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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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gaben der neutestamentlichen Schriftsteller. Obwohl eine eigne Schrift den Na¬
men Apostelgeschichte trägt, sind doch bekanntlich unsre Nachrichten über die spä¬
tern Schicksale der Apostel überaus dürftig. Der Apostelfürst macht keine Aus¬
nahme. Seit dem im Galaterbrief erwähnten Conflict, den Paulus mit ihm
zu Antiochia hatte, hört jede zuverlässige Kunde von Petrus auf. Die Apostel¬
geschichte verliert ihn aus dem Auge und beschäftigt sich in ihrer zweiten Hälfte
ausschließlich mit Paulus. Es ist nun zwar anzunehmen, daß Petrus seine
Missionsthätigkeit nicht blos auf Palästina beschränkte. Abgesehen von Antiochia
läßt ihn wenigstens die genannte Schrift auch nach Samaria und nach den
phönizischen Städten gehen. Wohl aber ist wahrscheinlich, daß er auch in der
Folge nur unter den Juden als Apostel ausgetreten ist, wie er denn eben dieses
Feld in der Verabredung mit Paulus für die ältern Apostel ausdrücklich reser-
virt hatt-. Von den spätern Schicksalen, von seinem Ende wissen wir nichts.
Die Anspielung, die im Anfang des Johanncscvangeliums auf den Märtyrer-
tod des Apostels gemacht wird, beweist nur, daß dem Verfasser jenes apokry¬
phen, später Zusatzes die Tradition des Märtyrcrtods, übrigens ohne Angabe
des Orts, bereits bekannt ist. Für den ganzen Inhalt der Tradition sind wir
auf späte, unsichere, aber in ihrer Tendenz früh erkennbare Nachrichten verwiesen.

Der Brief an die Römer, von Paulus seinem Besuch in der Welthaupt¬
stadt vorausgeschickt, der später unter ganz anderen Verhältnissen erfolgen sollte,
enthält keine Spur davon, daß Petrus die Gemeinde gegründet habe und über¬
haupt damals bereits in Rom gewesen sei. Im Gegentheil schließt er den
Theil der Sage, wonach Petrus schon unter Claudius nach Rom gekommen und
Stifter der Gemeinde geworden wäre, gradezu aus. Man weiß, daß die rö¬
mische Gemeinde sich ohne Mitwirkung eines Apostels gebildet hat, wie das in
einer Stadt, in welcher so viele Juden lebten, in welcher ein so lebhafter Ver¬
kehr mit allen Nationen und allen Bekenntnissen des Orients war, sich voll¬
kommen begreift. Ebensowenig enthält irgendeiner der andern Briefe des
Paulus, auch diejenigen nicht, die er aus der Gefangenschaft geschrieben haben
soll, irgendeine dahin bezügliche Andeutung. Die Apostelgeschichte im letzten
Theil ihrer Erzählung, der bekanntlich in Rom spielt und auf authentische
Quellen sich stützt, die bis in die Umgebung des Paulus hinaufgehen, weiß
nichts von Petrus. Bis zu diesem Zeitpunkt also, bis zum Jahr 64, kann
Petrus unmöglich in Rom gewesen sein. Nur die Frage kann sich noch erheben'
ob nicht nach dieser Zeit Paulus mit Petrus in Rom zusammengetroffen sein
kann, eine Frage, die mit der Annahme einer zweiten Gefangenschaft des Pau¬
lus zusammenhängt. Ist Paulus aus der Gefangenschaft, welche die Apostel-
geschichte erzählt, wieder frei geworden, hat er neue Reisen angetreten, ist er ein
zweites Mal von Korinth nach Rom gezogen, so kann diese zweite Reise diejenige
gewesen sein, die er entweder gemeinschaftlich mit Petrus machte oder nach


gaben der neutestamentlichen Schriftsteller. Obwohl eine eigne Schrift den Na¬
men Apostelgeschichte trägt, sind doch bekanntlich unsre Nachrichten über die spä¬
tern Schicksale der Apostel überaus dürftig. Der Apostelfürst macht keine Aus¬
nahme. Seit dem im Galaterbrief erwähnten Conflict, den Paulus mit ihm
zu Antiochia hatte, hört jede zuverlässige Kunde von Petrus auf. Die Apostel¬
geschichte verliert ihn aus dem Auge und beschäftigt sich in ihrer zweiten Hälfte
ausschließlich mit Paulus. Es ist nun zwar anzunehmen, daß Petrus seine
Missionsthätigkeit nicht blos auf Palästina beschränkte. Abgesehen von Antiochia
läßt ihn wenigstens die genannte Schrift auch nach Samaria und nach den
phönizischen Städten gehen. Wohl aber ist wahrscheinlich, daß er auch in der
Folge nur unter den Juden als Apostel ausgetreten ist, wie er denn eben dieses
Feld in der Verabredung mit Paulus für die ältern Apostel ausdrücklich reser-
virt hatt-. Von den spätern Schicksalen, von seinem Ende wissen wir nichts.
Die Anspielung, die im Anfang des Johanncscvangeliums auf den Märtyrer-
tod des Apostels gemacht wird, beweist nur, daß dem Verfasser jenes apokry¬
phen, später Zusatzes die Tradition des Märtyrcrtods, übrigens ohne Angabe
des Orts, bereits bekannt ist. Für den ganzen Inhalt der Tradition sind wir
auf späte, unsichere, aber in ihrer Tendenz früh erkennbare Nachrichten verwiesen.

Der Brief an die Römer, von Paulus seinem Besuch in der Welthaupt¬
stadt vorausgeschickt, der später unter ganz anderen Verhältnissen erfolgen sollte,
enthält keine Spur davon, daß Petrus die Gemeinde gegründet habe und über¬
haupt damals bereits in Rom gewesen sei. Im Gegentheil schließt er den
Theil der Sage, wonach Petrus schon unter Claudius nach Rom gekommen und
Stifter der Gemeinde geworden wäre, gradezu aus. Man weiß, daß die rö¬
mische Gemeinde sich ohne Mitwirkung eines Apostels gebildet hat, wie das in
einer Stadt, in welcher so viele Juden lebten, in welcher ein so lebhafter Ver¬
kehr mit allen Nationen und allen Bekenntnissen des Orients war, sich voll¬
kommen begreift. Ebensowenig enthält irgendeiner der andern Briefe des
Paulus, auch diejenigen nicht, die er aus der Gefangenschaft geschrieben haben
soll, irgendeine dahin bezügliche Andeutung. Die Apostelgeschichte im letzten
Theil ihrer Erzählung, der bekanntlich in Rom spielt und auf authentische
Quellen sich stützt, die bis in die Umgebung des Paulus hinaufgehen, weiß
nichts von Petrus. Bis zu diesem Zeitpunkt also, bis zum Jahr 64, kann
Petrus unmöglich in Rom gewesen sein. Nur die Frage kann sich noch erheben'
ob nicht nach dieser Zeit Paulus mit Petrus in Rom zusammengetroffen sein
kann, eine Frage, die mit der Annahme einer zweiten Gefangenschaft des Pau¬
lus zusammenhängt. Ist Paulus aus der Gefangenschaft, welche die Apostel-
geschichte erzählt, wieder frei geworden, hat er neue Reisen angetreten, ist er ein
zweites Mal von Korinth nach Rom gezogen, so kann diese zweite Reise diejenige
gewesen sein, die er entweder gemeinschaftlich mit Petrus machte oder nach


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[0095] gaben der neutestamentlichen Schriftsteller. Obwohl eine eigne Schrift den Na¬ men Apostelgeschichte trägt, sind doch bekanntlich unsre Nachrichten über die spä¬ tern Schicksale der Apostel überaus dürftig. Der Apostelfürst macht keine Aus¬ nahme. Seit dem im Galaterbrief erwähnten Conflict, den Paulus mit ihm zu Antiochia hatte, hört jede zuverlässige Kunde von Petrus auf. Die Apostel¬ geschichte verliert ihn aus dem Auge und beschäftigt sich in ihrer zweiten Hälfte ausschließlich mit Paulus. Es ist nun zwar anzunehmen, daß Petrus seine Missionsthätigkeit nicht blos auf Palästina beschränkte. Abgesehen von Antiochia läßt ihn wenigstens die genannte Schrift auch nach Samaria und nach den phönizischen Städten gehen. Wohl aber ist wahrscheinlich, daß er auch in der Folge nur unter den Juden als Apostel ausgetreten ist, wie er denn eben dieses Feld in der Verabredung mit Paulus für die ältern Apostel ausdrücklich reser- virt hatt-. Von den spätern Schicksalen, von seinem Ende wissen wir nichts. Die Anspielung, die im Anfang des Johanncscvangeliums auf den Märtyrer- tod des Apostels gemacht wird, beweist nur, daß dem Verfasser jenes apokry¬ phen, später Zusatzes die Tradition des Märtyrcrtods, übrigens ohne Angabe des Orts, bereits bekannt ist. Für den ganzen Inhalt der Tradition sind wir auf späte, unsichere, aber in ihrer Tendenz früh erkennbare Nachrichten verwiesen. Der Brief an die Römer, von Paulus seinem Besuch in der Welthaupt¬ stadt vorausgeschickt, der später unter ganz anderen Verhältnissen erfolgen sollte, enthält keine Spur davon, daß Petrus die Gemeinde gegründet habe und über¬ haupt damals bereits in Rom gewesen sei. Im Gegentheil schließt er den Theil der Sage, wonach Petrus schon unter Claudius nach Rom gekommen und Stifter der Gemeinde geworden wäre, gradezu aus. Man weiß, daß die rö¬ mische Gemeinde sich ohne Mitwirkung eines Apostels gebildet hat, wie das in einer Stadt, in welcher so viele Juden lebten, in welcher ein so lebhafter Ver¬ kehr mit allen Nationen und allen Bekenntnissen des Orients war, sich voll¬ kommen begreift. Ebensowenig enthält irgendeiner der andern Briefe des Paulus, auch diejenigen nicht, die er aus der Gefangenschaft geschrieben haben soll, irgendeine dahin bezügliche Andeutung. Die Apostelgeschichte im letzten Theil ihrer Erzählung, der bekanntlich in Rom spielt und auf authentische Quellen sich stützt, die bis in die Umgebung des Paulus hinaufgehen, weiß nichts von Petrus. Bis zu diesem Zeitpunkt also, bis zum Jahr 64, kann Petrus unmöglich in Rom gewesen sein. Nur die Frage kann sich noch erheben' ob nicht nach dieser Zeit Paulus mit Petrus in Rom zusammengetroffen sein kann, eine Frage, die mit der Annahme einer zweiten Gefangenschaft des Pau¬ lus zusammenhängt. Ist Paulus aus der Gefangenschaft, welche die Apostel- geschichte erzählt, wieder frei geworden, hat er neue Reisen angetreten, ist er ein zweites Mal von Korinth nach Rom gezogen, so kann diese zweite Reise diejenige gewesen sein, die er entweder gemeinschaftlich mit Petrus machte oder nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/95>, abgerufen am 15.01.2025.