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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Vermischte Literatur.
Drei Tragödien des Sophokles mit Euripides'Satyrspiel, Mit Rück¬
sicht aus die Bühne übertragen von Adolf Wilbrandt. Nördlingen, 1866.
Die für die Übersetzung gewählten Tragödien sind die EIcktra, König Oedipus

und Antigone, denen noch das einzig erhaltene Satyrspiel, der Cyklop des Euripides,
beigefügt ist. In einem längeren Vorwort weist der Verfasser die Abweichungen
auf. welche er sich vom griechischen Text erlaubt hat. Er hat vorerst (und darin
wird man ihm ziemlich allgemein zustimmen) statt des Trimctcr den uns gewohnten
fünffüßigen Jambus angewandt, daun auch statt der verwickelten Meeren der grie¬
chischen Chorgesänge solche von einfacheren Bau gewählt. Ferner hat er die Chor-
gcsänge nicht dem Chor zugetheilt, sondern einzelnen Personen, welche mit den han¬
delnden Personen des Dramas ebenfalls auf der Bühne auftreten. Einzelne Chor¬
gesänge hat er freier behandelt, bei anderen sich wieder mehr dem Text angeschmiegt-,
nur zwei derselben, soweit wir gesehen haben, sind ganz weggefallen. Diese Um¬
wandlung der griechischen Stücke ist mit Pietät geschehen, und wir können es der
Uebersetzung nachrühmen, daß sie sich wie ein Werk deutscher Dichtung liest, ohne
daß das griechische Original dabei eine große Einbuße erlitten hätte. Die Antigone
hat der Uebersetzer in drei Acte getheilt; wir meinen, mit Unrecht, denn die kurze
Handlung verträgt nicht das Auseinandcrzichen in mehre Theile. Da Herr Wil¬
brandt seine Umbildung hauptsächlich darauf gerichtet hat, die Stücke für unsere
Bühne herzurichten, war ihm natürlich vor allem daran gelegen, den uns frem¬
desten Theil des griechischen Dramas, die Chorgesänge, in ein anderes Verhältniß
zu der Handlung selbst zu bringen. Er hat dies mit vielem Geschick gethan, aber
dennoch bleiben sie immer noch ein uns fremdartiges Element. Im griechischen
Drama treten diese musikalischen Theile des Stückes bedeutsam hervor, sie bilden
die Ruhepunkte für den Hörer wie für die Handlung. Im Deutschen nehmen sie
diesen Platz nicht ein; schon der Wegfall der Musik bedingt ein ungleich geringeres
Zeitmaß für dieselben, so daß die einzelnen Theile des Stückes wieder einander näher
gerückt werden, die im Griechischen sorgfältig geschieden waren; die Chorgesänge selbst
aber werden, da der Chor nie in die Handlung eingreift, leicht zu bloßen Dekla¬
mationen herabgedrückt. Wie jedoch schon anfangs bemerkt, ist auch diese Seite
mit großer Sorgfalt von dem Uebersetzer behandelt, klar ausgedrückte Gedanken, so¬
wie gefällige Rhythmen treten hier gerade besonders hervor, und es ist darum immer¬
hin anzuerkennen, wo eine oder die andere unserer Bühnen den Versuch macht, mit
dieser Uebertragung den Meister des griechischen Dramas ihren Zuhörern vorzuführen.


Das altgriechische Theater von Julius Sommerbrodl. Stuttgart,
1865.

Eine populäre Abhandlung, welche darauf gerichtet ist, dem Laien einen Begriff
von der Entstehung des griechischen Theaters zu geben und ihm das Verständniß
der griechischen Dramen zu erleichtern. Zu diesem Zweck wird sowohl der Bau des
griechischen Theaters, soweit wir sichere Nachricht darüber haben, wie auch die Aus-


Vermischte Literatur.
Drei Tragödien des Sophokles mit Euripides'Satyrspiel, Mit Rück¬
sicht aus die Bühne übertragen von Adolf Wilbrandt. Nördlingen, 1866.
Die für die Übersetzung gewählten Tragödien sind die EIcktra, König Oedipus

und Antigone, denen noch das einzig erhaltene Satyrspiel, der Cyklop des Euripides,
beigefügt ist. In einem längeren Vorwort weist der Verfasser die Abweichungen
auf. welche er sich vom griechischen Text erlaubt hat. Er hat vorerst (und darin
wird man ihm ziemlich allgemein zustimmen) statt des Trimctcr den uns gewohnten
fünffüßigen Jambus angewandt, daun auch statt der verwickelten Meeren der grie¬
chischen Chorgesänge solche von einfacheren Bau gewählt. Ferner hat er die Chor-
gcsänge nicht dem Chor zugetheilt, sondern einzelnen Personen, welche mit den han¬
delnden Personen des Dramas ebenfalls auf der Bühne auftreten. Einzelne Chor¬
gesänge hat er freier behandelt, bei anderen sich wieder mehr dem Text angeschmiegt-,
nur zwei derselben, soweit wir gesehen haben, sind ganz weggefallen. Diese Um¬
wandlung der griechischen Stücke ist mit Pietät geschehen, und wir können es der
Uebersetzung nachrühmen, daß sie sich wie ein Werk deutscher Dichtung liest, ohne
daß das griechische Original dabei eine große Einbuße erlitten hätte. Die Antigone
hat der Uebersetzer in drei Acte getheilt; wir meinen, mit Unrecht, denn die kurze
Handlung verträgt nicht das Auseinandcrzichen in mehre Theile. Da Herr Wil¬
brandt seine Umbildung hauptsächlich darauf gerichtet hat, die Stücke für unsere
Bühne herzurichten, war ihm natürlich vor allem daran gelegen, den uns frem¬
desten Theil des griechischen Dramas, die Chorgesänge, in ein anderes Verhältniß
zu der Handlung selbst zu bringen. Er hat dies mit vielem Geschick gethan, aber
dennoch bleiben sie immer noch ein uns fremdartiges Element. Im griechischen
Drama treten diese musikalischen Theile des Stückes bedeutsam hervor, sie bilden
die Ruhepunkte für den Hörer wie für die Handlung. Im Deutschen nehmen sie
diesen Platz nicht ein; schon der Wegfall der Musik bedingt ein ungleich geringeres
Zeitmaß für dieselben, so daß die einzelnen Theile des Stückes wieder einander näher
gerückt werden, die im Griechischen sorgfältig geschieden waren; die Chorgesänge selbst
aber werden, da der Chor nie in die Handlung eingreift, leicht zu bloßen Dekla¬
mationen herabgedrückt. Wie jedoch schon anfangs bemerkt, ist auch diese Seite
mit großer Sorgfalt von dem Uebersetzer behandelt, klar ausgedrückte Gedanken, so¬
wie gefällige Rhythmen treten hier gerade besonders hervor, und es ist darum immer¬
hin anzuerkennen, wo eine oder die andere unserer Bühnen den Versuch macht, mit
dieser Uebertragung den Meister des griechischen Dramas ihren Zuhörern vorzuführen.


Das altgriechische Theater von Julius Sommerbrodl. Stuttgart,
1865.

Eine populäre Abhandlung, welche darauf gerichtet ist, dem Laien einen Begriff
von der Entstehung des griechischen Theaters zu geben und ihm das Verständniß
der griechischen Dramen zu erleichtern. Zu diesem Zweck wird sowohl der Bau des
griechischen Theaters, soweit wir sichere Nachricht darüber haben, wie auch die Aus-


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[0449] Vermischte Literatur. Drei Tragödien des Sophokles mit Euripides'Satyrspiel, Mit Rück¬ sicht aus die Bühne übertragen von Adolf Wilbrandt. Nördlingen, 1866. Die für die Übersetzung gewählten Tragödien sind die EIcktra, König Oedipus und Antigone, denen noch das einzig erhaltene Satyrspiel, der Cyklop des Euripides, beigefügt ist. In einem längeren Vorwort weist der Verfasser die Abweichungen auf. welche er sich vom griechischen Text erlaubt hat. Er hat vorerst (und darin wird man ihm ziemlich allgemein zustimmen) statt des Trimctcr den uns gewohnten fünffüßigen Jambus angewandt, daun auch statt der verwickelten Meeren der grie¬ chischen Chorgesänge solche von einfacheren Bau gewählt. Ferner hat er die Chor- gcsänge nicht dem Chor zugetheilt, sondern einzelnen Personen, welche mit den han¬ delnden Personen des Dramas ebenfalls auf der Bühne auftreten. Einzelne Chor¬ gesänge hat er freier behandelt, bei anderen sich wieder mehr dem Text angeschmiegt-, nur zwei derselben, soweit wir gesehen haben, sind ganz weggefallen. Diese Um¬ wandlung der griechischen Stücke ist mit Pietät geschehen, und wir können es der Uebersetzung nachrühmen, daß sie sich wie ein Werk deutscher Dichtung liest, ohne daß das griechische Original dabei eine große Einbuße erlitten hätte. Die Antigone hat der Uebersetzer in drei Acte getheilt; wir meinen, mit Unrecht, denn die kurze Handlung verträgt nicht das Auseinandcrzichen in mehre Theile. Da Herr Wil¬ brandt seine Umbildung hauptsächlich darauf gerichtet hat, die Stücke für unsere Bühne herzurichten, war ihm natürlich vor allem daran gelegen, den uns frem¬ desten Theil des griechischen Dramas, die Chorgesänge, in ein anderes Verhältniß zu der Handlung selbst zu bringen. Er hat dies mit vielem Geschick gethan, aber dennoch bleiben sie immer noch ein uns fremdartiges Element. Im griechischen Drama treten diese musikalischen Theile des Stückes bedeutsam hervor, sie bilden die Ruhepunkte für den Hörer wie für die Handlung. Im Deutschen nehmen sie diesen Platz nicht ein; schon der Wegfall der Musik bedingt ein ungleich geringeres Zeitmaß für dieselben, so daß die einzelnen Theile des Stückes wieder einander näher gerückt werden, die im Griechischen sorgfältig geschieden waren; die Chorgesänge selbst aber werden, da der Chor nie in die Handlung eingreift, leicht zu bloßen Dekla¬ mationen herabgedrückt. Wie jedoch schon anfangs bemerkt, ist auch diese Seite mit großer Sorgfalt von dem Uebersetzer behandelt, klar ausgedrückte Gedanken, so¬ wie gefällige Rhythmen treten hier gerade besonders hervor, und es ist darum immer¬ hin anzuerkennen, wo eine oder die andere unserer Bühnen den Versuch macht, mit dieser Uebertragung den Meister des griechischen Dramas ihren Zuhörern vorzuführen. Das altgriechische Theater von Julius Sommerbrodl. Stuttgart, 1865. Eine populäre Abhandlung, welche darauf gerichtet ist, dem Laien einen Begriff von der Entstehung des griechischen Theaters zu geben und ihm das Verständniß der griechischen Dramen zu erleichtern. Zu diesem Zweck wird sowohl der Bau des griechischen Theaters, soweit wir sichere Nachricht darüber haben, wie auch die Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/449>, abgerufen am 15.01.2025.