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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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gegeben haben, sind als schätzbares Material zu den Akten gewandert ze.
Kurz die Richtung, die Vilmar vertritt, wird mit einer Rücksicht und Für¬
sorge behandelt, daß, wenn man ihre Tendenzen und Pläne nicht kennte, man
glauben sollte, ihre Glieder seien die Freunde und nicht die erbittertsten
Feinde Preußens, Sind die Erfahrungen, die man mit den Ultramontanen
der Rheinprovinz gemacht hat, sämmtlich verloren, oder hofft man noch im¬
mer, daß sich die unnatürliche Feindschaft Mlmars legen werde? Das eine
wäre unverzeihlich, und das andere zeigte von geringer Kenntniß der Per¬
sonen und Sachen, auf die es ankommt!




Die Lage im Orient.
II.

Betrachten wir nun näher, wie die Dinge im Orient liegen. Daß
der gegenwärtige Zustand in der Türkei nicht auf die Länge haltbar ist, kann
kaum bestritten werden, es fragt sich nur, was an die Stelle treten soll.
Rußland verfolgt unablässig seinen Plan der Auflösung det Türkei, nur die
Mittel haben gewechselt. Kaiser Nikolaus wollte nach seinen politischen
Grundsätzen nicht an die Revolution appelliren, sein System war: fortwährend
Streit mit der Pforte zu suchen und die Nichtintervention der andern Mächte
durch Einschüchterung und Versprechungen zu erreichen, die Unterhaltungen
mit Sir Hamilton Seymour haben dies aller Welt gezeigt. Der Krimkrieg
war die Antwort Europas auf diese Politik. Fürst Gortschakow weiß, daß
ein neuer Angriff auf die Türkei, die Westmächte und Oestreich gegen Ru߬
land zusammenführen würde, aber er hat darum die moskowitische Politik
nicht aufgegeben und verfolgt sie nur mit andern Mitteln. Seine Absicht
geht dahin, das europäische Gebiet der Pforte, durch fortwährende innere
Aufstände in eine Reihe von dem Namen nach unabhängigen Staaten auf¬
zulösen, welche dann naturgemäß unter russisches Protektorat fallen müßten.
Einen ähnlichen Plan verfolgen die Griechen, sie wollen zwar keine russische
Oberherrschaft, aber sie möchten die einzelnen Provinzen der Balkanhalbinsel
in eine Conföderation bringen, deren Oberhaupt der König von Griechenland
in Constantinopel sein soll. Dieser philhellenische Traum aber hält bei näherer
Betrachtung nicht Stich, die erste Vorbedingung wäre die vollkommene Ver¬
treibung der drei Millionen Muselmänner, welche noch die europäische Türkei
bewohnen, und wären, was nicht der Fall, die verschiedenen christlichen Stämme
hierzu selbst im Stande, so würde dies einen allgemeinen Kampf verursachen,
dessen erste Folge die vollständige Zerstörung des christlichen Elements in


gegeben haben, sind als schätzbares Material zu den Akten gewandert ze.
Kurz die Richtung, die Vilmar vertritt, wird mit einer Rücksicht und Für¬
sorge behandelt, daß, wenn man ihre Tendenzen und Pläne nicht kennte, man
glauben sollte, ihre Glieder seien die Freunde und nicht die erbittertsten
Feinde Preußens, Sind die Erfahrungen, die man mit den Ultramontanen
der Rheinprovinz gemacht hat, sämmtlich verloren, oder hofft man noch im¬
mer, daß sich die unnatürliche Feindschaft Mlmars legen werde? Das eine
wäre unverzeihlich, und das andere zeigte von geringer Kenntniß der Per¬
sonen und Sachen, auf die es ankommt!




Die Lage im Orient.
II.

Betrachten wir nun näher, wie die Dinge im Orient liegen. Daß
der gegenwärtige Zustand in der Türkei nicht auf die Länge haltbar ist, kann
kaum bestritten werden, es fragt sich nur, was an die Stelle treten soll.
Rußland verfolgt unablässig seinen Plan der Auflösung det Türkei, nur die
Mittel haben gewechselt. Kaiser Nikolaus wollte nach seinen politischen
Grundsätzen nicht an die Revolution appelliren, sein System war: fortwährend
Streit mit der Pforte zu suchen und die Nichtintervention der andern Mächte
durch Einschüchterung und Versprechungen zu erreichen, die Unterhaltungen
mit Sir Hamilton Seymour haben dies aller Welt gezeigt. Der Krimkrieg
war die Antwort Europas auf diese Politik. Fürst Gortschakow weiß, daß
ein neuer Angriff auf die Türkei, die Westmächte und Oestreich gegen Ru߬
land zusammenführen würde, aber er hat darum die moskowitische Politik
nicht aufgegeben und verfolgt sie nur mit andern Mitteln. Seine Absicht
geht dahin, das europäische Gebiet der Pforte, durch fortwährende innere
Aufstände in eine Reihe von dem Namen nach unabhängigen Staaten auf¬
zulösen, welche dann naturgemäß unter russisches Protektorat fallen müßten.
Einen ähnlichen Plan verfolgen die Griechen, sie wollen zwar keine russische
Oberherrschaft, aber sie möchten die einzelnen Provinzen der Balkanhalbinsel
in eine Conföderation bringen, deren Oberhaupt der König von Griechenland
in Constantinopel sein soll. Dieser philhellenische Traum aber hält bei näherer
Betrachtung nicht Stich, die erste Vorbedingung wäre die vollkommene Ver¬
treibung der drei Millionen Muselmänner, welche noch die europäische Türkei
bewohnen, und wären, was nicht der Fall, die verschiedenen christlichen Stämme
hierzu selbst im Stande, so würde dies einen allgemeinen Kampf verursachen,
dessen erste Folge die vollständige Zerstörung des christlichen Elements in


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[0164] gegeben haben, sind als schätzbares Material zu den Akten gewandert ze. Kurz die Richtung, die Vilmar vertritt, wird mit einer Rücksicht und Für¬ sorge behandelt, daß, wenn man ihre Tendenzen und Pläne nicht kennte, man glauben sollte, ihre Glieder seien die Freunde und nicht die erbittertsten Feinde Preußens, Sind die Erfahrungen, die man mit den Ultramontanen der Rheinprovinz gemacht hat, sämmtlich verloren, oder hofft man noch im¬ mer, daß sich die unnatürliche Feindschaft Mlmars legen werde? Das eine wäre unverzeihlich, und das andere zeigte von geringer Kenntniß der Per¬ sonen und Sachen, auf die es ankommt! Die Lage im Orient. II. Betrachten wir nun näher, wie die Dinge im Orient liegen. Daß der gegenwärtige Zustand in der Türkei nicht auf die Länge haltbar ist, kann kaum bestritten werden, es fragt sich nur, was an die Stelle treten soll. Rußland verfolgt unablässig seinen Plan der Auflösung det Türkei, nur die Mittel haben gewechselt. Kaiser Nikolaus wollte nach seinen politischen Grundsätzen nicht an die Revolution appelliren, sein System war: fortwährend Streit mit der Pforte zu suchen und die Nichtintervention der andern Mächte durch Einschüchterung und Versprechungen zu erreichen, die Unterhaltungen mit Sir Hamilton Seymour haben dies aller Welt gezeigt. Der Krimkrieg war die Antwort Europas auf diese Politik. Fürst Gortschakow weiß, daß ein neuer Angriff auf die Türkei, die Westmächte und Oestreich gegen Ru߬ land zusammenführen würde, aber er hat darum die moskowitische Politik nicht aufgegeben und verfolgt sie nur mit andern Mitteln. Seine Absicht geht dahin, das europäische Gebiet der Pforte, durch fortwährende innere Aufstände in eine Reihe von dem Namen nach unabhängigen Staaten auf¬ zulösen, welche dann naturgemäß unter russisches Protektorat fallen müßten. Einen ähnlichen Plan verfolgen die Griechen, sie wollen zwar keine russische Oberherrschaft, aber sie möchten die einzelnen Provinzen der Balkanhalbinsel in eine Conföderation bringen, deren Oberhaupt der König von Griechenland in Constantinopel sein soll. Dieser philhellenische Traum aber hält bei näherer Betrachtung nicht Stich, die erste Vorbedingung wäre die vollkommene Ver¬ treibung der drei Millionen Muselmänner, welche noch die europäische Türkei bewohnen, und wären, was nicht der Fall, die verschiedenen christlichen Stämme hierzu selbst im Stande, so würde dies einen allgemeinen Kampf verursachen, dessen erste Folge die vollständige Zerstörung des christlichen Elements in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/164>, abgerufen am 22.07.2024.