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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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der anderen Parteien. Jedes Flugblatt, jede Wahlrede streut -Keime aus,
die nicht verloren sind. Nur das hoffen wir allerdings, daß die süddeutsche
Frage nicht so lange aä acta gelegt werde, bis alle diese Keime gereift sind
und Schwaben einmal eine national-gesinnte Vertretung nach Berlin sendet.
Schon jetzt wäre der Ausfall der Wahlen ein anderer gewesen, wenn ein
günstigerer Wind von Norden geweht hätte.




Politische Rundschau.
Die Stimmung an der unteren Donau.

X

Nicht nach der den Dingen innewohnenden Wichtigkeit und Bedeutung,
sondern meist nach Herkommen und Gewohnheit bestimmen sich Maß und
Inhalt dessen, was der Deutsche von der Welt erfährt. Besser unterrichtet als
die Mehrzahl seiner continentalen Nachbarn, erhält er ziemlich genaue Kunde
von dem. was in Frankreich, England und Italien verfällt; in der außer¬
europäischen Welt bildet die Grenze der Baumwollencultur gewöhnlich die
Linie seines Zeitungshorizonts, -- höchstens, daß zu Gunsten Afrikas eine
Ausnahme gemacht wird Minder bekannt sind die Länder des Ostens und
Nordostens. -- der europäische Süd öfter. obgleich klassischer Boden der s. g.
orientalischen Frage, ist fast nur dem Namen nach gekannt. Von der Eigen¬
thümlichkeit des Landes an der untern Donau und dem adriatischen Meer,
von der Bildungsstufe, den Gewohnheiten und Anschauungen seiner Bewoh¬
ner weiß man nur. daH sie von denen der übrigen Bewohner abweichen
und diese Kunde gilt der Convention für ausreichend.

Daß sie es nicht sei, hat sich in den letzten Wochen mit besonderer
Deutlichkeit gezeigt. Während der ersten Hälfte des Februarmonats wurde
von Paris aus plötzlich gemeldet, in Serbien und Rumänien gehe es un¬
ruhig zu; russische Agenten durchzögen das Land, hie und da hätten sich
bereits bewaffnete Banden gezeigt. Zu welchem Zweck agitirt würde, und
gegen wen die "Banden" sich gewaffnet hätten, blieb der Mehrzahl derer, die
diese Nachrichten wiederholten und als ..Anzeichen einer Lösung der orienta¬
lischem Frage" signalistrten. unbekannt. Seit Rußland friedliche Versicherun¬
gen ertheilt, sein Gesandter Baron Budberg dieselben zu Paris wiederholt
und der officielle "Invalide" erklärt hat. alle Nachrichten über russische Um¬
triebe an der Donau seien erfunden, hat man sich wiederum beruhigt, oder
^ um den herkömmlichen Ausdruck zu gebrauchen, "eine Vertagung der


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der anderen Parteien. Jedes Flugblatt, jede Wahlrede streut -Keime aus,
die nicht verloren sind. Nur das hoffen wir allerdings, daß die süddeutsche
Frage nicht so lange aä acta gelegt werde, bis alle diese Keime gereift sind
und Schwaben einmal eine national-gesinnte Vertretung nach Berlin sendet.
Schon jetzt wäre der Ausfall der Wahlen ein anderer gewesen, wenn ein
günstigerer Wind von Norden geweht hätte.




Politische Rundschau.
Die Stimmung an der unteren Donau.

X

Nicht nach der den Dingen innewohnenden Wichtigkeit und Bedeutung,
sondern meist nach Herkommen und Gewohnheit bestimmen sich Maß und
Inhalt dessen, was der Deutsche von der Welt erfährt. Besser unterrichtet als
die Mehrzahl seiner continentalen Nachbarn, erhält er ziemlich genaue Kunde
von dem. was in Frankreich, England und Italien verfällt; in der außer¬
europäischen Welt bildet die Grenze der Baumwollencultur gewöhnlich die
Linie seines Zeitungshorizonts, — höchstens, daß zu Gunsten Afrikas eine
Ausnahme gemacht wird Minder bekannt sind die Länder des Ostens und
Nordostens. — der europäische Süd öfter. obgleich klassischer Boden der s. g.
orientalischen Frage, ist fast nur dem Namen nach gekannt. Von der Eigen¬
thümlichkeit des Landes an der untern Donau und dem adriatischen Meer,
von der Bildungsstufe, den Gewohnheiten und Anschauungen seiner Bewoh¬
ner weiß man nur. daH sie von denen der übrigen Bewohner abweichen
und diese Kunde gilt der Convention für ausreichend.

Daß sie es nicht sei, hat sich in den letzten Wochen mit besonderer
Deutlichkeit gezeigt. Während der ersten Hälfte des Februarmonats wurde
von Paris aus plötzlich gemeldet, in Serbien und Rumänien gehe es un¬
ruhig zu; russische Agenten durchzögen das Land, hie und da hätten sich
bereits bewaffnete Banden gezeigt. Zu welchem Zweck agitirt würde, und
gegen wen die „Banden" sich gewaffnet hätten, blieb der Mehrzahl derer, die
diese Nachrichten wiederholten und als ..Anzeichen einer Lösung der orienta¬
lischem Frage" signalistrten. unbekannt. Seit Rußland friedliche Versicherun¬
gen ertheilt, sein Gesandter Baron Budberg dieselben zu Paris wiederholt
und der officielle „Invalide" erklärt hat. alle Nachrichten über russische Um¬
triebe an der Donau seien erfunden, hat man sich wiederum beruhigt, oder
^ um den herkömmlichen Ausdruck zu gebrauchen, „eine Vertagung der


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[0477] der anderen Parteien. Jedes Flugblatt, jede Wahlrede streut -Keime aus, die nicht verloren sind. Nur das hoffen wir allerdings, daß die süddeutsche Frage nicht so lange aä acta gelegt werde, bis alle diese Keime gereift sind und Schwaben einmal eine national-gesinnte Vertretung nach Berlin sendet. Schon jetzt wäre der Ausfall der Wahlen ein anderer gewesen, wenn ein günstigerer Wind von Norden geweht hätte. Politische Rundschau. Die Stimmung an der unteren Donau. X Nicht nach der den Dingen innewohnenden Wichtigkeit und Bedeutung, sondern meist nach Herkommen und Gewohnheit bestimmen sich Maß und Inhalt dessen, was der Deutsche von der Welt erfährt. Besser unterrichtet als die Mehrzahl seiner continentalen Nachbarn, erhält er ziemlich genaue Kunde von dem. was in Frankreich, England und Italien verfällt; in der außer¬ europäischen Welt bildet die Grenze der Baumwollencultur gewöhnlich die Linie seines Zeitungshorizonts, — höchstens, daß zu Gunsten Afrikas eine Ausnahme gemacht wird Minder bekannt sind die Länder des Ostens und Nordostens. — der europäische Süd öfter. obgleich klassischer Boden der s. g. orientalischen Frage, ist fast nur dem Namen nach gekannt. Von der Eigen¬ thümlichkeit des Landes an der untern Donau und dem adriatischen Meer, von der Bildungsstufe, den Gewohnheiten und Anschauungen seiner Bewoh¬ ner weiß man nur. daH sie von denen der übrigen Bewohner abweichen und diese Kunde gilt der Convention für ausreichend. Daß sie es nicht sei, hat sich in den letzten Wochen mit besonderer Deutlichkeit gezeigt. Während der ersten Hälfte des Februarmonats wurde von Paris aus plötzlich gemeldet, in Serbien und Rumänien gehe es un¬ ruhig zu; russische Agenten durchzögen das Land, hie und da hätten sich bereits bewaffnete Banden gezeigt. Zu welchem Zweck agitirt würde, und gegen wen die „Banden" sich gewaffnet hätten, blieb der Mehrzahl derer, die diese Nachrichten wiederholten und als ..Anzeichen einer Lösung der orienta¬ lischem Frage" signalistrten. unbekannt. Seit Rußland friedliche Versicherun¬ gen ertheilt, sein Gesandter Baron Budberg dieselben zu Paris wiederholt und der officielle „Invalide" erklärt hat. alle Nachrichten über russische Um¬ triebe an der Donau seien erfunden, hat man sich wiederum beruhigt, oder ^ um den herkömmlichen Ausdruck zu gebrauchen, „eine Vertagung der S9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/477>, abgerufen am 03.07.2024.