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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Griechische und lateinische Studien der Herzogin Amalie von Weimar.

Immer von neuem wird dem geistigen und gesellschaftlichen Leben jener
berühmten Zeit Weimars nachgespürt, in welcher die Dichter und Denker
unserer Nation an der Ilm lebten und wirkten. Und mit Recht; denn" es
ist in hohem Grade lehrreich, zu erforschen, wie jene Geister großer Zeit sich
gegenseitig anregten, wie sie von Verhältnissen, die zu beherrschen keinem
Sterblichen gegeben ist, in ihren Thaten und Schöpfungen bestimmt wurden,
und welchen Einfluß sie selbst in ihrer Umgebung ausübten. In vielen
Fällen genügt es freilich, die Thatsache zu kennen, anziehend aber ist und
bleibt es, die Wirkung zu verfolgen. So weiß man, daß die Herzogin
Amalie, von der an ihrem Hofe herrschenden geistigen Strömung mit fort¬
gerissen, den lebhaften Wunsch hegte, griechisch und lateinisch zu lernen, um
die alten Dichter in der Ursprache zu lesen. Den äußern Anstoß zum Be¬
ginn dieser Studien gab die Erscheinung des berühmten Philologen Jean
Battiste Gaspard d'Anssc de Villoison zu Weimar. Der Herzog Karl August
hatte auf jener Reise, welche seinem Regierungsantritt unmittelbar voraus¬
ging, den jungen Gelehrten, welcher sich durch fleißige Ausgaben der
alten Schriftsteller einen Namen erworben hatte, in Paris aufgesucht (1774).
Villoison schloß sich mit Wärme dem Herzoge und seinen Begleitern an,
erwies sich ihnen während ihres Aufenthalts sehr gefällig und blieb fortan
mit ihnen und namentlich mit Knebel in Correspondenz. Seine Briefe
geben ein höchst eigenthümliches Bild des wunderlichen Ehrgeizes dieses
gründlichen Kenners der alten Sprachen und ihrer Literatur. (Vergleiche:
Zur deutschen Literatur und Geschichte, ungedruckte Briefe aus Knebels Nach¬
laß, herausgegeben von Düntzer, Nürnberg 1858). Nachdem er in Venedig
die Ausgabe des Homer bearbeitet hatte, welche seinen dauernden Ruf
begründete, kam er 1782 nach Weimar, wo er bei Hof gut aufgenommen
wurde und die Herzogin Amalie für seine Griechen so begeisterte, daß ihr die
Laune kam, bei ihm Unterricht in griechischer Sprache zu nehmen. Er zeigte
dies unterm 22. Mai 1782 Knebel an. Sie selbst aber schrieb ihm:

Tiefurt den 23. Juni 1782.--Seit Villoisons Hiersein habe ich
das Griechische angefangen; ich kann sieben anakreontische Oden lesen und
verstehen; ich bin aber auch une knnessss pleins ac gSniö. Knebel, was
sagen Sie dazu? Wären Sie hier, wie wollten wir die Sprache der Götter
treiben! Es macht mir wirklich unendlich viel Freude, und bringt mir viele
Stunden sehr angenehm hin.

Tiefurt den 29. Aug. 1782.--Das Griechische aber nimmt mit


Griechische und lateinische Studien der Herzogin Amalie von Weimar.

Immer von neuem wird dem geistigen und gesellschaftlichen Leben jener
berühmten Zeit Weimars nachgespürt, in welcher die Dichter und Denker
unserer Nation an der Ilm lebten und wirkten. Und mit Recht; denn" es
ist in hohem Grade lehrreich, zu erforschen, wie jene Geister großer Zeit sich
gegenseitig anregten, wie sie von Verhältnissen, die zu beherrschen keinem
Sterblichen gegeben ist, in ihren Thaten und Schöpfungen bestimmt wurden,
und welchen Einfluß sie selbst in ihrer Umgebung ausübten. In vielen
Fällen genügt es freilich, die Thatsache zu kennen, anziehend aber ist und
bleibt es, die Wirkung zu verfolgen. So weiß man, daß die Herzogin
Amalie, von der an ihrem Hofe herrschenden geistigen Strömung mit fort¬
gerissen, den lebhaften Wunsch hegte, griechisch und lateinisch zu lernen, um
die alten Dichter in der Ursprache zu lesen. Den äußern Anstoß zum Be¬
ginn dieser Studien gab die Erscheinung des berühmten Philologen Jean
Battiste Gaspard d'Anssc de Villoison zu Weimar. Der Herzog Karl August
hatte auf jener Reise, welche seinem Regierungsantritt unmittelbar voraus¬
ging, den jungen Gelehrten, welcher sich durch fleißige Ausgaben der
alten Schriftsteller einen Namen erworben hatte, in Paris aufgesucht (1774).
Villoison schloß sich mit Wärme dem Herzoge und seinen Begleitern an,
erwies sich ihnen während ihres Aufenthalts sehr gefällig und blieb fortan
mit ihnen und namentlich mit Knebel in Correspondenz. Seine Briefe
geben ein höchst eigenthümliches Bild des wunderlichen Ehrgeizes dieses
gründlichen Kenners der alten Sprachen und ihrer Literatur. (Vergleiche:
Zur deutschen Literatur und Geschichte, ungedruckte Briefe aus Knebels Nach¬
laß, herausgegeben von Düntzer, Nürnberg 1858). Nachdem er in Venedig
die Ausgabe des Homer bearbeitet hatte, welche seinen dauernden Ruf
begründete, kam er 1782 nach Weimar, wo er bei Hof gut aufgenommen
wurde und die Herzogin Amalie für seine Griechen so begeisterte, daß ihr die
Laune kam, bei ihm Unterricht in griechischer Sprache zu nehmen. Er zeigte
dies unterm 22. Mai 1782 Knebel an. Sie selbst aber schrieb ihm:

Tiefurt den 23. Juni 1782.--Seit Villoisons Hiersein habe ich
das Griechische angefangen; ich kann sieben anakreontische Oden lesen und
verstehen; ich bin aber auch une knnessss pleins ac gSniö. Knebel, was
sagen Sie dazu? Wären Sie hier, wie wollten wir die Sprache der Götter
treiben! Es macht mir wirklich unendlich viel Freude, und bringt mir viele
Stunden sehr angenehm hin.

Tiefurt den 29. Aug. 1782.--Das Griechische aber nimmt mit


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[0039] Griechische und lateinische Studien der Herzogin Amalie von Weimar. Immer von neuem wird dem geistigen und gesellschaftlichen Leben jener berühmten Zeit Weimars nachgespürt, in welcher die Dichter und Denker unserer Nation an der Ilm lebten und wirkten. Und mit Recht; denn" es ist in hohem Grade lehrreich, zu erforschen, wie jene Geister großer Zeit sich gegenseitig anregten, wie sie von Verhältnissen, die zu beherrschen keinem Sterblichen gegeben ist, in ihren Thaten und Schöpfungen bestimmt wurden, und welchen Einfluß sie selbst in ihrer Umgebung ausübten. In vielen Fällen genügt es freilich, die Thatsache zu kennen, anziehend aber ist und bleibt es, die Wirkung zu verfolgen. So weiß man, daß die Herzogin Amalie, von der an ihrem Hofe herrschenden geistigen Strömung mit fort¬ gerissen, den lebhaften Wunsch hegte, griechisch und lateinisch zu lernen, um die alten Dichter in der Ursprache zu lesen. Den äußern Anstoß zum Be¬ ginn dieser Studien gab die Erscheinung des berühmten Philologen Jean Battiste Gaspard d'Anssc de Villoison zu Weimar. Der Herzog Karl August hatte auf jener Reise, welche seinem Regierungsantritt unmittelbar voraus¬ ging, den jungen Gelehrten, welcher sich durch fleißige Ausgaben der alten Schriftsteller einen Namen erworben hatte, in Paris aufgesucht (1774). Villoison schloß sich mit Wärme dem Herzoge und seinen Begleitern an, erwies sich ihnen während ihres Aufenthalts sehr gefällig und blieb fortan mit ihnen und namentlich mit Knebel in Correspondenz. Seine Briefe geben ein höchst eigenthümliches Bild des wunderlichen Ehrgeizes dieses gründlichen Kenners der alten Sprachen und ihrer Literatur. (Vergleiche: Zur deutschen Literatur und Geschichte, ungedruckte Briefe aus Knebels Nach¬ laß, herausgegeben von Düntzer, Nürnberg 1858). Nachdem er in Venedig die Ausgabe des Homer bearbeitet hatte, welche seinen dauernden Ruf begründete, kam er 1782 nach Weimar, wo er bei Hof gut aufgenommen wurde und die Herzogin Amalie für seine Griechen so begeisterte, daß ihr die Laune kam, bei ihm Unterricht in griechischer Sprache zu nehmen. Er zeigte dies unterm 22. Mai 1782 Knebel an. Sie selbst aber schrieb ihm: Tiefurt den 23. Juni 1782.--Seit Villoisons Hiersein habe ich das Griechische angefangen; ich kann sieben anakreontische Oden lesen und verstehen; ich bin aber auch une knnessss pleins ac gSniö. Knebel, was sagen Sie dazu? Wären Sie hier, wie wollten wir die Sprache der Götter treiben! Es macht mir wirklich unendlich viel Freude, und bringt mir viele Stunden sehr angenehm hin. Tiefurt den 29. Aug. 1782.--Das Griechische aber nimmt mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/39>, abgerufen am 29.06.2024.