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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Der Nlttiomlitiitenklnnps in Galizien.
(Schluß zu Heft 7.)

Der Kampf, welchen Polen und Russen in Galizien, Lithauen, Weißru߬
land und anderen ehemaligen Provinzen der polnischen Republik ausfechten,
wird ebenso mit den Waffen der äußeren Gewalt, wie mit denen des Geistes
geführt. Charakteristisch genug für die Macht, welche die modernen Ideen auch
in Nußland gewonnen haben, ist es, daß grade die Russen zu wiederholen nicht
müde werden, es handele sich bei ihrer Auseinandersetzung mit den Enkeln
Lechs in erster Reihe um die Anerkennung und den Sieg eines großen Principes,
um die Durchführung der demokratischen Idee und deren historisches Herrscher¬
recht in allen slawischen Ländern. Der Berkennung dieses Rechts, dem Abfall
von den nationalen Traditionen und der Hinneigung zu westeuropäisch aristo¬
kratischen Formen sei es zuzuschreiben. daß die Polen ihre selbständige Existenz
verwirkt hätten, zum Aufgehen in die russische Völkerfamilie verurtheilt seien
u. s. w. Während die Murawjew, Berg und Annenkow die Herrschaft des
russischen Adlers mit allen Mitteln der Gewalt zu erzwingen bemüht waren,
ließen russisch-demokratische Gelehrte sich die Mühe nicht verdrießen, aus Acker¬
stücken und Chroniken von unvordenklichen Alter Beweisstücke dafür zu ge¬
winnen, daß Wilna, Schitomir, Lemberg u. f. w. echtrussische, nur auf dem Wege
der Gewalt polonisirte Städte seien; freilich stützten diese Gelehrten sich, wo die
archäologischen Argumente nicht ausreichten, auch auf Gensdarmcnsäbel und
Kosakeopiken und wenn sie das historische Museum zu Wilna zerstörten und
ihren Klagen über einseitige, tendenziös-polnische Anordnung und Aufstellung
der Schätze desselben u. a. dadurch Ausdruck gaben, daß sie alle polnischen Alter¬
thümer hinauswarfen und nur die spärlichen Reste russisch-lithauischer Herr¬
lichkeit stehen ließen, so mußte es zweifelhaft bleiben, ob diese Art der Beweis¬
führung vor dem Richterstuhle der Wissenschaft besser bestehe als vor dem der
Politik. Immerhin verdient es Beachtung, daß die brutale Gewalt auch in
diesen halbbarbarischen Gegenden des Deckmantels rechtlich und geschichtlich be¬
gründeter Ansprüche nicht mehr entrathen zu können glaubt, daß z. B. keine
der für den griechisch-orthodoxen Cultus eroberten katholischen Kirchen Lithauens
ihren bisherigen Inhabern entrissen wurde, ohne daß der Wilnaer Courier (das
Organ Murawjews und seiner Nachfolger) eine gelehrte Abhandlung darüber
veröffentlichte, daß der Grundstein dieses Gebäudes von einem Fürsten aus dem
Hause Mstislaws oder Wjuschcslaws gelegt und dasselbe "noch vor vierhundert
Jabren" zu grieckitcb-orthodl>xem Gottesdienste benutzt worden sei.


Grmjboten I. 1867. 48
Der Nlttiomlitiitenklnnps in Galizien.
(Schluß zu Heft 7.)

Der Kampf, welchen Polen und Russen in Galizien, Lithauen, Weißru߬
land und anderen ehemaligen Provinzen der polnischen Republik ausfechten,
wird ebenso mit den Waffen der äußeren Gewalt, wie mit denen des Geistes
geführt. Charakteristisch genug für die Macht, welche die modernen Ideen auch
in Nußland gewonnen haben, ist es, daß grade die Russen zu wiederholen nicht
müde werden, es handele sich bei ihrer Auseinandersetzung mit den Enkeln
Lechs in erster Reihe um die Anerkennung und den Sieg eines großen Principes,
um die Durchführung der demokratischen Idee und deren historisches Herrscher¬
recht in allen slawischen Ländern. Der Berkennung dieses Rechts, dem Abfall
von den nationalen Traditionen und der Hinneigung zu westeuropäisch aristo¬
kratischen Formen sei es zuzuschreiben. daß die Polen ihre selbständige Existenz
verwirkt hätten, zum Aufgehen in die russische Völkerfamilie verurtheilt seien
u. s. w. Während die Murawjew, Berg und Annenkow die Herrschaft des
russischen Adlers mit allen Mitteln der Gewalt zu erzwingen bemüht waren,
ließen russisch-demokratische Gelehrte sich die Mühe nicht verdrießen, aus Acker¬
stücken und Chroniken von unvordenklichen Alter Beweisstücke dafür zu ge¬
winnen, daß Wilna, Schitomir, Lemberg u. f. w. echtrussische, nur auf dem Wege
der Gewalt polonisirte Städte seien; freilich stützten diese Gelehrten sich, wo die
archäologischen Argumente nicht ausreichten, auch auf Gensdarmcnsäbel und
Kosakeopiken und wenn sie das historische Museum zu Wilna zerstörten und
ihren Klagen über einseitige, tendenziös-polnische Anordnung und Aufstellung
der Schätze desselben u. a. dadurch Ausdruck gaben, daß sie alle polnischen Alter¬
thümer hinauswarfen und nur die spärlichen Reste russisch-lithauischer Herr¬
lichkeit stehen ließen, so mußte es zweifelhaft bleiben, ob diese Art der Beweis¬
führung vor dem Richterstuhle der Wissenschaft besser bestehe als vor dem der
Politik. Immerhin verdient es Beachtung, daß die brutale Gewalt auch in
diesen halbbarbarischen Gegenden des Deckmantels rechtlich und geschichtlich be¬
gründeter Ansprüche nicht mehr entrathen zu können glaubt, daß z. B. keine
der für den griechisch-orthodoxen Cultus eroberten katholischen Kirchen Lithauens
ihren bisherigen Inhabern entrissen wurde, ohne daß der Wilnaer Courier (das
Organ Murawjews und seiner Nachfolger) eine gelehrte Abhandlung darüber
veröffentlichte, daß der Grundstein dieses Gebäudes von einem Fürsten aus dem
Hause Mstislaws oder Wjuschcslaws gelegt und dasselbe „noch vor vierhundert
Jabren" zu grieckitcb-orthodl>xem Gottesdienste benutzt worden sei.


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[0383] Der Nlttiomlitiitenklnnps in Galizien. (Schluß zu Heft 7.) Der Kampf, welchen Polen und Russen in Galizien, Lithauen, Weißru߬ land und anderen ehemaligen Provinzen der polnischen Republik ausfechten, wird ebenso mit den Waffen der äußeren Gewalt, wie mit denen des Geistes geführt. Charakteristisch genug für die Macht, welche die modernen Ideen auch in Nußland gewonnen haben, ist es, daß grade die Russen zu wiederholen nicht müde werden, es handele sich bei ihrer Auseinandersetzung mit den Enkeln Lechs in erster Reihe um die Anerkennung und den Sieg eines großen Principes, um die Durchführung der demokratischen Idee und deren historisches Herrscher¬ recht in allen slawischen Ländern. Der Berkennung dieses Rechts, dem Abfall von den nationalen Traditionen und der Hinneigung zu westeuropäisch aristo¬ kratischen Formen sei es zuzuschreiben. daß die Polen ihre selbständige Existenz verwirkt hätten, zum Aufgehen in die russische Völkerfamilie verurtheilt seien u. s. w. Während die Murawjew, Berg und Annenkow die Herrschaft des russischen Adlers mit allen Mitteln der Gewalt zu erzwingen bemüht waren, ließen russisch-demokratische Gelehrte sich die Mühe nicht verdrießen, aus Acker¬ stücken und Chroniken von unvordenklichen Alter Beweisstücke dafür zu ge¬ winnen, daß Wilna, Schitomir, Lemberg u. f. w. echtrussische, nur auf dem Wege der Gewalt polonisirte Städte seien; freilich stützten diese Gelehrten sich, wo die archäologischen Argumente nicht ausreichten, auch auf Gensdarmcnsäbel und Kosakeopiken und wenn sie das historische Museum zu Wilna zerstörten und ihren Klagen über einseitige, tendenziös-polnische Anordnung und Aufstellung der Schätze desselben u. a. dadurch Ausdruck gaben, daß sie alle polnischen Alter¬ thümer hinauswarfen und nur die spärlichen Reste russisch-lithauischer Herr¬ lichkeit stehen ließen, so mußte es zweifelhaft bleiben, ob diese Art der Beweis¬ führung vor dem Richterstuhle der Wissenschaft besser bestehe als vor dem der Politik. Immerhin verdient es Beachtung, daß die brutale Gewalt auch in diesen halbbarbarischen Gegenden des Deckmantels rechtlich und geschichtlich be¬ gründeter Ansprüche nicht mehr entrathen zu können glaubt, daß z. B. keine der für den griechisch-orthodoxen Cultus eroberten katholischen Kirchen Lithauens ihren bisherigen Inhabern entrissen wurde, ohne daß der Wilnaer Courier (das Organ Murawjews und seiner Nachfolger) eine gelehrte Abhandlung darüber veröffentlichte, daß der Grundstein dieses Gebäudes von einem Fürsten aus dem Hause Mstislaws oder Wjuschcslaws gelegt und dasselbe „noch vor vierhundert Jabren" zu grieckitcb-orthodl>xem Gottesdienste benutzt worden sei. Grmjboten I. 1867. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/383>, abgerufen am 27.06.2024.