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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Ich konnte nicht mehr ruhig bleiben. Erst langsam, aber immer schneller
schritt ich dem eine Viertelstunde vom Dorf entfernten Wäldchen am User der
Nach zu. Hier setzte ich mich wieder auf einen Stein und sann. Dann eilte
ich heim in mein Altarkämmcrlein und schrieb mit fliegender Feder das erste
Capitel meiner Sonderlinge.

Als ich einmal aufsah, schaute der helle Morgen durch das papierbekiebte
Fensterchen zu mir herein.


2.

Der 13. Mai des Jahres 1867 war ein ungewöhnlich heißer Tag, dem
ein trüber wettcrdrohender Abend folgte. Ich saß nicht mehr im rothan¬
gestrichenen Brauhaus mit den grünen Fensterladen neben der Baumreihe hart
am Brunnenbächle zu Schoppcrnau, sondern im Kaffeehaus zu Bludenz, einem
der bevölkerten Orte Vorarlbergs, dem man es gleich ansteht, daß es eine Stadt
sein sollte.

Nun Mancher ist freilich in vier Jahren noch viel weiter als nur über
zwei Bergreihen hinausgekommen, mir aber war schon das weit genug.
Denn ich war auf der Flucht aus meiner Heimath. Auf der Flucht. Es ist
richtig, und der Zimmermann hätte seine 100 si. wahrhaftig verloren, obwohl
wir jetzt 1867 schreiben, und obwohl ich noch lange kein Mährenländer gewor¬
den war.

Vielerlei ist anders geworden vom ersten Capitel meines letzten Buches bis
zum letzten. Das Häuflein meiner Freunde hat sich unterdessen derart vermehrt,
daß man mich, den früher verhöhnten Sonderling, nun auf einmal für sehr
gefährlich zu halten begann. Unser jetziger Pfarrer, nicht mehr der wackere
Tiroler Stockmaier, welcher mir zuerst die Lehre Jesu vortrug und mich denken
lehrte, -- ein bregenzerwäldcr Landeskind, hat den angesehensten Männern ins
Gesicht gesagt, daß man nichts gegen mich anzufangen brauchte, wenn ich etwa
blos den Kaminfeger und Aehnliche zu Freunden und Gesinnungsgenossen
hätte. Es war das auch leicht zu glauben, denn der Kaminfeger hatte bei den
Landtagswahlen im letzten Winter kein Wörtlein mitzureden; durch einige
meiner Anhänger aber war zufällig die Wahl eines verketzerten Ausländers,
des Baron von Seiffertitz entschieden, der dann später noch gar in den Reichs-
rath gewählt wurde. Von den glaubenslosen Leuten auf dem Land draußen
war wohl nichts Gottgefälliges zu erwarten gewesen; aber die Bauern da, die
weder auf Aemtern noch auf Titeln feststanden, sollten nun bei den Haaren zu
ihrem Heile zurückgeführt werden.

Vorerst galt es. den Geist der Zwietracht ins Volk zu treiben, denn ein
Haus, das mit sich selbst uneins ist, kann nicht bestehen. In den Kirchen
wurde gegen einige in der letzten Zeit erschienene Schriften gepredigt, als


Ich konnte nicht mehr ruhig bleiben. Erst langsam, aber immer schneller
schritt ich dem eine Viertelstunde vom Dorf entfernten Wäldchen am User der
Nach zu. Hier setzte ich mich wieder auf einen Stein und sann. Dann eilte
ich heim in mein Altarkämmcrlein und schrieb mit fliegender Feder das erste
Capitel meiner Sonderlinge.

Als ich einmal aufsah, schaute der helle Morgen durch das papierbekiebte
Fensterchen zu mir herein.


2.

Der 13. Mai des Jahres 1867 war ein ungewöhnlich heißer Tag, dem
ein trüber wettcrdrohender Abend folgte. Ich saß nicht mehr im rothan¬
gestrichenen Brauhaus mit den grünen Fensterladen neben der Baumreihe hart
am Brunnenbächle zu Schoppcrnau, sondern im Kaffeehaus zu Bludenz, einem
der bevölkerten Orte Vorarlbergs, dem man es gleich ansteht, daß es eine Stadt
sein sollte.

Nun Mancher ist freilich in vier Jahren noch viel weiter als nur über
zwei Bergreihen hinausgekommen, mir aber war schon das weit genug.
Denn ich war auf der Flucht aus meiner Heimath. Auf der Flucht. Es ist
richtig, und der Zimmermann hätte seine 100 si. wahrhaftig verloren, obwohl
wir jetzt 1867 schreiben, und obwohl ich noch lange kein Mährenländer gewor¬
den war.

Vielerlei ist anders geworden vom ersten Capitel meines letzten Buches bis
zum letzten. Das Häuflein meiner Freunde hat sich unterdessen derart vermehrt,
daß man mich, den früher verhöhnten Sonderling, nun auf einmal für sehr
gefährlich zu halten begann. Unser jetziger Pfarrer, nicht mehr der wackere
Tiroler Stockmaier, welcher mir zuerst die Lehre Jesu vortrug und mich denken
lehrte, — ein bregenzerwäldcr Landeskind, hat den angesehensten Männern ins
Gesicht gesagt, daß man nichts gegen mich anzufangen brauchte, wenn ich etwa
blos den Kaminfeger und Aehnliche zu Freunden und Gesinnungsgenossen
hätte. Es war das auch leicht zu glauben, denn der Kaminfeger hatte bei den
Landtagswahlen im letzten Winter kein Wörtlein mitzureden; durch einige
meiner Anhänger aber war zufällig die Wahl eines verketzerten Ausländers,
des Baron von Seiffertitz entschieden, der dann später noch gar in den Reichs-
rath gewählt wurde. Von den glaubenslosen Leuten auf dem Land draußen
war wohl nichts Gottgefälliges zu erwarten gewesen; aber die Bauern da, die
weder auf Aemtern noch auf Titeln feststanden, sollten nun bei den Haaren zu
ihrem Heile zurückgeführt werden.

Vorerst galt es. den Geist der Zwietracht ins Volk zu treiben, denn ein
Haus, das mit sich selbst uneins ist, kann nicht bestehen. In den Kirchen
wurde gegen einige in der letzten Zeit erschienene Schriften gepredigt, als


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[0504] Ich konnte nicht mehr ruhig bleiben. Erst langsam, aber immer schneller schritt ich dem eine Viertelstunde vom Dorf entfernten Wäldchen am User der Nach zu. Hier setzte ich mich wieder auf einen Stein und sann. Dann eilte ich heim in mein Altarkämmcrlein und schrieb mit fliegender Feder das erste Capitel meiner Sonderlinge. Als ich einmal aufsah, schaute der helle Morgen durch das papierbekiebte Fensterchen zu mir herein. 2. Der 13. Mai des Jahres 1867 war ein ungewöhnlich heißer Tag, dem ein trüber wettcrdrohender Abend folgte. Ich saß nicht mehr im rothan¬ gestrichenen Brauhaus mit den grünen Fensterladen neben der Baumreihe hart am Brunnenbächle zu Schoppcrnau, sondern im Kaffeehaus zu Bludenz, einem der bevölkerten Orte Vorarlbergs, dem man es gleich ansteht, daß es eine Stadt sein sollte. Nun Mancher ist freilich in vier Jahren noch viel weiter als nur über zwei Bergreihen hinausgekommen, mir aber war schon das weit genug. Denn ich war auf der Flucht aus meiner Heimath. Auf der Flucht. Es ist richtig, und der Zimmermann hätte seine 100 si. wahrhaftig verloren, obwohl wir jetzt 1867 schreiben, und obwohl ich noch lange kein Mährenländer gewor¬ den war. Vielerlei ist anders geworden vom ersten Capitel meines letzten Buches bis zum letzten. Das Häuflein meiner Freunde hat sich unterdessen derart vermehrt, daß man mich, den früher verhöhnten Sonderling, nun auf einmal für sehr gefährlich zu halten begann. Unser jetziger Pfarrer, nicht mehr der wackere Tiroler Stockmaier, welcher mir zuerst die Lehre Jesu vortrug und mich denken lehrte, — ein bregenzerwäldcr Landeskind, hat den angesehensten Männern ins Gesicht gesagt, daß man nichts gegen mich anzufangen brauchte, wenn ich etwa blos den Kaminfeger und Aehnliche zu Freunden und Gesinnungsgenossen hätte. Es war das auch leicht zu glauben, denn der Kaminfeger hatte bei den Landtagswahlen im letzten Winter kein Wörtlein mitzureden; durch einige meiner Anhänger aber war zufällig die Wahl eines verketzerten Ausländers, des Baron von Seiffertitz entschieden, der dann später noch gar in den Reichs- rath gewählt wurde. Von den glaubenslosen Leuten auf dem Land draußen war wohl nichts Gottgefälliges zu erwarten gewesen; aber die Bauern da, die weder auf Aemtern noch auf Titeln feststanden, sollten nun bei den Haaren zu ihrem Heile zurückgeführt werden. Vorerst galt es. den Geist der Zwietracht ins Volk zu treiben, denn ein Haus, das mit sich selbst uneins ist, kann nicht bestehen. In den Kirchen wurde gegen einige in der letzten Zeit erschienene Schriften gepredigt, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/504>, abgerufen am 28.06.2024.