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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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fern liegt, denn gibt Preußen Frankreich und Oestreich freies Spiel im Süden,
so hat es dann später wahrscheinlich den Kampf mit den besser gerüsteten
Gegnern allein aufzunehmen, während jetzt, mag man auch noch so gering
von der italienischen Armee denken, dieselbe doch einige Corps Frankreichs
beschäftigen würde. Viel wird bei dem Gang, den die Dinge zunächst^ neh¬
men werden, auf die Haltung Italiens ankommen, eine bedeutende Politik
läßt sich dort schwerlich erwarten.

Die Politik Ratazzis war die eines kleinlichen Intriguanten; auf Schleich¬
wegen zum Ministerium gelangt, begann er über eine Allianz mit Frank¬
reich gegen Deutschland zu unterhandeln, der Dank dafür war die Mission
des Generals Dumont; Cavour hätte dieselbe mit der Kündigung der Sep¬
temberconvention beantwortet, Ratazzi gab sich mit einer nichts Sagenden
Erklärung Moustiers zufrieden, um nicht die Gunst in Paris zu verscherzen.
Sein Fiasko im October mag ihn über den Erfolg dieser Politik belehrt
haben. Menebrea hat mit einem Rückzug debütirt, und auch jetzt sieht man
wohl gute Absicht, aber keinen festen klaren Willen. Die ganze endlose De¬
batte in Florenz macht überhaupt einen peinlichen Eindruck: gegenseitige An¬
klagen und ohnmächtige Deklamationen füllten die Sitzungen aus. statt daß
man offen und kurz erklärte, man sei jetzt nicht im Stande, das römische
Programm durchzuführen, halte aber an demselben fest und stelle sich dafür
frei hin, indem man die Septemberconvention als beseitigt betrachte. Wie
sich die Dinge, nach dem nun auch die von Anfang an aussichtslose Con-
ferenz formell gescheitert ist, weiter gestalten, ist kaum zu berechnen, aber
seit lange hat. zumal bei der gleichzeitig wiederaufwacbenden orientalischen
Frage, kein Jahr unter so drohenden Auspicien für den Weltfrieden ge¬
schlossen, als das gegenwärtige; nicht umsonst hat der Baarvorrath der fran¬
zösischen Bank die noch nie erhörte Ziffer einer Milliarde erreicht: der Ge¬
schäftsmann macht gern große Zinsen, aber lieber keine, wenn das Capital
in Gefahr kommt.




Das erste Jahr des norddeutschen Bundes ist vorüber, gefüllt wie kein
früheres mit parlamentarischen Versammlungen, Verträgen, den wichtigsten
Acten der Gesetzgebung. Der gehobenen Stimmung und unsichern Erwar¬
tung im Anfange des Jahres ist Befriedigung, Ernüchterung, hier und da
eine starke Reaction im Interesse früherer Zustände gefolgt; nicht auf jedem


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fern liegt, denn gibt Preußen Frankreich und Oestreich freies Spiel im Süden,
so hat es dann später wahrscheinlich den Kampf mit den besser gerüsteten
Gegnern allein aufzunehmen, während jetzt, mag man auch noch so gering
von der italienischen Armee denken, dieselbe doch einige Corps Frankreichs
beschäftigen würde. Viel wird bei dem Gang, den die Dinge zunächst^ neh¬
men werden, auf die Haltung Italiens ankommen, eine bedeutende Politik
läßt sich dort schwerlich erwarten.

Die Politik Ratazzis war die eines kleinlichen Intriguanten; auf Schleich¬
wegen zum Ministerium gelangt, begann er über eine Allianz mit Frank¬
reich gegen Deutschland zu unterhandeln, der Dank dafür war die Mission
des Generals Dumont; Cavour hätte dieselbe mit der Kündigung der Sep¬
temberconvention beantwortet, Ratazzi gab sich mit einer nichts Sagenden
Erklärung Moustiers zufrieden, um nicht die Gunst in Paris zu verscherzen.
Sein Fiasko im October mag ihn über den Erfolg dieser Politik belehrt
haben. Menebrea hat mit einem Rückzug debütirt, und auch jetzt sieht man
wohl gute Absicht, aber keinen festen klaren Willen. Die ganze endlose De¬
batte in Florenz macht überhaupt einen peinlichen Eindruck: gegenseitige An¬
klagen und ohnmächtige Deklamationen füllten die Sitzungen aus. statt daß
man offen und kurz erklärte, man sei jetzt nicht im Stande, das römische
Programm durchzuführen, halte aber an demselben fest und stelle sich dafür
frei hin, indem man die Septemberconvention als beseitigt betrachte. Wie
sich die Dinge, nach dem nun auch die von Anfang an aussichtslose Con-
ferenz formell gescheitert ist, weiter gestalten, ist kaum zu berechnen, aber
seit lange hat. zumal bei der gleichzeitig wiederaufwacbenden orientalischen
Frage, kein Jahr unter so drohenden Auspicien für den Weltfrieden ge¬
schlossen, als das gegenwärtige; nicht umsonst hat der Baarvorrath der fran¬
zösischen Bank die noch nie erhörte Ziffer einer Milliarde erreicht: der Ge¬
schäftsmann macht gern große Zinsen, aber lieber keine, wenn das Capital
in Gefahr kommt.




Das erste Jahr des norddeutschen Bundes ist vorüber, gefüllt wie kein
früheres mit parlamentarischen Versammlungen, Verträgen, den wichtigsten
Acten der Gesetzgebung. Der gehobenen Stimmung und unsichern Erwar¬
tung im Anfange des Jahres ist Befriedigung, Ernüchterung, hier und da
eine starke Reaction im Interesse früherer Zustände gefolgt; nicht auf jedem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/35>, abgerufen am 29.06.2024.