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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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starkes Gewitter und Platzregen gehabt. Es marschirte auch unterwegs eine
Compagnie schwedischer Reiter vorbei, worunter zwei zu Fuß waren und
zurückblieben und, halb voll seiend, uns eine kleine Angst einjagten, indessen
sie hinterher kamen und brav schalten, auch die Flinten schon anlegten, um
loszudrücken. Indem wir aber die Pferde ein bischen anlaufen ließen, mu߬
ten sie zurückbleiben.

Der Wirth in Landsberg war ein sehr possirlicher Mann und hatte viele
lustige Einfälle. Um 8 Uhr Morgens ritten wir wieder von dannen und
kamen gegen 7 Uhr in Zörbig,. einer fürstl. Sachs. merseburgischen Residenz
an, darinnen auch schwedische Soldaten lagen; von da auf Radegast, ein
fürstl. anhält-dessauisches Leibgeding der verwittweten Fürstin. Zwischen Zör¬
big und letzterem Orte steht eine Jnseription:


Du wirst, mein Reitender, es noch am besten wissen,
Wie dir bisher so sehr vor diesem Damm gegraut,
In dem sich manches Pferd zu todt arbeiten müssen,
Als dieser Ort noch war grundlos und umgebaut.
Jetzt wird er dir nicht mehr der Reise Last vergrößern,
Weil in zweijährger Zeit mit Steinen diese Bahn
Durch unermüd'ten Fleiß und Kosten lassen bessern
Der Mehrer seines Lands, der theure Christian."

-- Mit so nachahmungswürdiger Hingebung an das monarchische Prinzip
beobachtete vor anderthalbhundert Jahren ein braver deutscher Republikaner
die außerordentlichen Erscheinungen, welche ihm auf seiner Reise begegneten.




Politische Rundschau.

X

Die große Politik ist Heuer gegen ihre Gewohnheit mit dem Beginne des
Februar in die Ferien gegangen. Die Völker und Regierungen haben ihre
Aufmerksamkeit von den auswärtigen auf die inneren Fragen gerichtet und
ruhen für einen Augenblick von der fieberischer Aufregung, mit welcher sie
einander wechselseitig beobachtend herausgefordert hatten. Im Westen sind
es politische, im Osten wirthschaftliche und sociale Sorgen, welche die Ge¬
müther beschäftigen. Ueber den gesammten Nordosten Europas hat sich ein
Nothstand verbreitet, wie er seit zwanzig Jahren nicht schlimmer dagewesen
ist; während im Nordd. Bunde tausende und abertausende von Thalern sür
Ostpreußen gesammelt werden und doch noch nichts von der Linderung des
bittersten Elends verlautet, nimmt die Hungersnoth in den verschiedensten
Theilen Rußlands immer größere Proportionen an und die Spalten derselben
Journale, welche noch vor wenigen Wochen von nichts als kriegerischen


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starkes Gewitter und Platzregen gehabt. Es marschirte auch unterwegs eine
Compagnie schwedischer Reiter vorbei, worunter zwei zu Fuß waren und
zurückblieben und, halb voll seiend, uns eine kleine Angst einjagten, indessen
sie hinterher kamen und brav schalten, auch die Flinten schon anlegten, um
loszudrücken. Indem wir aber die Pferde ein bischen anlaufen ließen, mu߬
ten sie zurückbleiben.

Der Wirth in Landsberg war ein sehr possirlicher Mann und hatte viele
lustige Einfälle. Um 8 Uhr Morgens ritten wir wieder von dannen und
kamen gegen 7 Uhr in Zörbig,. einer fürstl. Sachs. merseburgischen Residenz
an, darinnen auch schwedische Soldaten lagen; von da auf Radegast, ein
fürstl. anhält-dessauisches Leibgeding der verwittweten Fürstin. Zwischen Zör¬
big und letzterem Orte steht eine Jnseription:


Du wirst, mein Reitender, es noch am besten wissen,
Wie dir bisher so sehr vor diesem Damm gegraut,
In dem sich manches Pferd zu todt arbeiten müssen,
Als dieser Ort noch war grundlos und umgebaut.
Jetzt wird er dir nicht mehr der Reise Last vergrößern,
Weil in zweijährger Zeit mit Steinen diese Bahn
Durch unermüd'ten Fleiß und Kosten lassen bessern
Der Mehrer seines Lands, der theure Christian."

— Mit so nachahmungswürdiger Hingebung an das monarchische Prinzip
beobachtete vor anderthalbhundert Jahren ein braver deutscher Republikaner
die außerordentlichen Erscheinungen, welche ihm auf seiner Reise begegneten.




Politische Rundschau.

X

Die große Politik ist Heuer gegen ihre Gewohnheit mit dem Beginne des
Februar in die Ferien gegangen. Die Völker und Regierungen haben ihre
Aufmerksamkeit von den auswärtigen auf die inneren Fragen gerichtet und
ruhen für einen Augenblick von der fieberischer Aufregung, mit welcher sie
einander wechselseitig beobachtend herausgefordert hatten. Im Westen sind
es politische, im Osten wirthschaftliche und sociale Sorgen, welche die Ge¬
müther beschäftigen. Ueber den gesammten Nordosten Europas hat sich ein
Nothstand verbreitet, wie er seit zwanzig Jahren nicht schlimmer dagewesen
ist; während im Nordd. Bunde tausende und abertausende von Thalern sür
Ostpreußen gesammelt werden und doch noch nichts von der Linderung des
bittersten Elends verlautet, nimmt die Hungersnoth in den verschiedensten
Theilen Rußlands immer größere Proportionen an und die Spalten derselben
Journale, welche noch vor wenigen Wochen von nichts als kriegerischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/283>, abgerufen am 29.06.2024.