigen Athen zu groß befunden worden; man hatte
nur einen Theil desselben zum Gebrauche hergerichtet. Die Bühne war ver«
kleiner: worden indem man zu beiden Seiten Wände aufführte und zwischen
ihnen auf vier Säulen ein Giebeldach herstellte, das den eigentlichen Aktions¬
raum bedeckte. Die Scenenwand hatte die üblichen drei Thüren erhalten;
rechts und links aber von der mittelsten standen große von unten drehbare
Pyramiden, deren Malereien zur Veranschaulichung der Scenerie dienen
sollten; an beiden Seiten fehlten auch Coulissen nicht, und zwei Treppen
führten in die Orchestra herab. Alles von Holz und alles mit sogenannten
Farben überzogen. Im Giebelfeld-; hatte man sich sogar zu einer großen
Malerei, grau in grau, verstiegen! Apollo hatte sich bequemen müssen, auf
einer nach beiden Winkeln hin verlaufenden Ranke Platz zu nehmen, um mit
enthusiastischem Blick gen Himmel die Leier zu spielen. Als weitere Deco-
ration waren noch zwei Gipsstatuen aus dem Atelier eines neugriechischen
Phidias auf der Bühne angebracht, und damit der Vergleich mit der Antike
nicht gar zu sehr aufgedrängt werde, war die alte Plastik nur durch Sta¬
tuetten vertreten, indem man alles zur Verwendung gebracht hatte, was im


Grenzboten I. 1868. 6
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[0049] Eine Aufführung der Antigone im modernen Athen. In der Reihe der Festlichkeiten, die man zu Athen beim Empfang des neuvermählten Königspaares veranstaltete, war die Aufführung einer neu¬ griechischen Übersetzung der Antigone von Sophokles im Theater des Hero- des Attikus die letzte und eigenthümlichste. Erlauben Sie, daß ich Ihnen mittheile, was ich mit den Augen des Barbaren dabei wahrgenommen habe. Schon seit Monaten war aus der Bühne und im Zuschauerraum viel gehämmert und gezimmert worden und die Besucher der Akropolis, an welche das Odeion des Herodes sich anlehnt, konnten sich täglich von dem Fleiß überzeugen, mit dem man zu Werke ging, freilich auch von dem abenteuer¬ lichen Geschmack, der sich entwickelte, und der immer toller zu werden schien, je mehr die Vorbereitungen ihrem Ende nahten. Das Gebäude, obwohl bedeutend kleiner als das alte Dionysostheater, welches eine geringe Strecke weiter östlich neuerdings wieder aufgedeckt worden ist, war mit Recht für die Bewohner des heutigen Athen zu groß befunden worden; man hatte nur einen Theil desselben zum Gebrauche hergerichtet. Die Bühne war ver« kleiner: worden indem man zu beiden Seiten Wände aufführte und zwischen ihnen auf vier Säulen ein Giebeldach herstellte, das den eigentlichen Aktions¬ raum bedeckte. Die Scenenwand hatte die üblichen drei Thüren erhalten; rechts und links aber von der mittelsten standen große von unten drehbare Pyramiden, deren Malereien zur Veranschaulichung der Scenerie dienen sollten; an beiden Seiten fehlten auch Coulissen nicht, und zwei Treppen führten in die Orchestra herab. Alles von Holz und alles mit sogenannten Farben überzogen. Im Giebelfeld-; hatte man sich sogar zu einer großen Malerei, grau in grau, verstiegen! Apollo hatte sich bequemen müssen, auf einer nach beiden Winkeln hin verlaufenden Ranke Platz zu nehmen, um mit enthusiastischem Blick gen Himmel die Leier zu spielen. Als weitere Deco- ration waren noch zwei Gipsstatuen aus dem Atelier eines neugriechischen Phidias auf der Bühne angebracht, und damit der Vergleich mit der Antike nicht gar zu sehr aufgedrängt werde, war die alte Plastik nur durch Sta¬ tuetten vertreten, indem man alles zur Verwendung gebracht hatte, was im Grenzboten I. 1868. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/49>, abgerufen am 29.06.2024.