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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Der Reichstag und die Kriegsverfassung des Bundes.

Durch sieben Wochen eifriger Arbeit hat der Reichstag seine Aufgabe gelöst,
den Verfassungsentwurf eines norddeutschen Bundes mit den verbündeten Re¬
gierungen zu vereinbaren. In gehobener Stimmung und dem Gefühl, zu einer
außerordentlichen Thätigkeit berufen zu sein, begannen die Abgeordneten ihr
Werk, aber auch mit geheimem Bangen vor den Kompromissen, die ihnen zu-
gemuthet werden würden, und sie schieden aus den Räumen des Herrenhauses
mit einer gewissen Resignation, ja wie ermüdete Arbeiter, aber doch mit der
Empfindung, daß es nicht an ihnen liegen werde, wenn die politische Neu¬
gestaltung Deutschlands sich auf einem andern als dem eingeschlagenen Weg
vollziehe. Die Mehrzahl blieb entschlossen, mit gutem Vertrauen in die Zukunft
zu blicken, anderen freilich von der Rechten und Linken blieb ein Theil ihrer
Sorge zurück, daß die neue Verfassung das feste Gefüge des preußischen Staates
allzu sehr lockern werde.

An jedem Tage der Verhandlungen wurde der doppelseitige Charakter des
Verfassungsentwurfs erkennbarer und ebenso die Schwierigkeit größer, welche
das Dvppelcmtlitz bereitete. Der Entwurf hatte einmal die Tendenz, die Re¬
gierungen des Bundes dauernd zu festen Prästationen zu verpflichten, andererseits
die Zukunft des neuzubildenden Heeres und Bundes gegen die Einsprüche der
Volksvertretung sicher zu stellen. Er glich darum einigermaßen der kunstvollen
mechanischen Erfindung, welche man doppelte Schraube nennt. Denn seine
Grundlage bildeten geheime Compromisse zwischen den Leitern der preußischen
Politik, Verträge der einzelnen Bundesstaaten mit Preußen, und zuletzt wieder
Compromisse, welche den Vertretern der Nation und der Landesverfassungen
zugemuthet werden müssen. Und was dem ersten Blick aussah wie eine Anzahl
Blätter, welche aus den einzelnen preußischen Ministerien herangeflattert und


Grenzboten II. 18S7. 21
Der Reichstag und die Kriegsverfassung des Bundes.

Durch sieben Wochen eifriger Arbeit hat der Reichstag seine Aufgabe gelöst,
den Verfassungsentwurf eines norddeutschen Bundes mit den verbündeten Re¬
gierungen zu vereinbaren. In gehobener Stimmung und dem Gefühl, zu einer
außerordentlichen Thätigkeit berufen zu sein, begannen die Abgeordneten ihr
Werk, aber auch mit geheimem Bangen vor den Kompromissen, die ihnen zu-
gemuthet werden würden, und sie schieden aus den Räumen des Herrenhauses
mit einer gewissen Resignation, ja wie ermüdete Arbeiter, aber doch mit der
Empfindung, daß es nicht an ihnen liegen werde, wenn die politische Neu¬
gestaltung Deutschlands sich auf einem andern als dem eingeschlagenen Weg
vollziehe. Die Mehrzahl blieb entschlossen, mit gutem Vertrauen in die Zukunft
zu blicken, anderen freilich von der Rechten und Linken blieb ein Theil ihrer
Sorge zurück, daß die neue Verfassung das feste Gefüge des preußischen Staates
allzu sehr lockern werde.

An jedem Tage der Verhandlungen wurde der doppelseitige Charakter des
Verfassungsentwurfs erkennbarer und ebenso die Schwierigkeit größer, welche
das Dvppelcmtlitz bereitete. Der Entwurf hatte einmal die Tendenz, die Re¬
gierungen des Bundes dauernd zu festen Prästationen zu verpflichten, andererseits
die Zukunft des neuzubildenden Heeres und Bundes gegen die Einsprüche der
Volksvertretung sicher zu stellen. Er glich darum einigermaßen der kunstvollen
mechanischen Erfindung, welche man doppelte Schraube nennt. Denn seine
Grundlage bildeten geheime Compromisse zwischen den Leitern der preußischen
Politik, Verträge der einzelnen Bundesstaaten mit Preußen, und zuletzt wieder
Compromisse, welche den Vertretern der Nation und der Landesverfassungen
zugemuthet werden müssen. Und was dem ersten Blick aussah wie eine Anzahl
Blätter, welche aus den einzelnen preußischen Ministerien herangeflattert und


Grenzboten II. 18S7. 21
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[0165] Der Reichstag und die Kriegsverfassung des Bundes. Durch sieben Wochen eifriger Arbeit hat der Reichstag seine Aufgabe gelöst, den Verfassungsentwurf eines norddeutschen Bundes mit den verbündeten Re¬ gierungen zu vereinbaren. In gehobener Stimmung und dem Gefühl, zu einer außerordentlichen Thätigkeit berufen zu sein, begannen die Abgeordneten ihr Werk, aber auch mit geheimem Bangen vor den Kompromissen, die ihnen zu- gemuthet werden würden, und sie schieden aus den Räumen des Herrenhauses mit einer gewissen Resignation, ja wie ermüdete Arbeiter, aber doch mit der Empfindung, daß es nicht an ihnen liegen werde, wenn die politische Neu¬ gestaltung Deutschlands sich auf einem andern als dem eingeschlagenen Weg vollziehe. Die Mehrzahl blieb entschlossen, mit gutem Vertrauen in die Zukunft zu blicken, anderen freilich von der Rechten und Linken blieb ein Theil ihrer Sorge zurück, daß die neue Verfassung das feste Gefüge des preußischen Staates allzu sehr lockern werde. An jedem Tage der Verhandlungen wurde der doppelseitige Charakter des Verfassungsentwurfs erkennbarer und ebenso die Schwierigkeit größer, welche das Dvppelcmtlitz bereitete. Der Entwurf hatte einmal die Tendenz, die Re¬ gierungen des Bundes dauernd zu festen Prästationen zu verpflichten, andererseits die Zukunft des neuzubildenden Heeres und Bundes gegen die Einsprüche der Volksvertretung sicher zu stellen. Er glich darum einigermaßen der kunstvollen mechanischen Erfindung, welche man doppelte Schraube nennt. Denn seine Grundlage bildeten geheime Compromisse zwischen den Leitern der preußischen Politik, Verträge der einzelnen Bundesstaaten mit Preußen, und zuletzt wieder Compromisse, welche den Vertretern der Nation und der Landesverfassungen zugemuthet werden müssen. Und was dem ersten Blick aussah wie eine Anzahl Blätter, welche aus den einzelnen preußischen Ministerien herangeflattert und Grenzboten II. 18S7. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/165>, abgerufen am 29.06.2024.