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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Briefe aus Wien.

Das kaiserliche Patent, welches eine außerordentliche Neichsrathsversamm-
lung zum 25. Februar nach Wien beruft, motivirt die Dringlichkeit dadurch,
daß die Zeitverhältnisse in kürzester Zeit einen Abschluß der Verfassungsfrage
nothwendig erscheinen lassen. Diese Motivirung erinnert sehr an frühere Pa¬
tente, in denen befunden wurde, daß ein Wegfall des jährlichen Deficits noth¬
wendig sei. Wenn nur das für uns Nothwendige sich dxrch Decrete und con-
stituirende Versammlungen schaffen ließe!

Das neue Patent wird, das ist zu befürchten ^ eins der zahlreichen ver¬
geblichen Experimente sein, welche bei uns kaum noch Hoffnungen erregen. Es
war wahrscheinlich eine Absicht, durch dasselbe dem norddeutschen Reichstage,
der fast in denselben Tagen zusammentreten soll, ein Paroli zu biegen. Dies
Jahr wird stark an Parlamentsreden und Verfassungskämpsen sein. Aber ihre
Aufgabe ist in Oestreich und in Norddeutschland sehr verschieden. Bei Ihnen
trotz allem Eigensinn einzelner Landschaften eine frische aufsteigende Kraft; auch
unter denen, welche ihre eigenen Regierungen haben, ein feuriges Gefühl der
Zusammengehörigkeit, bei uns unter einer einheitlichen Regierung allgemein ein
Gefühl der Kraftlosigkeit, im letzten Grunde selbst bei den rennenden Ungarn,
und daneben fast überall das Bestreben sich abzusondern und von einander zu
trennen.

Man hat bei Ihnen doch keine Ahnung von den tief schmerzlichen Ge¬
fühlen, mit denen die gebildeten Deutschöstreicher ihre politische Trennung von
den Landsleuten betrachten. Unser Geist und Gemüth ist durch tausend Fäden
an Deutschland gebunden und man möchte manchmal laut aufschreien über das
Verhängnis), welches uns das Vertrauen auf die Zusammengehörigkeit ver¬
ringert hat.

Die deutsche Presse Oestreichs giebt von diesem bittern Schmerz gar keine
Vorstellung, die großen Zeitungen sind Spcculationsunternehmungen, unter den
Mitarbeitern sind einzelne sehr ehrenwerthe Männer, aber sehr viele charakter¬
lose und unsichere Gesellen, auch ist unsere Presse viel unfreier und viel ab¬
hängiger von der Regierung, als man nach außen gestehn will, und nur wenige
unserer Journalisten sind im Stande, die deutschen Verhältnisse unbefangen zu
würdigen.

Aber sehr traurig ist die Stimmung und das Schicksal den Tausende ge¬
bildeter Familien, welche gewöhnt sind, Bildung und geistige Nahrung aus
Deutschland zu holen und jetzt eine Jsoluung empfinden, welche sie täglich be-


Briefe aus Wien.

Das kaiserliche Patent, welches eine außerordentliche Neichsrathsversamm-
lung zum 25. Februar nach Wien beruft, motivirt die Dringlichkeit dadurch,
daß die Zeitverhältnisse in kürzester Zeit einen Abschluß der Verfassungsfrage
nothwendig erscheinen lassen. Diese Motivirung erinnert sehr an frühere Pa¬
tente, in denen befunden wurde, daß ein Wegfall des jährlichen Deficits noth¬
wendig sei. Wenn nur das für uns Nothwendige sich dxrch Decrete und con-
stituirende Versammlungen schaffen ließe!

Das neue Patent wird, das ist zu befürchten ^ eins der zahlreichen ver¬
geblichen Experimente sein, welche bei uns kaum noch Hoffnungen erregen. Es
war wahrscheinlich eine Absicht, durch dasselbe dem norddeutschen Reichstage,
der fast in denselben Tagen zusammentreten soll, ein Paroli zu biegen. Dies
Jahr wird stark an Parlamentsreden und Verfassungskämpsen sein. Aber ihre
Aufgabe ist in Oestreich und in Norddeutschland sehr verschieden. Bei Ihnen
trotz allem Eigensinn einzelner Landschaften eine frische aufsteigende Kraft; auch
unter denen, welche ihre eigenen Regierungen haben, ein feuriges Gefühl der
Zusammengehörigkeit, bei uns unter einer einheitlichen Regierung allgemein ein
Gefühl der Kraftlosigkeit, im letzten Grunde selbst bei den rennenden Ungarn,
und daneben fast überall das Bestreben sich abzusondern und von einander zu
trennen.

Man hat bei Ihnen doch keine Ahnung von den tief schmerzlichen Ge¬
fühlen, mit denen die gebildeten Deutschöstreicher ihre politische Trennung von
den Landsleuten betrachten. Unser Geist und Gemüth ist durch tausend Fäden
an Deutschland gebunden und man möchte manchmal laut aufschreien über das
Verhängnis), welches uns das Vertrauen auf die Zusammengehörigkeit ver¬
ringert hat.

Die deutsche Presse Oestreichs giebt von diesem bittern Schmerz gar keine
Vorstellung, die großen Zeitungen sind Spcculationsunternehmungen, unter den
Mitarbeitern sind einzelne sehr ehrenwerthe Männer, aber sehr viele charakter¬
lose und unsichere Gesellen, auch ist unsere Presse viel unfreier und viel ab¬
hängiger von der Regierung, als man nach außen gestehn will, und nur wenige
unserer Journalisten sind im Stande, die deutschen Verhältnisse unbefangen zu
würdigen.

Aber sehr traurig ist die Stimmung und das Schicksal den Tausende ge¬
bildeter Familien, welche gewöhnt sind, Bildung und geistige Nahrung aus
Deutschland zu holen und jetzt eine Jsoluung empfinden, welche sie täglich be-


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[0087] Briefe aus Wien. Das kaiserliche Patent, welches eine außerordentliche Neichsrathsversamm- lung zum 25. Februar nach Wien beruft, motivirt die Dringlichkeit dadurch, daß die Zeitverhältnisse in kürzester Zeit einen Abschluß der Verfassungsfrage nothwendig erscheinen lassen. Diese Motivirung erinnert sehr an frühere Pa¬ tente, in denen befunden wurde, daß ein Wegfall des jährlichen Deficits noth¬ wendig sei. Wenn nur das für uns Nothwendige sich dxrch Decrete und con- stituirende Versammlungen schaffen ließe! Das neue Patent wird, das ist zu befürchten ^ eins der zahlreichen ver¬ geblichen Experimente sein, welche bei uns kaum noch Hoffnungen erregen. Es war wahrscheinlich eine Absicht, durch dasselbe dem norddeutschen Reichstage, der fast in denselben Tagen zusammentreten soll, ein Paroli zu biegen. Dies Jahr wird stark an Parlamentsreden und Verfassungskämpsen sein. Aber ihre Aufgabe ist in Oestreich und in Norddeutschland sehr verschieden. Bei Ihnen trotz allem Eigensinn einzelner Landschaften eine frische aufsteigende Kraft; auch unter denen, welche ihre eigenen Regierungen haben, ein feuriges Gefühl der Zusammengehörigkeit, bei uns unter einer einheitlichen Regierung allgemein ein Gefühl der Kraftlosigkeit, im letzten Grunde selbst bei den rennenden Ungarn, und daneben fast überall das Bestreben sich abzusondern und von einander zu trennen. Man hat bei Ihnen doch keine Ahnung von den tief schmerzlichen Ge¬ fühlen, mit denen die gebildeten Deutschöstreicher ihre politische Trennung von den Landsleuten betrachten. Unser Geist und Gemüth ist durch tausend Fäden an Deutschland gebunden und man möchte manchmal laut aufschreien über das Verhängnis), welches uns das Vertrauen auf die Zusammengehörigkeit ver¬ ringert hat. Die deutsche Presse Oestreichs giebt von diesem bittern Schmerz gar keine Vorstellung, die großen Zeitungen sind Spcculationsunternehmungen, unter den Mitarbeitern sind einzelne sehr ehrenwerthe Männer, aber sehr viele charakter¬ lose und unsichere Gesellen, auch ist unsere Presse viel unfreier und viel ab¬ hängiger von der Regierung, als man nach außen gestehn will, und nur wenige unserer Journalisten sind im Stande, die deutschen Verhältnisse unbefangen zu würdigen. Aber sehr traurig ist die Stimmung und das Schicksal den Tausende ge¬ bildeter Familien, welche gewöhnt sind, Bildung und geistige Nahrung aus Deutschland zu holen und jetzt eine Jsoluung empfinden, welche sie täglich be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/87>, abgerufen am 27.06.2024.