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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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jetzt der Begriff der christlichen Tradition ausgebildet, welche die festen Normen
enthielt für das, was echt, apostolisch und kirchlich sein sollte. In demselben
Interesse erhoben sich jetzt die Bischöfe über die mit ihnen ursprünglich identi¬
schen Presbyter; denn wer anders konnte wahrer Träger der Tradition sein,
als die Bischöfe, die ebenso die Wahrheit aus der Hand der Apostel erhielten,
wie die Apostel sie unmittelbar vom Herrn erhielten? Und in demselben Inter¬
esse endlich erhob sich über jede andere Automat die der Nachfolger des Apostel-
fürsten, der schon in den ersten Streitigkeiten der Gemeinde recht eigentlich das
Princip des unmittelbaren äußeren Zusammenhanges mit Jesus vertreten hatte
gegenüber dem Eindringling, der sich nur auf den geistigen Zusammenhang
mit Jesus berufen konnte. Indem die katholische Kirche auf jenen Namen sich
gründete, war ihr für alle Zeiten ihr Stempel aufgedrückt, und eine paulinische
That war es, als die Reformatoren der Herrschaft der äußeren Tradition den
Krieg erklärten, um für die Kirche wieder den geistigen Zusammenhang mit
dem Werke Jesu zu finden.




Es sind noch Jahrhunderte darüber hingegangen, bis die Idee des Epis-
copats nach allen Seiten ihre Verwirklichung fand. Aber die Keime der In¬
stitution des Papstthums sind schon in jener Zeit vorhanden, bis zu welcher
wir die Geschichte der Petrussagcn verfolgen mußten. Nicht auf diesen Sagen
beruhen die späteren enormen Ansprüche der römischen Kirche, sondern jene
erhalten selbst erst ihre letzte Gestalt unter dem treibenden Einfluß dieser Idee.
Sie sind weder absichtlos entstanden, und dann die Ursache dieser Ansprüche
geworden, noch sind sie nachträglich erst erfunden, damit Rom seine Ansprüche
darauf stütze. Vielmehr hat sich beides mit und aneinander entwickelt: der
Primat des Petrus in der christlichen Sage, und der Primat des Petrus in
der christlichen Kirche. Mit Recht ist gesagt worden: "die Motive der Sage
sind durchweg interessanter, als die Sage selbst."*) Die Motive eben legen es
überzeugend dar, daß die Sage, obwohl ihre einzelnen Züge durchweg erfunden
sind, dennoch mit den bildenden Mächten der Geschichte im engsten Zusammen¬
hang steht: sie ist nur der mythische Ausdruck derselben geschichtlichen Ver¬
hältnisse, welche Rom zum Miticlpunkt der katholischen Welt gemacht habe".


W. Lang.



-) Holjzmcmn in dem eben erschienenen vortrefflichen Werk: Geschichte des Volkes ^raer
und der Entstehung d,s Christenthums von or. Georg Weber und Dr. Heinr. Holtzmann.
2 Bde. Leipzig, 1867,
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jetzt der Begriff der christlichen Tradition ausgebildet, welche die festen Normen
enthielt für das, was echt, apostolisch und kirchlich sein sollte. In demselben
Interesse erhoben sich jetzt die Bischöfe über die mit ihnen ursprünglich identi¬
schen Presbyter; denn wer anders konnte wahrer Träger der Tradition sein,
als die Bischöfe, die ebenso die Wahrheit aus der Hand der Apostel erhielten,
wie die Apostel sie unmittelbar vom Herrn erhielten? Und in demselben Inter¬
esse endlich erhob sich über jede andere Automat die der Nachfolger des Apostel-
fürsten, der schon in den ersten Streitigkeiten der Gemeinde recht eigentlich das
Princip des unmittelbaren äußeren Zusammenhanges mit Jesus vertreten hatte
gegenüber dem Eindringling, der sich nur auf den geistigen Zusammenhang
mit Jesus berufen konnte. Indem die katholische Kirche auf jenen Namen sich
gründete, war ihr für alle Zeiten ihr Stempel aufgedrückt, und eine paulinische
That war es, als die Reformatoren der Herrschaft der äußeren Tradition den
Krieg erklärten, um für die Kirche wieder den geistigen Zusammenhang mit
dem Werke Jesu zu finden.




Es sind noch Jahrhunderte darüber hingegangen, bis die Idee des Epis-
copats nach allen Seiten ihre Verwirklichung fand. Aber die Keime der In¬
stitution des Papstthums sind schon in jener Zeit vorhanden, bis zu welcher
wir die Geschichte der Petrussagcn verfolgen mußten. Nicht auf diesen Sagen
beruhen die späteren enormen Ansprüche der römischen Kirche, sondern jene
erhalten selbst erst ihre letzte Gestalt unter dem treibenden Einfluß dieser Idee.
Sie sind weder absichtlos entstanden, und dann die Ursache dieser Ansprüche
geworden, noch sind sie nachträglich erst erfunden, damit Rom seine Ansprüche
darauf stütze. Vielmehr hat sich beides mit und aneinander entwickelt: der
Primat des Petrus in der christlichen Sage, und der Primat des Petrus in
der christlichen Kirche. Mit Recht ist gesagt worden: „die Motive der Sage
sind durchweg interessanter, als die Sage selbst."*) Die Motive eben legen es
überzeugend dar, daß die Sage, obwohl ihre einzelnen Züge durchweg erfunden
sind, dennoch mit den bildenden Mächten der Geschichte im engsten Zusammen¬
hang steht: sie ist nur der mythische Ausdruck derselben geschichtlichen Ver¬
hältnisse, welche Rom zum Miticlpunkt der katholischen Welt gemacht habe».


W. Lang.



-) Holjzmcmn in dem eben erschienenen vortrefflichen Werk: Geschichte des Volkes ^raer
und der Entstehung d,s Christenthums von or. Georg Weber und Dr. Heinr. Holtzmann.
2 Bde. Leipzig, 1867,
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[0237] jetzt der Begriff der christlichen Tradition ausgebildet, welche die festen Normen enthielt für das, was echt, apostolisch und kirchlich sein sollte. In demselben Interesse erhoben sich jetzt die Bischöfe über die mit ihnen ursprünglich identi¬ schen Presbyter; denn wer anders konnte wahrer Träger der Tradition sein, als die Bischöfe, die ebenso die Wahrheit aus der Hand der Apostel erhielten, wie die Apostel sie unmittelbar vom Herrn erhielten? Und in demselben Inter¬ esse endlich erhob sich über jede andere Automat die der Nachfolger des Apostel- fürsten, der schon in den ersten Streitigkeiten der Gemeinde recht eigentlich das Princip des unmittelbaren äußeren Zusammenhanges mit Jesus vertreten hatte gegenüber dem Eindringling, der sich nur auf den geistigen Zusammenhang mit Jesus berufen konnte. Indem die katholische Kirche auf jenen Namen sich gründete, war ihr für alle Zeiten ihr Stempel aufgedrückt, und eine paulinische That war es, als die Reformatoren der Herrschaft der äußeren Tradition den Krieg erklärten, um für die Kirche wieder den geistigen Zusammenhang mit dem Werke Jesu zu finden. Es sind noch Jahrhunderte darüber hingegangen, bis die Idee des Epis- copats nach allen Seiten ihre Verwirklichung fand. Aber die Keime der In¬ stitution des Papstthums sind schon in jener Zeit vorhanden, bis zu welcher wir die Geschichte der Petrussagcn verfolgen mußten. Nicht auf diesen Sagen beruhen die späteren enormen Ansprüche der römischen Kirche, sondern jene erhalten selbst erst ihre letzte Gestalt unter dem treibenden Einfluß dieser Idee. Sie sind weder absichtlos entstanden, und dann die Ursache dieser Ansprüche geworden, noch sind sie nachträglich erst erfunden, damit Rom seine Ansprüche darauf stütze. Vielmehr hat sich beides mit und aneinander entwickelt: der Primat des Petrus in der christlichen Sage, und der Primat des Petrus in der christlichen Kirche. Mit Recht ist gesagt worden: „die Motive der Sage sind durchweg interessanter, als die Sage selbst."*) Die Motive eben legen es überzeugend dar, daß die Sage, obwohl ihre einzelnen Züge durchweg erfunden sind, dennoch mit den bildenden Mächten der Geschichte im engsten Zusammen¬ hang steht: sie ist nur der mythische Ausdruck derselben geschichtlichen Ver¬ hältnisse, welche Rom zum Miticlpunkt der katholischen Welt gemacht habe». W. Lang. -) Holjzmcmn in dem eben erschienenen vortrefflichen Werk: Geschichte des Volkes ^raer und der Entstehung d,s Christenthums von or. Georg Weber und Dr. Heinr. Holtzmann. 2 Bde. Leipzig, 1867, 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/237>, abgerufen am 15.01.2025.