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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Sundesmdigenat und Heirathsconftnse.

Als die Verfassung und die Gesetzgebung des norddeutschen Bundes
uns mit einem gemeinsamen Jndigenat und dem Freizügigkeitsgesetz be¬
schenkte, da frohlockte manches Gemüth in der Hoffnung, daß für das Bun¬
desgebiet die Zeit angebrochen sei, wo es keine Heimathscheine, keine Natu-
ralisation, kein Bürgerrechtsgeld und keine behördliche Heirathserlaubniß
mehr gebe.

Es war eine schmerzliche Täuschung; im wesentlichen ist alles beim
alten geblieben.

Will der Bundesbrüder des einen Staats in einem andern verweilen,
so muß er nach wie vor seinen Heimathschein aufweisen, der bei Leibe nicht
für einen andern Bundesstaat gilt, als für den er gerade ausgestellt ist.
Will der Jndigena die Staatsangehörigkeit in einem andern Bundesstaate
erwerben, so muß er trotz seines Jndigenats die Formalien der Entlassung
aus dem bisherigen Verbände und Aufnahme in den andern durchmachen.
Das Einzugsgeld ist zwar durch das Freizügigkeitsgesetz aufgehoben, das
Bürgerrechtsgeld wird aber fortentrichtet. Wehe dem armen Weimaraner,
Meininger, Schwarzburger, Gothaner, Altenburger oder Angehörigen eines
sonstigen kleinen Staates, in welchem die in dieser Hinsicht freisinnigere preu¬
ßische Gesetzgebung nicht gilt, der im Auslande, das heißt in einem andern
norddeutschen Bundesstaate, mit einem ausländischen Jndigenatsgenofsen sich
zu verheirathen die Absicht hegt. Er muß bei seiner heimathlichen Gemeinde
die gütige Zustimmung zu der vorhabenden ehelichen Verbindung erbetteln
und erhält dieselbe in dem günstigen Falle, daß an seiner Subsistenzfähigkeit
nicht gezweifelt wird, erst nach Zahlung von Bürgerrechtsgeld für sich, seine
Verlobte, etwa schon vorhandene oder sogar für zu erwartende Kinder, wenn
ihm nicht noch eine hohe Caution besonders abverlangt wird.

Das gemeinsame Jndigenat verdankt es den Bestimmungen der Alineas
3 und 4 des Artikels 3 der Bundesverfassung, daß es zu einem fast wesen¬
losen Begriff geworden ist, namentlich conservirt Alinea 3, wonach diejenigen
Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme in den
lokalen Gemeindeverband betreffen, durch das Jndigenat nicht berührt
werden sollen, alle engherzigen Schranken der kleinstaatlichen Heimathgesetz¬
gebungen.

Mögen nun immerhin Heimathscheine, Naturalisation und Bürgerrechts¬
gelder fortbestehen, es sind dies verhältnißmäßig unbedeutende und leicht zu
tragende Dinge.


Sundesmdigenat und Heirathsconftnse.

Als die Verfassung und die Gesetzgebung des norddeutschen Bundes
uns mit einem gemeinsamen Jndigenat und dem Freizügigkeitsgesetz be¬
schenkte, da frohlockte manches Gemüth in der Hoffnung, daß für das Bun¬
desgebiet die Zeit angebrochen sei, wo es keine Heimathscheine, keine Natu-
ralisation, kein Bürgerrechtsgeld und keine behördliche Heirathserlaubniß
mehr gebe.

Es war eine schmerzliche Täuschung; im wesentlichen ist alles beim
alten geblieben.

Will der Bundesbrüder des einen Staats in einem andern verweilen,
so muß er nach wie vor seinen Heimathschein aufweisen, der bei Leibe nicht
für einen andern Bundesstaat gilt, als für den er gerade ausgestellt ist.
Will der Jndigena die Staatsangehörigkeit in einem andern Bundesstaate
erwerben, so muß er trotz seines Jndigenats die Formalien der Entlassung
aus dem bisherigen Verbände und Aufnahme in den andern durchmachen.
Das Einzugsgeld ist zwar durch das Freizügigkeitsgesetz aufgehoben, das
Bürgerrechtsgeld wird aber fortentrichtet. Wehe dem armen Weimaraner,
Meininger, Schwarzburger, Gothaner, Altenburger oder Angehörigen eines
sonstigen kleinen Staates, in welchem die in dieser Hinsicht freisinnigere preu¬
ßische Gesetzgebung nicht gilt, der im Auslande, das heißt in einem andern
norddeutschen Bundesstaate, mit einem ausländischen Jndigenatsgenofsen sich
zu verheirathen die Absicht hegt. Er muß bei seiner heimathlichen Gemeinde
die gütige Zustimmung zu der vorhabenden ehelichen Verbindung erbetteln
und erhält dieselbe in dem günstigen Falle, daß an seiner Subsistenzfähigkeit
nicht gezweifelt wird, erst nach Zahlung von Bürgerrechtsgeld für sich, seine
Verlobte, etwa schon vorhandene oder sogar für zu erwartende Kinder, wenn
ihm nicht noch eine hohe Caution besonders abverlangt wird.

Das gemeinsame Jndigenat verdankt es den Bestimmungen der Alineas
3 und 4 des Artikels 3 der Bundesverfassung, daß es zu einem fast wesen¬
losen Begriff geworden ist, namentlich conservirt Alinea 3, wonach diejenigen
Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme in den
lokalen Gemeindeverband betreffen, durch das Jndigenat nicht berührt
werden sollen, alle engherzigen Schranken der kleinstaatlichen Heimathgesetz¬
gebungen.

Mögen nun immerhin Heimathscheine, Naturalisation und Bürgerrechts¬
gelder fortbestehen, es sind dies verhältnißmäßig unbedeutende und leicht zu
tragende Dinge.


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[0314] Sundesmdigenat und Heirathsconftnse. Als die Verfassung und die Gesetzgebung des norddeutschen Bundes uns mit einem gemeinsamen Jndigenat und dem Freizügigkeitsgesetz be¬ schenkte, da frohlockte manches Gemüth in der Hoffnung, daß für das Bun¬ desgebiet die Zeit angebrochen sei, wo es keine Heimathscheine, keine Natu- ralisation, kein Bürgerrechtsgeld und keine behördliche Heirathserlaubniß mehr gebe. Es war eine schmerzliche Täuschung; im wesentlichen ist alles beim alten geblieben. Will der Bundesbrüder des einen Staats in einem andern verweilen, so muß er nach wie vor seinen Heimathschein aufweisen, der bei Leibe nicht für einen andern Bundesstaat gilt, als für den er gerade ausgestellt ist. Will der Jndigena die Staatsangehörigkeit in einem andern Bundesstaate erwerben, so muß er trotz seines Jndigenats die Formalien der Entlassung aus dem bisherigen Verbände und Aufnahme in den andern durchmachen. Das Einzugsgeld ist zwar durch das Freizügigkeitsgesetz aufgehoben, das Bürgerrechtsgeld wird aber fortentrichtet. Wehe dem armen Weimaraner, Meininger, Schwarzburger, Gothaner, Altenburger oder Angehörigen eines sonstigen kleinen Staates, in welchem die in dieser Hinsicht freisinnigere preu¬ ßische Gesetzgebung nicht gilt, der im Auslande, das heißt in einem andern norddeutschen Bundesstaate, mit einem ausländischen Jndigenatsgenofsen sich zu verheirathen die Absicht hegt. Er muß bei seiner heimathlichen Gemeinde die gütige Zustimmung zu der vorhabenden ehelichen Verbindung erbetteln und erhält dieselbe in dem günstigen Falle, daß an seiner Subsistenzfähigkeit nicht gezweifelt wird, erst nach Zahlung von Bürgerrechtsgeld für sich, seine Verlobte, etwa schon vorhandene oder sogar für zu erwartende Kinder, wenn ihm nicht noch eine hohe Caution besonders abverlangt wird. Das gemeinsame Jndigenat verdankt es den Bestimmungen der Alineas 3 und 4 des Artikels 3 der Bundesverfassung, daß es zu einem fast wesen¬ losen Begriff geworden ist, namentlich conservirt Alinea 3, wonach diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme in den lokalen Gemeindeverband betreffen, durch das Jndigenat nicht berührt werden sollen, alle engherzigen Schranken der kleinstaatlichen Heimathgesetz¬ gebungen. Mögen nun immerhin Heimathscheine, Naturalisation und Bürgerrechts¬ gelder fortbestehen, es sind dies verhältnißmäßig unbedeutende und leicht zu tragende Dinge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/314>, abgerufen am 22.07.2024.