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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Humus.

Junius' Briefe. Deutsch von Arnold Rüge. 3. Aufl. Leipzig und Heidelberg,
C. F. Winter'sche Verlagshandlung.

Fast genau 100 Jahre liegt die Epoche der englischen Geschichte hinter
uns, in welcher der Name eines Unbekannten die Losung des merkwürdigsten
und fruchtbarsten journalistischen Kampfes wurde.

Georg III. regierte, eine kleinliche Natur mit despotischen Neigungen,
eifrig bestrebt, die Macht des königlichen Willens zu heben und die Ver¬
fassung, wo sie diesem Zwecke hinderlich war, zu untergraben. Ein verachtetes
Ministerium, an dessen Spitze der Herzog von Grafton stand, unterstützte
ihn, blinde Parteirücksicht besetzte die einflußreichen Stellen mit unfähigen
und schlechten Creaturen, und das Unterhaus erwies sich als gefügiges Werk¬
zeug. Im Lande gährte es; wüste Demagogen machten sich die Stimmung
zu nutze, und widergesetzliche Verfolgung sorgte dafür, daß ihre Sache als
Sache des Volks erschien. Nach außen kein Ansehen, im innern Reactions¬
versuche aller Art und schamlose Korruption, -- der vielbewunderte englische
Verfassungsbau geriet!) in ungeahntes Schwanken.

Da brachte die damalige londoner Zeitung "et,6 xublio aävertiser" am
21. Januar 1769 einen Artikel, "Junius" unterzeichnet, der wie ein Blitz¬
strahl einschlug: die Kühnheit des Angriffs wurde nur vom Talent des An¬
greifenden übertroffen. Der Verfasser unterzog die einzelnen Mitglieder des
Ministeriums einer schneidenden Kritik, lauter scharf umrissene Silhouetten
nicht eben schmeichelhafter Art- Zu ihrem Unglück finden die Mächtigen
immer dienstfertige Vertheidiger; der Kriegsminister war nicht übler mitge¬
nommen worden, als seine Collegen, aber Sir William Draper glaubte für
seinen Vorgesetzten eine besondere Lanze brechen zu müssen; mit offenem Visir
ritt er in die Schranken des Public Advertiser: "Junius und ähnliche
Schriftsteller wie er, verursachen alles das Unheil, welches sie beklagen, indem
sie die besten Charaktere des Königreichs fälschlich und höflich verunglimpfen."
Zum Vertheidiger sollte sich nur aufwerfen, wer selber makellos dasteht;
Junius, herausgefordert, blieb den Gegenhieb nicht schuldig: "Ich bewundere
den Muth, womit Sie Ihren Namen dem Publikum anvertraut haben."
Noch ein paar Streiche herüber und hinüber, und mit ruhmlosen Wunden
bedeckt mußte Sir William vom Kampfplatz schleichen; Sr. Lordschaft selber
ward bange vor ihrem Vertheidiger. Junius aber, dessen Kraft in diesem
Vorpostenscharmützel gestählt war, schrieb den ersten einer langen Reihe von
- Briefen an Se. Gnaden den Herzog von Grafton.


Grenzboten I. 18K8. 34
Humus.

Junius' Briefe. Deutsch von Arnold Rüge. 3. Aufl. Leipzig und Heidelberg,
C. F. Winter'sche Verlagshandlung.

Fast genau 100 Jahre liegt die Epoche der englischen Geschichte hinter
uns, in welcher der Name eines Unbekannten die Losung des merkwürdigsten
und fruchtbarsten journalistischen Kampfes wurde.

Georg III. regierte, eine kleinliche Natur mit despotischen Neigungen,
eifrig bestrebt, die Macht des königlichen Willens zu heben und die Ver¬
fassung, wo sie diesem Zwecke hinderlich war, zu untergraben. Ein verachtetes
Ministerium, an dessen Spitze der Herzog von Grafton stand, unterstützte
ihn, blinde Parteirücksicht besetzte die einflußreichen Stellen mit unfähigen
und schlechten Creaturen, und das Unterhaus erwies sich als gefügiges Werk¬
zeug. Im Lande gährte es; wüste Demagogen machten sich die Stimmung
zu nutze, und widergesetzliche Verfolgung sorgte dafür, daß ihre Sache als
Sache des Volks erschien. Nach außen kein Ansehen, im innern Reactions¬
versuche aller Art und schamlose Korruption, — der vielbewunderte englische
Verfassungsbau geriet!) in ungeahntes Schwanken.

Da brachte die damalige londoner Zeitung „et,6 xublio aävertiser" am
21. Januar 1769 einen Artikel, „Junius" unterzeichnet, der wie ein Blitz¬
strahl einschlug: die Kühnheit des Angriffs wurde nur vom Talent des An¬
greifenden übertroffen. Der Verfasser unterzog die einzelnen Mitglieder des
Ministeriums einer schneidenden Kritik, lauter scharf umrissene Silhouetten
nicht eben schmeichelhafter Art- Zu ihrem Unglück finden die Mächtigen
immer dienstfertige Vertheidiger; der Kriegsminister war nicht übler mitge¬
nommen worden, als seine Collegen, aber Sir William Draper glaubte für
seinen Vorgesetzten eine besondere Lanze brechen zu müssen; mit offenem Visir
ritt er in die Schranken des Public Advertiser: „Junius und ähnliche
Schriftsteller wie er, verursachen alles das Unheil, welches sie beklagen, indem
sie die besten Charaktere des Königreichs fälschlich und höflich verunglimpfen."
Zum Vertheidiger sollte sich nur aufwerfen, wer selber makellos dasteht;
Junius, herausgefordert, blieb den Gegenhieb nicht schuldig: „Ich bewundere
den Muth, womit Sie Ihren Namen dem Publikum anvertraut haben."
Noch ein paar Streiche herüber und hinüber, und mit ruhmlosen Wunden
bedeckt mußte Sir William vom Kampfplatz schleichen; Sr. Lordschaft selber
ward bange vor ihrem Vertheidiger. Junius aber, dessen Kraft in diesem
Vorpostenscharmützel gestählt war, schrieb den ersten einer langen Reihe von
- Briefen an Se. Gnaden den Herzog von Grafton.


Grenzboten I. 18K8. 34
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[0273] Humus. Junius' Briefe. Deutsch von Arnold Rüge. 3. Aufl. Leipzig und Heidelberg, C. F. Winter'sche Verlagshandlung. Fast genau 100 Jahre liegt die Epoche der englischen Geschichte hinter uns, in welcher der Name eines Unbekannten die Losung des merkwürdigsten und fruchtbarsten journalistischen Kampfes wurde. Georg III. regierte, eine kleinliche Natur mit despotischen Neigungen, eifrig bestrebt, die Macht des königlichen Willens zu heben und die Ver¬ fassung, wo sie diesem Zwecke hinderlich war, zu untergraben. Ein verachtetes Ministerium, an dessen Spitze der Herzog von Grafton stand, unterstützte ihn, blinde Parteirücksicht besetzte die einflußreichen Stellen mit unfähigen und schlechten Creaturen, und das Unterhaus erwies sich als gefügiges Werk¬ zeug. Im Lande gährte es; wüste Demagogen machten sich die Stimmung zu nutze, und widergesetzliche Verfolgung sorgte dafür, daß ihre Sache als Sache des Volks erschien. Nach außen kein Ansehen, im innern Reactions¬ versuche aller Art und schamlose Korruption, — der vielbewunderte englische Verfassungsbau geriet!) in ungeahntes Schwanken. Da brachte die damalige londoner Zeitung „et,6 xublio aävertiser" am 21. Januar 1769 einen Artikel, „Junius" unterzeichnet, der wie ein Blitz¬ strahl einschlug: die Kühnheit des Angriffs wurde nur vom Talent des An¬ greifenden übertroffen. Der Verfasser unterzog die einzelnen Mitglieder des Ministeriums einer schneidenden Kritik, lauter scharf umrissene Silhouetten nicht eben schmeichelhafter Art- Zu ihrem Unglück finden die Mächtigen immer dienstfertige Vertheidiger; der Kriegsminister war nicht übler mitge¬ nommen worden, als seine Collegen, aber Sir William Draper glaubte für seinen Vorgesetzten eine besondere Lanze brechen zu müssen; mit offenem Visir ritt er in die Schranken des Public Advertiser: „Junius und ähnliche Schriftsteller wie er, verursachen alles das Unheil, welches sie beklagen, indem sie die besten Charaktere des Königreichs fälschlich und höflich verunglimpfen." Zum Vertheidiger sollte sich nur aufwerfen, wer selber makellos dasteht; Junius, herausgefordert, blieb den Gegenhieb nicht schuldig: „Ich bewundere den Muth, womit Sie Ihren Namen dem Publikum anvertraut haben." Noch ein paar Streiche herüber und hinüber, und mit ruhmlosen Wunden bedeckt mußte Sir William vom Kampfplatz schleichen; Sr. Lordschaft selber ward bange vor ihrem Vertheidiger. Junius aber, dessen Kraft in diesem Vorpostenscharmützel gestählt war, schrieb den ersten einer langen Reihe von - Briefen an Se. Gnaden den Herzog von Grafton. Grenzboten I. 18K8. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/273>, abgerufen am 29.06.2024.