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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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die Ketten aufbewahrt, die derselbe in Rom getragen.hat, auf wunderbare
Weise zusammengewachsen mit denen, die er im Gefängnisse zu Jerusalem trug.
Noch weiß man selbst den Ort des Gefängnisses, wo die beiden Apostel saßen
und ihre Wächter für das Evangelium gewannen. Noch bezeichnet man die
Wohnungen, die Petrus in Rom inne hatte, erst im transtiberinischen Viertel,
wo jetzt die Kirche Sta. Cäcilia steht; dann lange Jahre in dem Hause des
Senators Puteus, zwischen Viminal und Esquilin. an dessen Stelle sich jetzt
die Santa Pudentiana erhebt. Auf Schritt und Tritt wird in der ewigen
Stadt die Erinnerung an die Anwesenheit des Petrus wachgerufen. Drei
große kirchliche Feste werden alljährlich zu seinem Gedächtniß gefeiert, das des
Stuhles, das der Ketten und das des Todes. In so lebendiger Weise dauert
die Bezeugung bis auf den heutigen Tag fort. Und dennoch Sage, nichts als
Sage? Versuchen wir die Antwort.


Die römische Tradition.

Hören wir zuerst, wie die officielle Tradition der römischen Kirche über den
Apostel Petrus lautet. Bis zum Jahre 37, lehrt dieselbe, stand Petrus an der
Spitze der jerusalemischen Gemeinde. Im genannten Jahre verließ er Jerusa¬
lem aus Anlaß der Verfolgung, welche dem Apostel Jacobus das Leben kostete,
und begab sich nach Antiochia, wo er eine Gemeinde stiftete und sieben Jahre deren
Bischof war. Hierauf im Jahre 42, im zweiten des Claudius, kam er, dem
als falscher Apostel nach Westen reisenden Magier Simon von Ort zu Ort auf
dem Fuß folgend, nach Rom, wo er den Magier besiegte, das Evangelium pre¬
digte, viele Wunder verrichtete, eine Gemeinde gründete und sich als Bischof an
die Spitze derselben stellte. AIs solcher verharrte er in Rom bis zum Jahre 60,
in welchem Jahre Claudius die Juden aus Rom Vertrieb, weil sie, wie Sue-
tonius erzählt, "auf Anstiften des Chrestus fortwährend Unruhen veranlaßten."
Petrus begab sich nach Jerusalem zurück, wo er das erste Concil, das aus der
Apostelgeschichte bekannte, hielt. Von da ging er wieder nach Antiochia. In¬
dessen war Claudius gestorben und Petrus kehrte über Kleinasien, Sicilien. Un-
teritalien nach Rom zurück. Er kam hier unter Nero an, nahm seine bischöfliche
Kathedra wieder ein und machte von hier aus viele apostolische Reisen nach
Gallien, Britannien, Spanien und Afrika, wo er überall Gemeinden stiftete.
Endlich wurde er im Jahre 67 unter Nero zugleich mit Paulus hingerichtet
und fand hier sein Grab in den Gärten des Nero, dem heutigen Vatican.

Wer aus der altchristlichen Literatur auch nur die neutestamentlichen Schriften
kennt, schon dem müssen gewaltige Zweifel über diese Tradition sich aufdrängen.
Kaum der eine oder andere Zug läßt sich in denselben wiederfinden, über die
meisten finden wir völliges Stillschweigen, viele sind unvereinbar mit den An-


die Ketten aufbewahrt, die derselbe in Rom getragen.hat, auf wunderbare
Weise zusammengewachsen mit denen, die er im Gefängnisse zu Jerusalem trug.
Noch weiß man selbst den Ort des Gefängnisses, wo die beiden Apostel saßen
und ihre Wächter für das Evangelium gewannen. Noch bezeichnet man die
Wohnungen, die Petrus in Rom inne hatte, erst im transtiberinischen Viertel,
wo jetzt die Kirche Sta. Cäcilia steht; dann lange Jahre in dem Hause des
Senators Puteus, zwischen Viminal und Esquilin. an dessen Stelle sich jetzt
die Santa Pudentiana erhebt. Auf Schritt und Tritt wird in der ewigen
Stadt die Erinnerung an die Anwesenheit des Petrus wachgerufen. Drei
große kirchliche Feste werden alljährlich zu seinem Gedächtniß gefeiert, das des
Stuhles, das der Ketten und das des Todes. In so lebendiger Weise dauert
die Bezeugung bis auf den heutigen Tag fort. Und dennoch Sage, nichts als
Sage? Versuchen wir die Antwort.


Die römische Tradition.

Hören wir zuerst, wie die officielle Tradition der römischen Kirche über den
Apostel Petrus lautet. Bis zum Jahre 37, lehrt dieselbe, stand Petrus an der
Spitze der jerusalemischen Gemeinde. Im genannten Jahre verließ er Jerusa¬
lem aus Anlaß der Verfolgung, welche dem Apostel Jacobus das Leben kostete,
und begab sich nach Antiochia, wo er eine Gemeinde stiftete und sieben Jahre deren
Bischof war. Hierauf im Jahre 42, im zweiten des Claudius, kam er, dem
als falscher Apostel nach Westen reisenden Magier Simon von Ort zu Ort auf
dem Fuß folgend, nach Rom, wo er den Magier besiegte, das Evangelium pre¬
digte, viele Wunder verrichtete, eine Gemeinde gründete und sich als Bischof an
die Spitze derselben stellte. AIs solcher verharrte er in Rom bis zum Jahre 60,
in welchem Jahre Claudius die Juden aus Rom Vertrieb, weil sie, wie Sue-
tonius erzählt, „auf Anstiften des Chrestus fortwährend Unruhen veranlaßten."
Petrus begab sich nach Jerusalem zurück, wo er das erste Concil, das aus der
Apostelgeschichte bekannte, hielt. Von da ging er wieder nach Antiochia. In¬
dessen war Claudius gestorben und Petrus kehrte über Kleinasien, Sicilien. Un-
teritalien nach Rom zurück. Er kam hier unter Nero an, nahm seine bischöfliche
Kathedra wieder ein und machte von hier aus viele apostolische Reisen nach
Gallien, Britannien, Spanien und Afrika, wo er überall Gemeinden stiftete.
Endlich wurde er im Jahre 67 unter Nero zugleich mit Paulus hingerichtet
und fand hier sein Grab in den Gärten des Nero, dem heutigen Vatican.

Wer aus der altchristlichen Literatur auch nur die neutestamentlichen Schriften
kennt, schon dem müssen gewaltige Zweifel über diese Tradition sich aufdrängen.
Kaum der eine oder andere Zug läßt sich in denselben wiederfinden, über die
meisten finden wir völliges Stillschweigen, viele sind unvereinbar mit den An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/94>, abgerufen am 15.01.2025.