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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Magazin des Gipshändlers gerade vorräthig stand: den Apoll von Belvedere
neben der Astragalosspielerin, den Sophokles neben einem pompejanischen
Faune und dergleichen. Den Bühnenraum zwischen den vier Säulen ver¬
deckten Vorhänge, welche herabgelassen werden konnten, alle drei von ziegel¬
rothem durchsichtigem Kattun. Im Zuschauerraume schließlich hatte man die
Steinsitze für mehr als 2000 Personen mit Brettern überdeckt und oben in
der Mitte des mittelsten Treppenausschnitts für das jugendliche Königspaar
eine Behausung eingerichtet, welche viel Aehnlichkeit mit einer Puppenstube
zeigte. --

Alle diese Herrichtungen hatte das Wetter, das in diesem Winter nach
langer Dürre ungewöhnliche Nässe brachte, nicht begünstigt. Wiederholt war
vom Sturm und Regen der Stuck von dem Veräs antico der Säulen und
vom leierspielenden Apollo im Giebel unbarmherzig zu Boden gefallen.
Wiederholt hatte der durchsichtige Kattun der Vorhänge zu zerreißen gedroht,
und die auf ihm hochgelb ausgemalten schönen Sprüche und Grundsätze hatten
sichtlich gelitten. Von einem Termin auf den andern war die Stadt durch
kolossale polychrome Theaterzettel, die quer über die Straßen hingen, ver¬
tröstet worden, und erst am 19. December, einem sonnenlosen milden Tage,
fügten'es die Umstände, daß zur Ausführung geschritten werden konnte.

Leider blieb dem Publikum das angenehme Schauspiel eines gefüllten
Theaters versagt, zwischen den seidenen Kleidern der Damen sahen oft be¬
denklich lange Bretter hervor, und das Aussehn besserte sich nur, als im
Lauf des Stücks der Demos im Gefühl der Gleichheit aller Menschenrechte
über- und herunterstieg. Gegen ein Uhr erschien der König mit Königin
und Gefolge, den Wartenden durch die lauten Rufe der draußen versammel¬
ten Menschenmenge angekündigt. Als sie in der Loge Platz genommen,
begann das in der Orchestra aufgestellte Musikchor eine italienische Ouvertüre,
die der arme Dirigent, obgleich er vor Aufregung auf dem antiken Marmor¬
boden den Takt mit dem Fuße trat, nicht ins Gleis bringen konnte.

Nach den Qualen dieser Musik und nach den weitern einer unvermuthet
langen Pause, während welcher man laut hinter dem Vorhange zanken hörte
und die Festordner besorgt zu der königlichen Loge auf- und abeilen sah,
fiel endlich der Kattun, und Antigone trat mit Jsmene aus dem thebavischen ^
Palast hervor, zwei griechische Damen nicht ohne Reifrock, die eine weiß, die '
andere violett, beide aber an den Rändern ihrer Gewänder durch halbellig
hohe ä. Ig. 6rec<zu0-Ornamente legitimirt. Dasselbe große antike Ornament,
wie es schien direkt von einem Tempel copirt, zeigten im Verlauf alle Ge¬
wänder des gesammten Personals, auch die der Choreuten, welche feierlich,
fünfzehn an der Zahl, von links eintraten: keiner wie der andere, sondern
einer buntscheckiger als sein Nachbar, aber alle in Unterbeinkleidern statt


Magazin des Gipshändlers gerade vorräthig stand: den Apoll von Belvedere
neben der Astragalosspielerin, den Sophokles neben einem pompejanischen
Faune und dergleichen. Den Bühnenraum zwischen den vier Säulen ver¬
deckten Vorhänge, welche herabgelassen werden konnten, alle drei von ziegel¬
rothem durchsichtigem Kattun. Im Zuschauerraume schließlich hatte man die
Steinsitze für mehr als 2000 Personen mit Brettern überdeckt und oben in
der Mitte des mittelsten Treppenausschnitts für das jugendliche Königspaar
eine Behausung eingerichtet, welche viel Aehnlichkeit mit einer Puppenstube
zeigte. —

Alle diese Herrichtungen hatte das Wetter, das in diesem Winter nach
langer Dürre ungewöhnliche Nässe brachte, nicht begünstigt. Wiederholt war
vom Sturm und Regen der Stuck von dem Veräs antico der Säulen und
vom leierspielenden Apollo im Giebel unbarmherzig zu Boden gefallen.
Wiederholt hatte der durchsichtige Kattun der Vorhänge zu zerreißen gedroht,
und die auf ihm hochgelb ausgemalten schönen Sprüche und Grundsätze hatten
sichtlich gelitten. Von einem Termin auf den andern war die Stadt durch
kolossale polychrome Theaterzettel, die quer über die Straßen hingen, ver¬
tröstet worden, und erst am 19. December, einem sonnenlosen milden Tage,
fügten'es die Umstände, daß zur Ausführung geschritten werden konnte.

Leider blieb dem Publikum das angenehme Schauspiel eines gefüllten
Theaters versagt, zwischen den seidenen Kleidern der Damen sahen oft be¬
denklich lange Bretter hervor, und das Aussehn besserte sich nur, als im
Lauf des Stücks der Demos im Gefühl der Gleichheit aller Menschenrechte
über- und herunterstieg. Gegen ein Uhr erschien der König mit Königin
und Gefolge, den Wartenden durch die lauten Rufe der draußen versammel¬
ten Menschenmenge angekündigt. Als sie in der Loge Platz genommen,
begann das in der Orchestra aufgestellte Musikchor eine italienische Ouvertüre,
die der arme Dirigent, obgleich er vor Aufregung auf dem antiken Marmor¬
boden den Takt mit dem Fuße trat, nicht ins Gleis bringen konnte.

Nach den Qualen dieser Musik und nach den weitern einer unvermuthet
langen Pause, während welcher man laut hinter dem Vorhange zanken hörte
und die Festordner besorgt zu der königlichen Loge auf- und abeilen sah,
fiel endlich der Kattun, und Antigone trat mit Jsmene aus dem thebavischen ^
Palast hervor, zwei griechische Damen nicht ohne Reifrock, die eine weiß, die '
andere violett, beide aber an den Rändern ihrer Gewänder durch halbellig
hohe ä. Ig. 6rec<zu0-Ornamente legitimirt. Dasselbe große antike Ornament,
wie es schien direkt von einem Tempel copirt, zeigten im Verlauf alle Ge¬
wänder des gesammten Personals, auch die der Choreuten, welche feierlich,
fünfzehn an der Zahl, von links eintraten: keiner wie der andere, sondern
einer buntscheckiger als sein Nachbar, aber alle in Unterbeinkleidern statt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/50>, abgerufen am 01.07.2024.