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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Wahrhaft empörend aber und dem menschlichen Gefühl zuwiderlaufend
ist die in manchen Kleinstaaten noch geltende zopfige Bestimmung, daß die Bil¬
ligkeit und Zulässigkeit der von männlichen Unterthanen dieser Staaten mit
Ausländerinnen einzugehenden Ehen von der vorherigen Zustimmung
der betreffenden heimathlichen Obrigkeit abhängt. Dadurch ist
eine Leibeigenschaft der schlimmsten Art begründet, wie sie unwürdiger kaum
in Rußland bestanden haben mag. Denn es ist besser, der Willkür eines
Einzelnen unterworfen zu sein, als der unberechenbaren Vielköpfigkeit einer
Gemeindevertretung.

In Preußen, wo nach dem Gesetz vom 31. December 1842 jede Aus¬
länderin durch Trauung mit einem Inländer die Eigenschaft einer Preußin
so ipso erlangt, bedarf es einer Erlaubniß der Heimathsbehörde nicht. Dies
ist human und auch volkswirthschaftlich rationell hinsichtlich der freien Be¬
wegung der Arbeit. Dem armen Kleinstaatler aber, der seinem Vaterländchen
den Rücken gewandt, weil er im "Auslande" für sein Wissen und Können
ein ergiebigeres Feld der Thätigkeit findet als daheim, hängt die Heimath¬
scholle als ein Hemmniß an, wie Kette und Kugel dem Züchtling.

Setzen wir ein Beispiel:

Ein junger Handwerker, aus einem thüringischen Orte gebürtig, hat in
einer größeren preußischen Stadt Gelegenheit, sich zu etabliren. oder lohnende
und feste Arbeit gefunden, sodaß seine Existenz gesichert ist. Er hat sich mit
einer Preußin verlobt, beabsichtigt unter Anzahlung seiner und seiner Braut
Ersparnisse ein kleines Haus zu kaufen und demnächst zu heirathen. Wäre
er als Preuße im analogen Falle, so brauchte er nur eine Bescheinigung
der betreffenden Regierung, daß er zur Abschließung einer Ehe im Auslande
einer besonderen obrigkeitlichen Erlaubniß nicht bedarf. Aber er ist leider
kein Preuße. Er muß also die Einwilligung seiner Heimathgemeinde demü¬
thig nachsuchen.

Seine Bitte wird natürlich sehr ungnädig aufgenommen, denn senatus
populuLyue wittern hinter seinem Heirathsprojekt sofort die versteckte bös¬
willige Absicht, nach Stiftung einer möglichst zahlreichen Familie dem Armen-
seckel der Gemeinde zur Last zu fallen. Es wird dann die Gemeindevertre¬
tung zusammenberufen und bei Bier und Tabak darüber entschieden, ob man
dem Armen da draußen in Preußen des ehelichen Glückes theilhaftig werden
lassen will. Da sich gegen Fleiß und Subsistenzfähigkeit des Petenten. sowie
gegen den Leumund der Braut nichts rechtes einwenden läßt, so kann man
die Heirath nicht hindern, man beschließt aber, ihm die gesetzlichen Bedingun¬
gen, bestehend in Zahlung des Bürgerrechtsgeldes für sich (nur Bürger oder
Nachbarn haben das Recht zu heirathen) und seine Braut aufzuerlegen und
außerdem, um jeder in petto habenden heimtückischen Benachtheiligung der


SS*

Wahrhaft empörend aber und dem menschlichen Gefühl zuwiderlaufend
ist die in manchen Kleinstaaten noch geltende zopfige Bestimmung, daß die Bil¬
ligkeit und Zulässigkeit der von männlichen Unterthanen dieser Staaten mit
Ausländerinnen einzugehenden Ehen von der vorherigen Zustimmung
der betreffenden heimathlichen Obrigkeit abhängt. Dadurch ist
eine Leibeigenschaft der schlimmsten Art begründet, wie sie unwürdiger kaum
in Rußland bestanden haben mag. Denn es ist besser, der Willkür eines
Einzelnen unterworfen zu sein, als der unberechenbaren Vielköpfigkeit einer
Gemeindevertretung.

In Preußen, wo nach dem Gesetz vom 31. December 1842 jede Aus¬
länderin durch Trauung mit einem Inländer die Eigenschaft einer Preußin
so ipso erlangt, bedarf es einer Erlaubniß der Heimathsbehörde nicht. Dies
ist human und auch volkswirthschaftlich rationell hinsichtlich der freien Be¬
wegung der Arbeit. Dem armen Kleinstaatler aber, der seinem Vaterländchen
den Rücken gewandt, weil er im „Auslande" für sein Wissen und Können
ein ergiebigeres Feld der Thätigkeit findet als daheim, hängt die Heimath¬
scholle als ein Hemmniß an, wie Kette und Kugel dem Züchtling.

Setzen wir ein Beispiel:

Ein junger Handwerker, aus einem thüringischen Orte gebürtig, hat in
einer größeren preußischen Stadt Gelegenheit, sich zu etabliren. oder lohnende
und feste Arbeit gefunden, sodaß seine Existenz gesichert ist. Er hat sich mit
einer Preußin verlobt, beabsichtigt unter Anzahlung seiner und seiner Braut
Ersparnisse ein kleines Haus zu kaufen und demnächst zu heirathen. Wäre
er als Preuße im analogen Falle, so brauchte er nur eine Bescheinigung
der betreffenden Regierung, daß er zur Abschließung einer Ehe im Auslande
einer besonderen obrigkeitlichen Erlaubniß nicht bedarf. Aber er ist leider
kein Preuße. Er muß also die Einwilligung seiner Heimathgemeinde demü¬
thig nachsuchen.

Seine Bitte wird natürlich sehr ungnädig aufgenommen, denn senatus
populuLyue wittern hinter seinem Heirathsprojekt sofort die versteckte bös¬
willige Absicht, nach Stiftung einer möglichst zahlreichen Familie dem Armen-
seckel der Gemeinde zur Last zu fallen. Es wird dann die Gemeindevertre¬
tung zusammenberufen und bei Bier und Tabak darüber entschieden, ob man
dem Armen da draußen in Preußen des ehelichen Glückes theilhaftig werden
lassen will. Da sich gegen Fleiß und Subsistenzfähigkeit des Petenten. sowie
gegen den Leumund der Braut nichts rechtes einwenden läßt, so kann man
die Heirath nicht hindern, man beschließt aber, ihm die gesetzlichen Bedingun¬
gen, bestehend in Zahlung des Bürgerrechtsgeldes für sich (nur Bürger oder
Nachbarn haben das Recht zu heirathen) und seine Braut aufzuerlegen und
außerdem, um jeder in petto habenden heimtückischen Benachtheiligung der


SS*
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[0315] Wahrhaft empörend aber und dem menschlichen Gefühl zuwiderlaufend ist die in manchen Kleinstaaten noch geltende zopfige Bestimmung, daß die Bil¬ ligkeit und Zulässigkeit der von männlichen Unterthanen dieser Staaten mit Ausländerinnen einzugehenden Ehen von der vorherigen Zustimmung der betreffenden heimathlichen Obrigkeit abhängt. Dadurch ist eine Leibeigenschaft der schlimmsten Art begründet, wie sie unwürdiger kaum in Rußland bestanden haben mag. Denn es ist besser, der Willkür eines Einzelnen unterworfen zu sein, als der unberechenbaren Vielköpfigkeit einer Gemeindevertretung. In Preußen, wo nach dem Gesetz vom 31. December 1842 jede Aus¬ länderin durch Trauung mit einem Inländer die Eigenschaft einer Preußin so ipso erlangt, bedarf es einer Erlaubniß der Heimathsbehörde nicht. Dies ist human und auch volkswirthschaftlich rationell hinsichtlich der freien Be¬ wegung der Arbeit. Dem armen Kleinstaatler aber, der seinem Vaterländchen den Rücken gewandt, weil er im „Auslande" für sein Wissen und Können ein ergiebigeres Feld der Thätigkeit findet als daheim, hängt die Heimath¬ scholle als ein Hemmniß an, wie Kette und Kugel dem Züchtling. Setzen wir ein Beispiel: Ein junger Handwerker, aus einem thüringischen Orte gebürtig, hat in einer größeren preußischen Stadt Gelegenheit, sich zu etabliren. oder lohnende und feste Arbeit gefunden, sodaß seine Existenz gesichert ist. Er hat sich mit einer Preußin verlobt, beabsichtigt unter Anzahlung seiner und seiner Braut Ersparnisse ein kleines Haus zu kaufen und demnächst zu heirathen. Wäre er als Preuße im analogen Falle, so brauchte er nur eine Bescheinigung der betreffenden Regierung, daß er zur Abschließung einer Ehe im Auslande einer besonderen obrigkeitlichen Erlaubniß nicht bedarf. Aber er ist leider kein Preuße. Er muß also die Einwilligung seiner Heimathgemeinde demü¬ thig nachsuchen. Seine Bitte wird natürlich sehr ungnädig aufgenommen, denn senatus populuLyue wittern hinter seinem Heirathsprojekt sofort die versteckte bös¬ willige Absicht, nach Stiftung einer möglichst zahlreichen Familie dem Armen- seckel der Gemeinde zur Last zu fallen. Es wird dann die Gemeindevertre¬ tung zusammenberufen und bei Bier und Tabak darüber entschieden, ob man dem Armen da draußen in Preußen des ehelichen Glückes theilhaftig werden lassen will. Da sich gegen Fleiß und Subsistenzfähigkeit des Petenten. sowie gegen den Leumund der Braut nichts rechtes einwenden läßt, so kann man die Heirath nicht hindern, man beschließt aber, ihm die gesetzlichen Bedingun¬ gen, bestehend in Zahlung des Bürgerrechtsgeldes für sich (nur Bürger oder Nachbarn haben das Recht zu heirathen) und seine Braut aufzuerlegen und außerdem, um jeder in petto habenden heimtückischen Benachtheiligung der SS*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/315>, abgerufen am 22.07.2024.