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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Die Befestigung von'Wien.

Die Befestigung Wiens nach modernem Systeme wurde schon vor mehr als
zwei Decennien in Erwägung gezogen, seitdem von verschiedener Seite zur
Sprache gebracht und wieder bei Seite gelegt. Die Gründe, welche dafür
sprechen, verdienen jedenfalls Beachtung. Die Reichshauptstadt kann durch die
Mittel, welche der Wohlstand ihrer Bewohner bietet, wie durch die in ihr aus¬
gehäuften Kriegsvorräthe die vollständige Regeneration einer geschlagenen und
herabgebrachten Armee ermöglichen, wenn sie nicht dem ersten Anlaufe eines
siegreichen Gegners wehrlos preisgegeben ist. Ferner muß es, der Gegner
mag aus irgendwelcher Richtung herkommen, in der Gegend von Wien zu
einer abermaligen Hauptschlacht kommen. Fällt diese Schlacht unglücklich aus"
so kann sich die eigene Armee in die Stadt werfen und zu einem neuen Schlage
Kraft sammeln oder ihren Rückzug unbekümmert um das Schicksal der Haupt¬
stadt in das Innere des Reiches fortsetzen, da das befestigte Wien sich wenigstens
durch einige Wochen würde behaupten können. Wäre Wien 1809 so befestigt
gewesen, daß es sich acht Tage hätte halten können, so würden die Resultate
des Sieges bei Aspern andere gewesen sein. Napoleon hätte dann die Haupt¬
stadt nicht brandschatzen, nicht aus derselben alle Hilfsmittel zur Erholung, Be¬
kleidung und Bewaffnung seiner Truppen ziehen und sich so zu dem Schlage
von Wagram rüsten können. Und auch im vorigen Jahre hätte Erzherzog
Albrecht möglicherweise die Armee reorganisiren können, wenn ihm in Wien
ein Haltpunkt geboten worden wäre. Aber man ließ immer wieder das Project
fallen wegen der nahezu unüberwindlichen Hindernisse, welche der Ausführung
entgegenstanden, und weil man befürchten mußte, daß der beabsichtigte Zweck
doch nicht vollständig erreicht werden könnte. Daß man mit einer einfachen
Umwallung nicht ausreichen könne, wurde anerkannt und ist durch die Lage der
Stadt, durch die neuere Kriegführung und durch die Befestigung anderer Haupt¬
städte (Paris, Lyon, Antwerpen) bestätigt. Wenn man gleichwohl nach 1848
die Wälle der innern Stadt mit Pallisaden, kleinen Blockhäusern und Traversen
versah, das Arsenal und die Franz-Josefskaserne als feste Punkte betrachtete
und von einem befestigten Wien sprach, so wollte man dadurch höchstens den
Demokraten etwas Angst machen und nebenbei einen plausibler Vorwand zur
Besoldung einer größeren Zahl von Ingenieuren und Platzoffizieren haben.
Der Hauptschöpser dieser Bauten, der im fortisicatorischen Fache gänzlich un¬
wissende General Melden war vielleicht der Einzige, welcher Wien wirtlich
für widerstandsfähig halten mochte. Endlich wurden die Wälle der innern


Grenzboten II, 18"7. 47
Die Befestigung von'Wien.

Die Befestigung Wiens nach modernem Systeme wurde schon vor mehr als
zwei Decennien in Erwägung gezogen, seitdem von verschiedener Seite zur
Sprache gebracht und wieder bei Seite gelegt. Die Gründe, welche dafür
sprechen, verdienen jedenfalls Beachtung. Die Reichshauptstadt kann durch die
Mittel, welche der Wohlstand ihrer Bewohner bietet, wie durch die in ihr aus¬
gehäuften Kriegsvorräthe die vollständige Regeneration einer geschlagenen und
herabgebrachten Armee ermöglichen, wenn sie nicht dem ersten Anlaufe eines
siegreichen Gegners wehrlos preisgegeben ist. Ferner muß es, der Gegner
mag aus irgendwelcher Richtung herkommen, in der Gegend von Wien zu
einer abermaligen Hauptschlacht kommen. Fällt diese Schlacht unglücklich aus»
so kann sich die eigene Armee in die Stadt werfen und zu einem neuen Schlage
Kraft sammeln oder ihren Rückzug unbekümmert um das Schicksal der Haupt¬
stadt in das Innere des Reiches fortsetzen, da das befestigte Wien sich wenigstens
durch einige Wochen würde behaupten können. Wäre Wien 1809 so befestigt
gewesen, daß es sich acht Tage hätte halten können, so würden die Resultate
des Sieges bei Aspern andere gewesen sein. Napoleon hätte dann die Haupt¬
stadt nicht brandschatzen, nicht aus derselben alle Hilfsmittel zur Erholung, Be¬
kleidung und Bewaffnung seiner Truppen ziehen und sich so zu dem Schlage
von Wagram rüsten können. Und auch im vorigen Jahre hätte Erzherzog
Albrecht möglicherweise die Armee reorganisiren können, wenn ihm in Wien
ein Haltpunkt geboten worden wäre. Aber man ließ immer wieder das Project
fallen wegen der nahezu unüberwindlichen Hindernisse, welche der Ausführung
entgegenstanden, und weil man befürchten mußte, daß der beabsichtigte Zweck
doch nicht vollständig erreicht werden könnte. Daß man mit einer einfachen
Umwallung nicht ausreichen könne, wurde anerkannt und ist durch die Lage der
Stadt, durch die neuere Kriegführung und durch die Befestigung anderer Haupt¬
städte (Paris, Lyon, Antwerpen) bestätigt. Wenn man gleichwohl nach 1848
die Wälle der innern Stadt mit Pallisaden, kleinen Blockhäusern und Traversen
versah, das Arsenal und die Franz-Josefskaserne als feste Punkte betrachtete
und von einem befestigten Wien sprach, so wollte man dadurch höchstens den
Demokraten etwas Angst machen und nebenbei einen plausibler Vorwand zur
Besoldung einer größeren Zahl von Ingenieuren und Platzoffizieren haben.
Der Hauptschöpser dieser Bauten, der im fortisicatorischen Fache gänzlich un¬
wissende General Melden war vielleicht der Einzige, welcher Wien wirtlich
für widerstandsfähig halten mochte. Endlich wurden die Wälle der innern


Grenzboten II, 18»7. 47
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[0373] Die Befestigung von'Wien. Die Befestigung Wiens nach modernem Systeme wurde schon vor mehr als zwei Decennien in Erwägung gezogen, seitdem von verschiedener Seite zur Sprache gebracht und wieder bei Seite gelegt. Die Gründe, welche dafür sprechen, verdienen jedenfalls Beachtung. Die Reichshauptstadt kann durch die Mittel, welche der Wohlstand ihrer Bewohner bietet, wie durch die in ihr aus¬ gehäuften Kriegsvorräthe die vollständige Regeneration einer geschlagenen und herabgebrachten Armee ermöglichen, wenn sie nicht dem ersten Anlaufe eines siegreichen Gegners wehrlos preisgegeben ist. Ferner muß es, der Gegner mag aus irgendwelcher Richtung herkommen, in der Gegend von Wien zu einer abermaligen Hauptschlacht kommen. Fällt diese Schlacht unglücklich aus» so kann sich die eigene Armee in die Stadt werfen und zu einem neuen Schlage Kraft sammeln oder ihren Rückzug unbekümmert um das Schicksal der Haupt¬ stadt in das Innere des Reiches fortsetzen, da das befestigte Wien sich wenigstens durch einige Wochen würde behaupten können. Wäre Wien 1809 so befestigt gewesen, daß es sich acht Tage hätte halten können, so würden die Resultate des Sieges bei Aspern andere gewesen sein. Napoleon hätte dann die Haupt¬ stadt nicht brandschatzen, nicht aus derselben alle Hilfsmittel zur Erholung, Be¬ kleidung und Bewaffnung seiner Truppen ziehen und sich so zu dem Schlage von Wagram rüsten können. Und auch im vorigen Jahre hätte Erzherzog Albrecht möglicherweise die Armee reorganisiren können, wenn ihm in Wien ein Haltpunkt geboten worden wäre. Aber man ließ immer wieder das Project fallen wegen der nahezu unüberwindlichen Hindernisse, welche der Ausführung entgegenstanden, und weil man befürchten mußte, daß der beabsichtigte Zweck doch nicht vollständig erreicht werden könnte. Daß man mit einer einfachen Umwallung nicht ausreichen könne, wurde anerkannt und ist durch die Lage der Stadt, durch die neuere Kriegführung und durch die Befestigung anderer Haupt¬ städte (Paris, Lyon, Antwerpen) bestätigt. Wenn man gleichwohl nach 1848 die Wälle der innern Stadt mit Pallisaden, kleinen Blockhäusern und Traversen versah, das Arsenal und die Franz-Josefskaserne als feste Punkte betrachtete und von einem befestigten Wien sprach, so wollte man dadurch höchstens den Demokraten etwas Angst machen und nebenbei einen plausibler Vorwand zur Besoldung einer größeren Zahl von Ingenieuren und Platzoffizieren haben. Der Hauptschöpser dieser Bauten, der im fortisicatorischen Fache gänzlich un¬ wissende General Melden war vielleicht der Einzige, welcher Wien wirtlich für widerstandsfähig halten mochte. Endlich wurden die Wälle der innern Grenzboten II, 18»7. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/373>, abgerufen am 22.07.2024.