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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Von Hannover. Diese verschiedenen Territorien hatten telum zwar ein gemein¬
sames Staatsoberhaupt, aber getrennte Gebiete. Sie behielten ihre bisherige
Verfassung und Gesetzgebung und ihre bisherige Volksvertretung. Die Sünd-
fluth von Verordnungen, mit welchen uns der Staatsanzeiger während der letzten
drei Wochen beglückt hat -- er spie täglich, ein doppelt geöffnetes Haus, wenigstens
zwei Leoparden auf einmal aus --, wäre dann nicht möglich gewesen. Die
Stände würden ohne Zweifel in Bezug auf Heer- und Finanzverfassung uns
mit den übrigen Preußen auf einen Fuß gesetzt, im Uebngcn aber ihre Mit¬
wirkung bei der Gesetzgebung gewahrt und das Gebiet der wirthschaftlichen und
bürgerlichen Gesellschaft gegen llcbergriffe einzelner Organe der Staatsgewalt
vertheidigt haben. Die Regierung wollte bekanntlich den Weg der Personal¬
union betreten. Allein die zweite Kammer verwarf ihn, weil sie aus Anlaß
der lauenburgschcn Affaire eine Idiosynkrasie 'gegen die Personalunion hatte.
Sie machte es, wie ein ungeübter Fechter. Sie parirte den Hieb, welcher be¬
reits saß, statt dessen, der auf dem Wege war zu kommen.

Die Form der Proconsulate ist die, welcher sich die alten Römer beim
Anncctiren bedienten; und diese Herren verstanden das Geschäft, und zwar beide
Branchen desselben, nämlich die Branche des Schwerts und die der Verwaltung --
die der Eroberung durch das Schwert grade so gut, wie das moderne Preußen,
die der Assimilirung durch die Verwaltung viel besser. Die Proconsulate sind
ein Mittelding zwischen Personalunion und sofortiger Einverleibung. Diese
Form ist auch schon bei uns in einer großen Zeit mit Glück und Geschick angewandt
worden, nämlich in der Zeit von 1814 bis 1817, wo auf Anordnung des großen
Freiherrn Karl vom Stein die Herren Justus von Grüner und von Sack die
von Frankreich zurückeroberten Territorien auf dem linken Rheinufer als Pro-
consuln verwalteten zur größten Befriedigung der zurückgewonnenen deutschen
Bevölkerung. Der vormalige donner Univeisitätscurator Philipp Joseph
Von Nehsues arbeitete damals dort unter Herrn von Sack. Er hat in spä¬
tern Jahren die Art seiner Wirksamkeit unter dem Titel "Ueber Proconsulate
der neuern Zeit" beschrieben; und seine Neunten haben das hinterlassene Werkchen
1846 (Stuttgart, Cafe) herausgegeben. Daß ein Mann, wie Graf Bismarck,
keine Zeit zum Lesen hat, finden wir begreiflich. Allein die Herren von Schecl-
Plessen, von Hcudcnbcrg, von Diest. von Madai u. f. w. hätten doch wohl
Zeit gehabt; und geschadet hätte diese Lectüre ihrer amtlichen Wirksamkeit ge¬
wiß nicht.

Hätte man die Uebergangsform der Proconsulate gewählt, so wären die
neuerwvrbenenen Länder nicht sofort den verschiedenen Ministern, Untcrstaats-
secretären. Abtheilungsdirectorcn, Wirklichen Geheimräthen, Geheimen Obcrregie-
rungsräthen, Geheimregierungsräthen, Rcgierungsräthen, Decernenten, vortragen¬
den Räthen, Hilfsarbeitern, temporären Hilfsarbeitern, Kanzlei-, Nechnungs- und


Von Hannover. Diese verschiedenen Territorien hatten telum zwar ein gemein¬
sames Staatsoberhaupt, aber getrennte Gebiete. Sie behielten ihre bisherige
Verfassung und Gesetzgebung und ihre bisherige Volksvertretung. Die Sünd-
fluth von Verordnungen, mit welchen uns der Staatsanzeiger während der letzten
drei Wochen beglückt hat — er spie täglich, ein doppelt geöffnetes Haus, wenigstens
zwei Leoparden auf einmal aus —, wäre dann nicht möglich gewesen. Die
Stände würden ohne Zweifel in Bezug auf Heer- und Finanzverfassung uns
mit den übrigen Preußen auf einen Fuß gesetzt, im Uebngcn aber ihre Mit¬
wirkung bei der Gesetzgebung gewahrt und das Gebiet der wirthschaftlichen und
bürgerlichen Gesellschaft gegen llcbergriffe einzelner Organe der Staatsgewalt
vertheidigt haben. Die Regierung wollte bekanntlich den Weg der Personal¬
union betreten. Allein die zweite Kammer verwarf ihn, weil sie aus Anlaß
der lauenburgschcn Affaire eine Idiosynkrasie 'gegen die Personalunion hatte.
Sie machte es, wie ein ungeübter Fechter. Sie parirte den Hieb, welcher be¬
reits saß, statt dessen, der auf dem Wege war zu kommen.

Die Form der Proconsulate ist die, welcher sich die alten Römer beim
Anncctiren bedienten; und diese Herren verstanden das Geschäft, und zwar beide
Branchen desselben, nämlich die Branche des Schwerts und die der Verwaltung —
die der Eroberung durch das Schwert grade so gut, wie das moderne Preußen,
die der Assimilirung durch die Verwaltung viel besser. Die Proconsulate sind
ein Mittelding zwischen Personalunion und sofortiger Einverleibung. Diese
Form ist auch schon bei uns in einer großen Zeit mit Glück und Geschick angewandt
worden, nämlich in der Zeit von 1814 bis 1817, wo auf Anordnung des großen
Freiherrn Karl vom Stein die Herren Justus von Grüner und von Sack die
von Frankreich zurückeroberten Territorien auf dem linken Rheinufer als Pro-
consuln verwalteten zur größten Befriedigung der zurückgewonnenen deutschen
Bevölkerung. Der vormalige donner Univeisitätscurator Philipp Joseph
Von Nehsues arbeitete damals dort unter Herrn von Sack. Er hat in spä¬
tern Jahren die Art seiner Wirksamkeit unter dem Titel „Ueber Proconsulate
der neuern Zeit" beschrieben; und seine Neunten haben das hinterlassene Werkchen
1846 (Stuttgart, Cafe) herausgegeben. Daß ein Mann, wie Graf Bismarck,
keine Zeit zum Lesen hat, finden wir begreiflich. Allein die Herren von Schecl-
Plessen, von Hcudcnbcrg, von Diest. von Madai u. f. w. hätten doch wohl
Zeit gehabt; und geschadet hätte diese Lectüre ihrer amtlichen Wirksamkeit ge¬
wiß nicht.

Hätte man die Uebergangsform der Proconsulate gewählt, so wären die
neuerwvrbenenen Länder nicht sofort den verschiedenen Ministern, Untcrstaats-
secretären. Abtheilungsdirectorcn, Wirklichen Geheimräthen, Geheimen Obcrregie-
rungsräthen, Geheimregierungsräthen, Rcgierungsräthen, Decernenten, vortragen¬
den Räthen, Hilfsarbeitern, temporären Hilfsarbeitern, Kanzlei-, Nechnungs- und


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[0239] Von Hannover. Diese verschiedenen Territorien hatten telum zwar ein gemein¬ sames Staatsoberhaupt, aber getrennte Gebiete. Sie behielten ihre bisherige Verfassung und Gesetzgebung und ihre bisherige Volksvertretung. Die Sünd- fluth von Verordnungen, mit welchen uns der Staatsanzeiger während der letzten drei Wochen beglückt hat — er spie täglich, ein doppelt geöffnetes Haus, wenigstens zwei Leoparden auf einmal aus —, wäre dann nicht möglich gewesen. Die Stände würden ohne Zweifel in Bezug auf Heer- und Finanzverfassung uns mit den übrigen Preußen auf einen Fuß gesetzt, im Uebngcn aber ihre Mit¬ wirkung bei der Gesetzgebung gewahrt und das Gebiet der wirthschaftlichen und bürgerlichen Gesellschaft gegen llcbergriffe einzelner Organe der Staatsgewalt vertheidigt haben. Die Regierung wollte bekanntlich den Weg der Personal¬ union betreten. Allein die zweite Kammer verwarf ihn, weil sie aus Anlaß der lauenburgschcn Affaire eine Idiosynkrasie 'gegen die Personalunion hatte. Sie machte es, wie ein ungeübter Fechter. Sie parirte den Hieb, welcher be¬ reits saß, statt dessen, der auf dem Wege war zu kommen. Die Form der Proconsulate ist die, welcher sich die alten Römer beim Anncctiren bedienten; und diese Herren verstanden das Geschäft, und zwar beide Branchen desselben, nämlich die Branche des Schwerts und die der Verwaltung — die der Eroberung durch das Schwert grade so gut, wie das moderne Preußen, die der Assimilirung durch die Verwaltung viel besser. Die Proconsulate sind ein Mittelding zwischen Personalunion und sofortiger Einverleibung. Diese Form ist auch schon bei uns in einer großen Zeit mit Glück und Geschick angewandt worden, nämlich in der Zeit von 1814 bis 1817, wo auf Anordnung des großen Freiherrn Karl vom Stein die Herren Justus von Grüner und von Sack die von Frankreich zurückeroberten Territorien auf dem linken Rheinufer als Pro- consuln verwalteten zur größten Befriedigung der zurückgewonnenen deutschen Bevölkerung. Der vormalige donner Univeisitätscurator Philipp Joseph Von Nehsues arbeitete damals dort unter Herrn von Sack. Er hat in spä¬ tern Jahren die Art seiner Wirksamkeit unter dem Titel „Ueber Proconsulate der neuern Zeit" beschrieben; und seine Neunten haben das hinterlassene Werkchen 1846 (Stuttgart, Cafe) herausgegeben. Daß ein Mann, wie Graf Bismarck, keine Zeit zum Lesen hat, finden wir begreiflich. Allein die Herren von Schecl- Plessen, von Hcudcnbcrg, von Diest. von Madai u. f. w. hätten doch wohl Zeit gehabt; und geschadet hätte diese Lectüre ihrer amtlichen Wirksamkeit ge¬ wiß nicht. Hätte man die Uebergangsform der Proconsulate gewählt, so wären die neuerwvrbenenen Länder nicht sofort den verschiedenen Ministern, Untcrstaats- secretären. Abtheilungsdirectorcn, Wirklichen Geheimräthen, Geheimen Obcrregie- rungsräthen, Geheimregierungsräthen, Rcgierungsräthen, Decernenten, vortragen¬ den Räthen, Hilfsarbeitern, temporären Hilfsarbeitern, Kanzlei-, Nechnungs- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/239>, abgerufen am 15.01.2025.