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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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kann das Stückchen Kurland, welches diese beiden ehemals polnischen Länder
von einander trennt, sogar in einer halben Stunde durchritten werden, und
was in der ungelichteten Wildniß der Wälder dieses Grenzstrichs vor
sich geht, entzieht sich dem Auge der Sonne beinahe ebenso, wie dem
der Polizei.

Bis in die Gegenwart herein haben sich die polnischen Traditionen und
die Beziehungen zu Warschau und Wilna in Instand ungeschwächt erhalten
und allen Strafgesetzen des Belagerungszustandes und seiner unerbittlichen
Executoren gespottet. Wie lange dieses Land dem russischen Einfluß wider¬
stehen und jenem polnischen Wesen, das ihm niemals wahren Segen gebracht
hat, anhangen wird, wissen wir nicht. Der deutschen Gesittung ist es für
immer verloren gegangen und die Liv- und Kurländer haben sogar die ihnen
wiederholt gebotene Gelegenheit, den früheren Zusammenhang mit dieser Land¬
schaft wiederherzustellen, in richtiger Würdigung der gegebenen Verhältnisse
consequent zurückgewiesen. Dazu kommt, daß die Bodenverhältnisse Jnflands
so wenig verlockend sind, daß sich weder deutsche noch lettische Livländer
leicht entschließen, die seit dem letzten Aufstande zu Spottpreisen aufgebotenen
Güter politisch compromittirter Polen anzukaufen und ihrem angeborenen
Colonisationstriebe nachzugeben -- mögen die Russen selbst sehen, wie sie es
fertig bringen, diesen verwilderten Landstrich einer Art von Cultur zuzuführen.

Anders steht es in Samogitien, dem südlichen Grenzlande Kurlands, das
zwar noch zwei Jahrhunderte früher der deutschen Ordensherrschaft entrissen
und polonisirt worden ist, dafür aber den Vorzug größerer Fruchtbarkeit und
günstigerer Bodenverhältnisse hat und zudem der preußischen Grenze und damit
der germanischen Cultur näher liegt. Von diesem Lande und seiner Bedeutung
für die baltisch-deutsche Kolonisation soll ein andermal die Rede sein -- pol¬
nisch-Livland ist und bleibt dem Einfluß seiner westlichen Nachbarn verloren.




Universelle Münzeinheit.

Die deutschen Münzzustände können offenbar nicht bleiben wie sie sind.
Es widerstreitet dem Begriff der nationalen Einheit, dem Bewußtsein Aller,
und den wichtigsten Interessen des Verkehrs, daß Süddeutschland fortfahre,
andere Münzen zu gebrauchen als Norddeutschland, ja daß innerhalb des
norddeutschen Bundes sogar noch Verschiedenheiten bestehen. Die jüngste
Zeit hat zwar einen Theil dieser Unterschiede verwischt, indem Schleswig-


kann das Stückchen Kurland, welches diese beiden ehemals polnischen Länder
von einander trennt, sogar in einer halben Stunde durchritten werden, und
was in der ungelichteten Wildniß der Wälder dieses Grenzstrichs vor
sich geht, entzieht sich dem Auge der Sonne beinahe ebenso, wie dem
der Polizei.

Bis in die Gegenwart herein haben sich die polnischen Traditionen und
die Beziehungen zu Warschau und Wilna in Instand ungeschwächt erhalten
und allen Strafgesetzen des Belagerungszustandes und seiner unerbittlichen
Executoren gespottet. Wie lange dieses Land dem russischen Einfluß wider¬
stehen und jenem polnischen Wesen, das ihm niemals wahren Segen gebracht
hat, anhangen wird, wissen wir nicht. Der deutschen Gesittung ist es für
immer verloren gegangen und die Liv- und Kurländer haben sogar die ihnen
wiederholt gebotene Gelegenheit, den früheren Zusammenhang mit dieser Land¬
schaft wiederherzustellen, in richtiger Würdigung der gegebenen Verhältnisse
consequent zurückgewiesen. Dazu kommt, daß die Bodenverhältnisse Jnflands
so wenig verlockend sind, daß sich weder deutsche noch lettische Livländer
leicht entschließen, die seit dem letzten Aufstande zu Spottpreisen aufgebotenen
Güter politisch compromittirter Polen anzukaufen und ihrem angeborenen
Colonisationstriebe nachzugeben — mögen die Russen selbst sehen, wie sie es
fertig bringen, diesen verwilderten Landstrich einer Art von Cultur zuzuführen.

Anders steht es in Samogitien, dem südlichen Grenzlande Kurlands, das
zwar noch zwei Jahrhunderte früher der deutschen Ordensherrschaft entrissen
und polonisirt worden ist, dafür aber den Vorzug größerer Fruchtbarkeit und
günstigerer Bodenverhältnisse hat und zudem der preußischen Grenze und damit
der germanischen Cultur näher liegt. Von diesem Lande und seiner Bedeutung
für die baltisch-deutsche Kolonisation soll ein andermal die Rede sein — pol¬
nisch-Livland ist und bleibt dem Einfluß seiner westlichen Nachbarn verloren.




Universelle Münzeinheit.

Die deutschen Münzzustände können offenbar nicht bleiben wie sie sind.
Es widerstreitet dem Begriff der nationalen Einheit, dem Bewußtsein Aller,
und den wichtigsten Interessen des Verkehrs, daß Süddeutschland fortfahre,
andere Münzen zu gebrauchen als Norddeutschland, ja daß innerhalb des
norddeutschen Bundes sogar noch Verschiedenheiten bestehen. Die jüngste
Zeit hat zwar einen Theil dieser Unterschiede verwischt, indem Schleswig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/303>, abgerufen am 29.06.2024.