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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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zu begraben entschlossen sind. dies ist die Frage. Und mit besorgter Theilnahme
folgt man auch auswärts den politischen Lehrjahren eines Volks, das wie kaum
ein anderes Herr seiner eigenen Geschicke ist. Verkennen wir nicht: das consti-
tutionelle Princip selbst ist es, was hier eine ernste Probe besteht. Und wie
man mit freudiger Bewunderung den Aufschwung einer Nation begleitete, die
in Einem und in beständiger Wechselwirkung beide Güter sich zu erringen
schien, die Selbstregierung und die staatliche Einheit, so muh jeder Rückschlag
auch über die Grenzen der Halbinsel empfindliche Wirkungen üben.

Das freilich konnte sich nur ein oberflächlicher Blick verbergen, daß die
Selbstregierung des italienischen Volks erst noch ihre Krisen und ihre Proben
vor sich habe. Die Flitterwochen der italienischen Freiheit haben doch nur den¬
jenigen täuschen tonnen, der nicht bemerkte, daß sie nur die Dictatur des großen
Staatmanns bargen, dessen Autorität sich alle willig unterwarfen. Durch die
Kunst, mit der Cavonr die constitutionellen Mittel handhabte, ist freilich das
Werk der Einheit ungeheuer erleichtert worden, und eine Zeitlang, als der erste
Enthusiasmus noch nachdauerte und eine, starke geschulte Kammermehrheit die
Erbschaft Cavvurs führte, schien die Bahn für immer geebnet. AIs aber auch
diese Mehrheit in die Brüche ging und die Entscheidung gleichsam in die Ele¬
mente des Volks zurückfiel, als der Enthusiasmus bezahlt sein wollte durch
Opfer und Arbeit, da zeigte sich erst, wie wenig dieses Volk in seinen verschie¬
denen Bestandtheilen für eine Verfassung vorbereitet war, deren Schule Piemont
allein durchgemacht hatte. Immerhin mag, was an Bildung und Vorschule
fehlt, bei dem glücklich begabten Volt der politische Instinct ersetzen, und wir
hoffen es. Uns Deutschen aber mag grade in diesen Tagen die Erinnerung
willkommen sein, daß ein wohlausgeführtes formell fertiges Verfassungsgcrüste
noch nicht das Höchste ist, und daß ein neues nationales Leben vielleicht besser
beginnt mit bescheideneren Formen, die sich auf das Nothwendige beschränken
und allmälig den Bedürfnissen gemäß sich entwickeln. Der Anfang ist dann
freilich nicht so enthusiastisch und voll Jubels, aber es sind dafür Wohl auch die
bitteren Nachwehen und bedenklichen Krisen erspart, und die Entwicklung wird
um so stetiger und sicherer sein, je gleichmäßiger die einzelnen Theile, die jetzt
schon verbunden sind und noch werden verbunden werden, für die Gemeinsam'
1^. keit des nationalen Lebens vorbereitet sind.




zu begraben entschlossen sind. dies ist die Frage. Und mit besorgter Theilnahme
folgt man auch auswärts den politischen Lehrjahren eines Volks, das wie kaum
ein anderes Herr seiner eigenen Geschicke ist. Verkennen wir nicht: das consti-
tutionelle Princip selbst ist es, was hier eine ernste Probe besteht. Und wie
man mit freudiger Bewunderung den Aufschwung einer Nation begleitete, die
in Einem und in beständiger Wechselwirkung beide Güter sich zu erringen
schien, die Selbstregierung und die staatliche Einheit, so muh jeder Rückschlag
auch über die Grenzen der Halbinsel empfindliche Wirkungen üben.

Das freilich konnte sich nur ein oberflächlicher Blick verbergen, daß die
Selbstregierung des italienischen Volks erst noch ihre Krisen und ihre Proben
vor sich habe. Die Flitterwochen der italienischen Freiheit haben doch nur den¬
jenigen täuschen tonnen, der nicht bemerkte, daß sie nur die Dictatur des großen
Staatmanns bargen, dessen Autorität sich alle willig unterwarfen. Durch die
Kunst, mit der Cavonr die constitutionellen Mittel handhabte, ist freilich das
Werk der Einheit ungeheuer erleichtert worden, und eine Zeitlang, als der erste
Enthusiasmus noch nachdauerte und eine, starke geschulte Kammermehrheit die
Erbschaft Cavvurs führte, schien die Bahn für immer geebnet. AIs aber auch
diese Mehrheit in die Brüche ging und die Entscheidung gleichsam in die Ele¬
mente des Volks zurückfiel, als der Enthusiasmus bezahlt sein wollte durch
Opfer und Arbeit, da zeigte sich erst, wie wenig dieses Volk in seinen verschie¬
denen Bestandtheilen für eine Verfassung vorbereitet war, deren Schule Piemont
allein durchgemacht hatte. Immerhin mag, was an Bildung und Vorschule
fehlt, bei dem glücklich begabten Volt der politische Instinct ersetzen, und wir
hoffen es. Uns Deutschen aber mag grade in diesen Tagen die Erinnerung
willkommen sein, daß ein wohlausgeführtes formell fertiges Verfassungsgcrüste
noch nicht das Höchste ist, und daß ein neues nationales Leben vielleicht besser
beginnt mit bescheideneren Formen, die sich auf das Nothwendige beschränken
und allmälig den Bedürfnissen gemäß sich entwickeln. Der Anfang ist dann
freilich nicht so enthusiastisch und voll Jubels, aber es sind dafür Wohl auch die
bitteren Nachwehen und bedenklichen Krisen erspart, und die Entwicklung wird
um so stetiger und sicherer sein, je gleichmäßiger die einzelnen Theile, die jetzt
schon verbunden sind und noch werden verbunden werden, für die Gemeinsam'
1^. keit des nationalen Lebens vorbereitet sind.




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[0382] zu begraben entschlossen sind. dies ist die Frage. Und mit besorgter Theilnahme folgt man auch auswärts den politischen Lehrjahren eines Volks, das wie kaum ein anderes Herr seiner eigenen Geschicke ist. Verkennen wir nicht: das consti- tutionelle Princip selbst ist es, was hier eine ernste Probe besteht. Und wie man mit freudiger Bewunderung den Aufschwung einer Nation begleitete, die in Einem und in beständiger Wechselwirkung beide Güter sich zu erringen schien, die Selbstregierung und die staatliche Einheit, so muh jeder Rückschlag auch über die Grenzen der Halbinsel empfindliche Wirkungen üben. Das freilich konnte sich nur ein oberflächlicher Blick verbergen, daß die Selbstregierung des italienischen Volks erst noch ihre Krisen und ihre Proben vor sich habe. Die Flitterwochen der italienischen Freiheit haben doch nur den¬ jenigen täuschen tonnen, der nicht bemerkte, daß sie nur die Dictatur des großen Staatmanns bargen, dessen Autorität sich alle willig unterwarfen. Durch die Kunst, mit der Cavonr die constitutionellen Mittel handhabte, ist freilich das Werk der Einheit ungeheuer erleichtert worden, und eine Zeitlang, als der erste Enthusiasmus noch nachdauerte und eine, starke geschulte Kammermehrheit die Erbschaft Cavvurs führte, schien die Bahn für immer geebnet. AIs aber auch diese Mehrheit in die Brüche ging und die Entscheidung gleichsam in die Ele¬ mente des Volks zurückfiel, als der Enthusiasmus bezahlt sein wollte durch Opfer und Arbeit, da zeigte sich erst, wie wenig dieses Volk in seinen verschie¬ denen Bestandtheilen für eine Verfassung vorbereitet war, deren Schule Piemont allein durchgemacht hatte. Immerhin mag, was an Bildung und Vorschule fehlt, bei dem glücklich begabten Volt der politische Instinct ersetzen, und wir hoffen es. Uns Deutschen aber mag grade in diesen Tagen die Erinnerung willkommen sein, daß ein wohlausgeführtes formell fertiges Verfassungsgcrüste noch nicht das Höchste ist, und daß ein neues nationales Leben vielleicht besser beginnt mit bescheideneren Formen, die sich auf das Nothwendige beschränken und allmälig den Bedürfnissen gemäß sich entwickeln. Der Anfang ist dann freilich nicht so enthusiastisch und voll Jubels, aber es sind dafür Wohl auch die bitteren Nachwehen und bedenklichen Krisen erspart, und die Entwicklung wird um so stetiger und sicherer sein, je gleichmäßiger die einzelnen Theile, die jetzt schon verbunden sind und noch werden verbunden werden, für die Gemeinsam' 1^. keit des nationalen Lebens vorbereitet sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/382>, abgerufen am 30.06.2024.