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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Vier Briefe eines Süddeutschen an den Versasser der "Vier
Fragen eines Ostpreußen".
Vierter Brief.

Sie sagen, meine Geschichte aus Hohenzollern sei recht schön, aber sie weide
entkräftet und widerlegt durch die Thatsachen, daß seit der Annectirung die anti¬
preußische Stimmung in Frankfurt noch antipreußischer, in Schleswig-Holstein
wenigstens nicht preußischer geworden sei, und daß die Sympathien für Preußen
in Kurhessen und Nassau, welche früher die Einverleibung provocirten, bedeutend
abgekühlt und in Hannover, trotz aller Maßregeln, nicht wärmer geworden sind.

Alle diese Thatsachen sind -- ich muß es mit Bedauern zugestehen -- nur
zu wahr.

Aber was sind die Gründe dieser Erscheinung? Die Dynastie, das Heer,
die Finanzen in Preußen sind in der That und Wahrheit auch die Dynastie,
das Heer, die Finanzen eines Großstaats. Auch die Hauptstadt und die Be¬
völkerungsziffer vermögen, wenigstens seit neuester Zeit, den Ansprüchen eines
Großstaats zur Noth zu genügen.

Von der innern Verwaltung aber und von dem, was die neuen Provinzen
gegenwärtig zu schmecken bekommen, vermag ich ein G!einsah nicht zu behaupten.
Namentlich aber ein großer Theil der Bureaukratie steckt noch tief in den Kin¬
derschuhen des Kleinstaates, jenes Kleinstaates, der, weil er keine große Politik
treiben kann und darf, aber doch seinem Thätigkeitstriebe Genüge leisten will,
sich mit desto größerem Eifer aus die kleine Politik wirft, die Gebiete der bür¬
gerlichen und wirtschaftlichen Gesellschaft, der Gemeinde und des Kreises, der
Schule und der Kirche usurpirt. alles reglementiren, uniformiren, nivelliren will,
und der, weil er kein Maler ist, sich der Schablone des Wcißbindcrs bedient,
um sagen zu können: "^nelr' lo solio xittoro!"

Diesem Ucberresi kleinstaatlicher Nivellirungö-Reglcmentirungstendcnzen, die
einer sich "konservativ" nennenden Negierung den Anstrich von Nadicalism giebt,
hat leider der Landtag einen großen Vorschub geleistet, indem er für die neuen
Provinzen bis zum 1. October 1867 jene Einrichtung einführte, welche man
die "Königliche Dictatur" nennt, die aber einen so wohlklingenden Namen nicht
verdient, sondern besser als die "Omnipotenz der Decernenten und der Geheim'
rathe" bezeichnet würde. Gestatten Sie mir eine nähere Erläuterung:

Man hatte bei der Einverleibung drei Wege vor sich: Erstens den der
Personalunion. Zweitens den der Proconsul ale. Drittens den der
sofortigen Einfügung in den preußischen Staat.

Bei der Personalunion wurde König Wilhelm: Herr von Frankfurt.
Herzog von Nassau und Von Schleswig-Holstein, Kurfürst von Hessen und König


Vier Briefe eines Süddeutschen an den Versasser der „Vier
Fragen eines Ostpreußen".
Vierter Brief.

Sie sagen, meine Geschichte aus Hohenzollern sei recht schön, aber sie weide
entkräftet und widerlegt durch die Thatsachen, daß seit der Annectirung die anti¬
preußische Stimmung in Frankfurt noch antipreußischer, in Schleswig-Holstein
wenigstens nicht preußischer geworden sei, und daß die Sympathien für Preußen
in Kurhessen und Nassau, welche früher die Einverleibung provocirten, bedeutend
abgekühlt und in Hannover, trotz aller Maßregeln, nicht wärmer geworden sind.

Alle diese Thatsachen sind — ich muß es mit Bedauern zugestehen — nur
zu wahr.

Aber was sind die Gründe dieser Erscheinung? Die Dynastie, das Heer,
die Finanzen in Preußen sind in der That und Wahrheit auch die Dynastie,
das Heer, die Finanzen eines Großstaats. Auch die Hauptstadt und die Be¬
völkerungsziffer vermögen, wenigstens seit neuester Zeit, den Ansprüchen eines
Großstaats zur Noth zu genügen.

Von der innern Verwaltung aber und von dem, was die neuen Provinzen
gegenwärtig zu schmecken bekommen, vermag ich ein G!einsah nicht zu behaupten.
Namentlich aber ein großer Theil der Bureaukratie steckt noch tief in den Kin¬
derschuhen des Kleinstaates, jenes Kleinstaates, der, weil er keine große Politik
treiben kann und darf, aber doch seinem Thätigkeitstriebe Genüge leisten will,
sich mit desto größerem Eifer aus die kleine Politik wirft, die Gebiete der bür¬
gerlichen und wirtschaftlichen Gesellschaft, der Gemeinde und des Kreises, der
Schule und der Kirche usurpirt. alles reglementiren, uniformiren, nivelliren will,
und der, weil er kein Maler ist, sich der Schablone des Wcißbindcrs bedient,
um sagen zu können: „^nelr' lo solio xittoro!"

Diesem Ucberresi kleinstaatlicher Nivellirungö-Reglcmentirungstendcnzen, die
einer sich „konservativ" nennenden Negierung den Anstrich von Nadicalism giebt,
hat leider der Landtag einen großen Vorschub geleistet, indem er für die neuen
Provinzen bis zum 1. October 1867 jene Einrichtung einführte, welche man
die „Königliche Dictatur" nennt, die aber einen so wohlklingenden Namen nicht
verdient, sondern besser als die „Omnipotenz der Decernenten und der Geheim'
rathe" bezeichnet würde. Gestatten Sie mir eine nähere Erläuterung:

Man hatte bei der Einverleibung drei Wege vor sich: Erstens den der
Personalunion. Zweitens den der Proconsul ale. Drittens den der
sofortigen Einfügung in den preußischen Staat.

Bei der Personalunion wurde König Wilhelm: Herr von Frankfurt.
Herzog von Nassau und Von Schleswig-Holstein, Kurfürst von Hessen und König


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[0238] Vier Briefe eines Süddeutschen an den Versasser der „Vier Fragen eines Ostpreußen". Vierter Brief. Sie sagen, meine Geschichte aus Hohenzollern sei recht schön, aber sie weide entkräftet und widerlegt durch die Thatsachen, daß seit der Annectirung die anti¬ preußische Stimmung in Frankfurt noch antipreußischer, in Schleswig-Holstein wenigstens nicht preußischer geworden sei, und daß die Sympathien für Preußen in Kurhessen und Nassau, welche früher die Einverleibung provocirten, bedeutend abgekühlt und in Hannover, trotz aller Maßregeln, nicht wärmer geworden sind. Alle diese Thatsachen sind — ich muß es mit Bedauern zugestehen — nur zu wahr. Aber was sind die Gründe dieser Erscheinung? Die Dynastie, das Heer, die Finanzen in Preußen sind in der That und Wahrheit auch die Dynastie, das Heer, die Finanzen eines Großstaats. Auch die Hauptstadt und die Be¬ völkerungsziffer vermögen, wenigstens seit neuester Zeit, den Ansprüchen eines Großstaats zur Noth zu genügen. Von der innern Verwaltung aber und von dem, was die neuen Provinzen gegenwärtig zu schmecken bekommen, vermag ich ein G!einsah nicht zu behaupten. Namentlich aber ein großer Theil der Bureaukratie steckt noch tief in den Kin¬ derschuhen des Kleinstaates, jenes Kleinstaates, der, weil er keine große Politik treiben kann und darf, aber doch seinem Thätigkeitstriebe Genüge leisten will, sich mit desto größerem Eifer aus die kleine Politik wirft, die Gebiete der bür¬ gerlichen und wirtschaftlichen Gesellschaft, der Gemeinde und des Kreises, der Schule und der Kirche usurpirt. alles reglementiren, uniformiren, nivelliren will, und der, weil er kein Maler ist, sich der Schablone des Wcißbindcrs bedient, um sagen zu können: „^nelr' lo solio xittoro!" Diesem Ucberresi kleinstaatlicher Nivellirungö-Reglcmentirungstendcnzen, die einer sich „konservativ" nennenden Negierung den Anstrich von Nadicalism giebt, hat leider der Landtag einen großen Vorschub geleistet, indem er für die neuen Provinzen bis zum 1. October 1867 jene Einrichtung einführte, welche man die „Königliche Dictatur" nennt, die aber einen so wohlklingenden Namen nicht verdient, sondern besser als die „Omnipotenz der Decernenten und der Geheim' rathe" bezeichnet würde. Gestatten Sie mir eine nähere Erläuterung: Man hatte bei der Einverleibung drei Wege vor sich: Erstens den der Personalunion. Zweitens den der Proconsul ale. Drittens den der sofortigen Einfügung in den preußischen Staat. Bei der Personalunion wurde König Wilhelm: Herr von Frankfurt. Herzog von Nassau und Von Schleswig-Holstein, Kurfürst von Hessen und König

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/238>, abgerufen am 15.01.2025.