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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Muster klemswatlicher Verkehrspolitik.

Mitten durch das ehemalige Herzogthum Nassau fließt ein Fluß, die Lahn,
reich an landschaftlicher Uferscböndeit, auch reich an Kräften, die sich der Mensch
nutzbar zu machen weiß. Bon seinem Eintritt in die Grenzen des unter¬
gegangenen Staates unweit Wetzlar fließt er im Ganzen westlich und in einem
meist engen Thal bis zu seiner Mündung in den Rhein bei Oberlahnstein. Schön
bewaldete Bergwände, oft steile Felsen des Schiefer" und Kalkgebirges blicken
in seine Gewässer, nur selten erweitert sich das Thal so, daß Fruchtfelder und
Wiesen zwischen den Höhen und Ufern Platz finden. Rasch eilen die Wellen
durch das enge Bett "der strömen über ausgebreitetes Gerölle in kleinen Strom-
schnellen. In der trocknen Jahreszeit fast überall seicht und klein, schwillt das
Flüßchen im Winter bei Abgang des Schnees oder bei lang anhaltendem Regen
gewaltig an und erprobt eine unbändig scheinende Kraft. Aber die Menschen
haben ihn doch zu ihrem Dienst gezwungen, Schiffe fahren auf dem Flusse, das
angestaute Wasser treibt Mühlen und gewaltige Werke. Die Schiffahrt war
lange äußerst beschränkt, reiche Erze lagen längs der Ufer und keine Straße
führte daran vorbei, man versuchte wohl oder übel die Schiffahrt. Kleine Sckiffs-
gefäße, Nachen, höchstens 4--500 Centner tragend, fuhren so lange das Wasser
es erlaubte Eisenstein, auch Mineralwasser zu Thal und wurden leer heraus¬
gezogen durch sogenannte Halfterpferde. Bei kleinem Wasser mußte oft die
Schiffsmannschaft im Flußbett stehend das Schiffchen schieben und heben; die
natürlichen Stromschnellen zu Wehren erhöht, um das Wasser zu einer Mühle
oder einem Hüttenwerke zu stauen, bedingten ein Umladen oder ein gefährliches
Herabgleiten über das Gestein an einer dazu ausgebrochenen Stelle in der
Krone des Wehrs. Monate lang war manchmal gar keine Schiffahrt möglich
und Hochöfen, die ihre Eisensteine von der oberen Lahn bezogen, mußten aus¬
blasen, weil ihre Vorräthe zur Neige gingen, ehe die Schleusen des Himmels
ihre Transportflotte wieder schwimmen machten.

Das Herzogthum Nassau war aber nach einem Ausspruche des Staats-


Gttttzblitcn I. 18"7, 52
Muster klemswatlicher Verkehrspolitik.

Mitten durch das ehemalige Herzogthum Nassau fließt ein Fluß, die Lahn,
reich an landschaftlicher Uferscböndeit, auch reich an Kräften, die sich der Mensch
nutzbar zu machen weiß. Bon seinem Eintritt in die Grenzen des unter¬
gegangenen Staates unweit Wetzlar fließt er im Ganzen westlich und in einem
meist engen Thal bis zu seiner Mündung in den Rhein bei Oberlahnstein. Schön
bewaldete Bergwände, oft steile Felsen des Schiefer« und Kalkgebirges blicken
in seine Gewässer, nur selten erweitert sich das Thal so, daß Fruchtfelder und
Wiesen zwischen den Höhen und Ufern Platz finden. Rasch eilen die Wellen
durch das enge Bett »der strömen über ausgebreitetes Gerölle in kleinen Strom-
schnellen. In der trocknen Jahreszeit fast überall seicht und klein, schwillt das
Flüßchen im Winter bei Abgang des Schnees oder bei lang anhaltendem Regen
gewaltig an und erprobt eine unbändig scheinende Kraft. Aber die Menschen
haben ihn doch zu ihrem Dienst gezwungen, Schiffe fahren auf dem Flusse, das
angestaute Wasser treibt Mühlen und gewaltige Werke. Die Schiffahrt war
lange äußerst beschränkt, reiche Erze lagen längs der Ufer und keine Straße
führte daran vorbei, man versuchte wohl oder übel die Schiffahrt. Kleine Sckiffs-
gefäße, Nachen, höchstens 4—500 Centner tragend, fuhren so lange das Wasser
es erlaubte Eisenstein, auch Mineralwasser zu Thal und wurden leer heraus¬
gezogen durch sogenannte Halfterpferde. Bei kleinem Wasser mußte oft die
Schiffsmannschaft im Flußbett stehend das Schiffchen schieben und heben; die
natürlichen Stromschnellen zu Wehren erhöht, um das Wasser zu einer Mühle
oder einem Hüttenwerke zu stauen, bedingten ein Umladen oder ein gefährliches
Herabgleiten über das Gestein an einer dazu ausgebrochenen Stelle in der
Krone des Wehrs. Monate lang war manchmal gar keine Schiffahrt möglich
und Hochöfen, die ihre Eisensteine von der oberen Lahn bezogen, mußten aus¬
blasen, weil ihre Vorräthe zur Neige gingen, ehe die Schleusen des Himmels
ihre Transportflotte wieder schwimmen machten.

Das Herzogthum Nassau war aber nach einem Ausspruche des Staats-


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[0415] Muster klemswatlicher Verkehrspolitik. Mitten durch das ehemalige Herzogthum Nassau fließt ein Fluß, die Lahn, reich an landschaftlicher Uferscböndeit, auch reich an Kräften, die sich der Mensch nutzbar zu machen weiß. Bon seinem Eintritt in die Grenzen des unter¬ gegangenen Staates unweit Wetzlar fließt er im Ganzen westlich und in einem meist engen Thal bis zu seiner Mündung in den Rhein bei Oberlahnstein. Schön bewaldete Bergwände, oft steile Felsen des Schiefer« und Kalkgebirges blicken in seine Gewässer, nur selten erweitert sich das Thal so, daß Fruchtfelder und Wiesen zwischen den Höhen und Ufern Platz finden. Rasch eilen die Wellen durch das enge Bett »der strömen über ausgebreitetes Gerölle in kleinen Strom- schnellen. In der trocknen Jahreszeit fast überall seicht und klein, schwillt das Flüßchen im Winter bei Abgang des Schnees oder bei lang anhaltendem Regen gewaltig an und erprobt eine unbändig scheinende Kraft. Aber die Menschen haben ihn doch zu ihrem Dienst gezwungen, Schiffe fahren auf dem Flusse, das angestaute Wasser treibt Mühlen und gewaltige Werke. Die Schiffahrt war lange äußerst beschränkt, reiche Erze lagen längs der Ufer und keine Straße führte daran vorbei, man versuchte wohl oder übel die Schiffahrt. Kleine Sckiffs- gefäße, Nachen, höchstens 4—500 Centner tragend, fuhren so lange das Wasser es erlaubte Eisenstein, auch Mineralwasser zu Thal und wurden leer heraus¬ gezogen durch sogenannte Halfterpferde. Bei kleinem Wasser mußte oft die Schiffsmannschaft im Flußbett stehend das Schiffchen schieben und heben; die natürlichen Stromschnellen zu Wehren erhöht, um das Wasser zu einer Mühle oder einem Hüttenwerke zu stauen, bedingten ein Umladen oder ein gefährliches Herabgleiten über das Gestein an einer dazu ausgebrochenen Stelle in der Krone des Wehrs. Monate lang war manchmal gar keine Schiffahrt möglich und Hochöfen, die ihre Eisensteine von der oberen Lahn bezogen, mußten aus¬ blasen, weil ihre Vorräthe zur Neige gingen, ehe die Schleusen des Himmels ihre Transportflotte wieder schwimmen machten. Das Herzogthum Nassau war aber nach einem Ausspruche des Staats- Gttttzblitcn I. 18»7, 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/415>, abgerufen am 27.06.2024.